# taz.de -- Olympiabewerbung von Berlin: „Keine Londoner Verhältnisse“ | |
> Olympische Spiele 2024 würden die Gentrifizierung in Berlin nicht | |
> verschärfen – da ist sich Landessportbundchef Klaus Böger sicher. | |
Bild: Auch Klaus Wowereit will die Spiele in Berlin sehen. | |
taz: Herr Böger, eine knappe Mehrheit der Berliner will nach einer Umfrage | |
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) keine Olympischen Spiele in | |
der Stadt. Was macht Sie sicher, dass die Bürger noch umgestimmt werden | |
können? | |
Klaus Böger: Olympia wäre für Berlin und für Deutschland eine große Chance. | |
Wir wollen Spiele, die dem Geiste der Olympischen Charta entsprechen. Die | |
Stadt kann mit ihrer Toleranz, ihrer Vielfalt, den aufeinanderprallenden | |
unterschiedlichen Lebensstilen werben – wenn ich von Olympia spreche, meine | |
ich übrigens die Paralympics immer mit. Ich hoffe, die Bürger begreifen | |
diese Chance. | |
Halten Sie den Start der möglichen Berliner Olympia-Bewerbung – die | |
Onlineumfrage des Senats, das Vorpreschen in Sachen Paralympics, die man | |
zeitlich vor den Olympischen Spiele stattfinden lassen will, ohne sich mit | |
den Verbänden abgestimmt zu haben – für geglückt? | |
Der Start mag vielleicht ein bisschen holprig gewesen sein. Dass es aber in | |
einer lebendigen Stadt mit einer kritischen Öffentlichkeit Vorbehalte gibt, | |
ist normal. | |
DOSB-Chef Alfons Hörmann sagte kürzlich, 50,01 Prozent Zustimmung in der | |
Bewerberstadt würden reichen, um Olympia in Angriff nehmen zu können. Sehen | |
Sie das auch so? | |
Eine Mehrheit von 60 Prozent wäre besser – man muss sich aber davon | |
verabschieden, bei derartigen Großveranstaltungen die ganze Bevölkerung | |
hinter sich zu haben. Erst mal ist eine Mehrheit eine Mehrheit. | |
Warum bindet die Politik die Bürger nicht schon jetzt, während der | |
Entscheidungsfindung, mehr ein? Warum nicht jetzt schon ein Bürgerentscheid | |
Pro/Contra Olympia? | |
Derzeit gibt es nur eine Interessenbekundung des Senats. Meines Erachtens | |
kann die Einbindung erst stattfinden, wenn eine Stadt den Zuschlag vom DOSB | |
bekommen hat. Dann wird es einen Bürgerentscheid geben – alles andere wäre | |
nicht vermittelbar. Und es gibt ja mit dem Stimmungstest des Senats und mit | |
unserer gemeinsam mit dem BUND gestarteten Onlineplattform schon | |
Bürgerbeteiligung. | |
Verfolgen Sie die Diskussionen auf der Website „olympia-diskutieren“? | |
Wir haben erst 500 Teilnehmer – und würden uns mehr wünschen. Ich habe mich | |
angemeldet, aber bisher nicht beteiligt. Das ist ja erst in der | |
Aufwärmphase. | |
Der Senat zeigte sich kürzlich ganz zufrieden mit dem Stimmungsbarometer, | |
bei dem sich in vier Monaten ganze 820 Menschen beteiligt haben. | |
Das ist zu wenig, das ist deutlich verbesserungswürdig. | |
Aller Voraussicht nach entscheidet der DOSB am 21. März darüber, ob man mit | |
Berlin oder Hamburg ins Rennen gehen wird. Was macht Sie sicher, dass man | |
sich gegen Hamburg durchsetzen wird? | |
Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass Berlin Großveranstaltungen kann. | |
Selbst der kritischste Geist von NOlympia wird das eingestehen müssen. Auch | |
was wir am 9. November erlebt haben – die Feier zum Mauerfalljübiläum –, | |
lässt mich zuversichtlich sein: Eine Stadt wie Berlin hat eine | |
hochspannende emotionale Geschichte, die in das kollektive Gedächtnis der | |
Stadtbevölkerung eingegangen ist. Das ist wichtig. Und Berlin zelebriert | |
das auch. Generell halte ich nicht viel von einem innerdeutschen Wettbewerb | |
– das habe ich immer gesagt. | |
Warum? | |
Hamburg kann ganz sicher auch Olympia. Es gibt bestimmt noch weitere | |
deutsche Städte, die es könnten. Aber man sollte sich vorher überlegen, was | |
