| # taz.de -- UN-Klimakonferenz: Die Tabus von Lima | |
| > Auf Dutzenden von Veranstaltungen wird beim Klimagipfel über alles | |
| > Mögliche verhandelt und gestritten. Manche Fragen werden jedoch nicht | |
| > gestellt. | |
| Bild: Mehr Arbeit, aber auch mehr schlechte Luft: Smog in Peking | |
| LIMA taz | Zwei Wochen Zeit, 196 Staaten, Tausende Delegierte und | |
| Lobbyisten. Man sollte meinen, auf dem derzeit laufenden UN-Klimagipfel in | |
| Lima wird über alle wichtigen Fragen zum Klima verhandelt. Aber manche | |
| Themen finden sich nicht auf der offiziellen Agenda. Ein taz-Überblick über | |
| Unerhörtes: | |
| Die 2-Grad-Grenze ist kaum noch zu halten. Beim aktuellen Emissionstrend | |
| steigen die Temperaturen bis 2100 um 3 bis 5 Grad. Das einzige Szenario des | |
| Klimarats IPCC, mit dem der Anstieg relativ sicher unter 2 Grad bleibt, ist | |
| ziemlich unrealistisch: Es erfordert massiven Klimaschutz, sofort. Statt | |
| einer Zunahme der Emissionen um jährlich 2 bis 3 Prozent müssten sie um 6 | |
| Prozent fallen. Das hat es in der Geschichte über längere Zeit noch nie | |
| gegeben. | |
| Die Weltbank hat gerade ein anderes Tabu gebrochen und erklärt, die Grenze | |
| von 1,5 Grad sei kaum noch zu erreichen – die historischen Emissionen | |
| garantierten praktisch diese Erwärmung. Wissenschaftler widersprechen: Rein | |
| theoretisch könnten auch 1,5 Grad bis 2100 noch eingehalten werden, wenn es | |
| neben echtem Klimaschutz bald „negative Emissionen“ gebe: Wenn also der | |
| Luft CO2 entzogen und gespeichert wird, in Wäldern oder über die | |
| umstrittene CCS-Technik. Wie das gehen soll, weiß aber niemand. | |
| Wer der Armut entkommt, macht Dreck. Wenn Staaten ihren Bürgern ein | |
| besseres Leben bieten, heißt das bisher: mehr Emissionen von | |
| Treibhausgasen. Wirtschaftswachstum, höheres Einkommen, bessere | |
| Gesundheitsversorgung, Jobs ziehen bisher zwangsläufig höheren CO2-Ausstoß | |
| nach sich, das zeigen alle Studien. Aber die Grafiken, die dies zeigen, | |
| zensierten die Regierungen aus den Kurzfassungen der IPCC-Berichte. | |
| Vor allem Schwellenländer wie China und Indien wollen sich nicht daran | |
| erinnern lassen, dass der eingeschlagene Weg aus der Armut genauso auf | |
| Kosten der Atmosphäre geht wie der historische Reichtum der | |
| Industrieländer. | |
| Klimapolitik heißt Enteignung der Kohle- und Ölstaaten. Länder, deren | |
| Ökonomie und Staatshaushalt auf fossilen Rohstoffen beruht (wie | |
| Saudi-Arabien oder Russland), verlieren bei ehrgeiziger Klimapolitik ihre | |
| Geschäftsgrundlage. Allein das Öl im Boden des Nahen und Mittleren Ostens | |
| ist nach Schätzungen so viel wert wie der gesamte Kapitalstock aller | |
| Unternehmen der Weltwirtschaft. Solche Bodenschätze wirft niemand mal eben | |
| weg. Es wird also auf eine Kompensation für die Ölstaaten hinauslaufen – | |
| politisch sehr schwer zu begründen. | |
| Wachstum wird vorausgesetzt. Bis 2100 rechnen die Experten des IPCC mit | |
| einem Wachstum der Weltwirtschaft um das Drei- bis Neunfache. Wie das in | |
| einem biologischen System funktionieren soll, das bereits jetzt laut | |
| „ökologischem Fußabdruck“ im August die erneuerbaren Ressourcen des | |
| Planeten für das ganze Jahr aufgebraucht hat, ist eine offene Frage. | |
| Andererseits: Ohne Wachstum bleiben ganze Landstriche in Afrika und Asien | |
| in der Armutsfalle. Aber wie genau „grünes Wachstum“ aussehen kann, weiß | |
| niemand. | |
| Über Alternativen zum Kapitalismus wird nicht geredet. „Eine andere Welt“ | |
| im ökonomischen Sinn steht für die Klimaverhandler in Lima nicht zur | |
| Debatte. Alles dreht sich um Modelle des Kapitalismus. Über einen Wandel zu | |
| anderen Konsummustern, einer stärkeren Rolle des Staates, mehr Teilhabe der | |
| Bürger oder andere Eigentumsformen wie Genossenschaften wird dagegen nur | |
| inoffiziell geredet. | |
| Die Länder Südamerikas, die das Konzept des „Buen Vivir“ vertreten, werden | |
| belächelt. Was auch daran liegt, dass in der Realität diese Länder wie | |
| Venezuela oder Bolivien von Öl und Bergbau ebenso abhängig sind wie | |
| „normale“ Länder. | |
| „Marktmechanismen“ funktionieren nicht. Der Markt sollte auch das | |
| Klimaproblem lösen, tut es aber nicht: Wegen politischer Eingriffe und | |
| falscher Rahmenbedingungen liegt der EU-Emissionshandel am Boden. „Clean | |
| Development Mechanisms“ (CDM) und das ähnliche „Joint Implementation“, b… | |
| denen Geld aus Industrieländern den Klimaschutz in ärmeren Regionen | |
| ankurbeln sollte, funktionieren auch nicht: CO2-Emissionen sind schlicht zu | |
| billig. Trotzdem reden die Verhandler ungerührt weiter über „neue | |
| Kohlenstoffmärkte“. Dabei hatte der Klimarat IPCC festgestellt: Die einzig | |
| wirksamen Maßnahmen sind bisher Grenzwerte und Verbote. | |
| „Gerechtigkeit“ hieße Verzicht der Reichen. Im Grundsatz ist akzeptiert, | |
| dass die Industriestaaten mehr und schneller ihre Emissionen reduzieren und | |
| den Armen bei sauberer Entwicklung helfen müssen. In der Realität fehlt | |
| eine Debatte darüber, worauf die reichen Ländern verzichten müssen. Es gilt | |
| das Wort von US-Präsident George W. Bush vom Weltgipfel 1992 in Rio: „Der | |
| amerikanische Lebensstil steht nicht zur Disposition.“ | |
| 5 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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