man will: Ein klares Bekenntnis zur Hauptstadt hätte man meines Erachtens | |
schon vorher abgeben können. International haben wir mit Berlin am ehesten | |
eine Chance. Die Stadt hat eine gute Infrastruktur, Hotelbettkapazitäten | |
sind zum Beispiel für uns überhaupt kein Problem. In Hamburg gibt es einen | |
Aufschrei, wenn Busspuren extra für Olympia eingerichtet werden sollen – | |
wir haben die bereits zum Teil. | |
Berlin hat durchgehend Highlights für die Bevölkerung zu bieten, die Stadt | |
wird gehypt ohne Ende. Warum braucht man noch Olympia? | |
Eine Metropole genügt nie einfach nur sich selbst. Und das größte | |
sportliche Ereignis, nach der Fußball-WM vielleicht, bleibt eben Olympia. | |
Der wunderbare Hype auf Berlin hat dabei übrigens auch schlechte Seiten, | |
zum Beispiel die Gentrifizierung in den Stadtteilen. | |
Die aber doch durch Olympia beschleunigt würde. | |
Nein, Olympia wird diesen Prozess nicht beeinflussen. Wir wollen keine | |
Londoner Verhältnisse, und die wird es in Berlin auch nicht geben. Da bin | |
ich sicher. | |
Sie sagen, Berlin kann Großveranstaltungen. Zu einem Event wie Olympia aber | |
würde sich auch ein Großflughafen nicht schlecht machen, oder? | |
Der BER ist eine schlimme Geschichte. Daraus aber abzuleiten, Berlin oder | |
die Deutschen könnten gar nichts, ist vermessen. Der BER muss 2024 | |
natürlich ohne Wenn und Aber fertig sein. | |
Renommierte Sportexperten sagen, die Wahrscheinlichkeit gehe gegen null, | |
dass Olympia 2024 in Deutschland stattfindet. Es sei so gut wie | |
beschlossen, dass die Fußball-EM 2024 hierzulande ausgetragen wird. | |
Der Deutsche Fußball-Bund hat dem DOSB signalisiert, dass er beide | |
Veranstaltungen parallel sehr wohl für möglich hält. | |
Das IOC schließt eine solche Konstellation – zuletzt bei der anvisierten | |
Doppelbewerbung Istanbuls 2020 – eigentlich aus. | |
Es gibt IOC-Mitglieder, die das nicht dezidiert ausschließen. Und | |
spätestens, wenn Deutschland sich formell bewirbt – Mitte 2015 etwa –, | |
würden wir einen Hinweis bekommen. | |
In Paragraf 34 der Olympischen Charta steht, dass Organisation, | |
Durchführung und Medienberichterstattung in der Ausrichterstadt von keinem | |
anderen Ereignis beeinträchtigt sein darf. | |
Das müsste ja auch nicht so sein, es gibt doch eine Zeitspanne dazwischen. | |
Ich bewundere die Leute, die immer vorher wissen, was kommt. Es sagen auch | |
viele, dass Deutschland keine Chancen hat, wenn eine nordamerikanische | |
Stadt – Washington ist im Gespräch – sich bewirbt. Wartet’s doch mal ab, | |
denke ich da. | |
Wenn Berlin im ersten Anlauf scheitert – was dann? | |
Wenn es aus genannten Gründen nicht klappen sollte, halte ich es für | |
vernünftig, 2028 noch mal anzutreten. Viele Städte sind erst im zweiten | |
Anlauf Olympia-Austragungsort geworden. | |
Viel wird von der Reformfähigkeit des IOC abhängen. Es gab ein Reformpapier | |
von vier NOKs; kürzlich hat IOC-Präsident Thomas Bach einen Reformplan mit | |
40 Punkten vorgestellt. Nachhaltigkeit, Flexibilität bei den | |
Austragungsorten, Transparenz bei den Host-City-Verträgen, ein | |
Antidiskriminierungsparagraf, kostengünstigere Spiele stehen auf der | |
Agenda. Bei der IOC-Mitgliederversammlung in Monte Carlo am 8. und 9. | |
Dezember wird darüber entschieden. Wie sind Ihre Erwartungen? | |
Das ist die richtige Weichenstellung – ich hoffe natürlich, dass das IOC | |
diese überfälligen Reformen beschließt. | |
Papier ist geduldig. Wird es in der Praxis etwas nützen? | |
Ja, davon gehe ich fest aus. | |
Wenn die Reformen nicht beschlossen werden, ist Berlins auf Nachhaltigkeit | |
und Bescheidenheit basierende Bewerbung redundant, oder? | |
Die Formel von Nachhaltigkeit darf keine Leerformel mehr sein. Bach sagt, | |
Olympia muss sich an die Gegebenheiten der Bewerberstadt anpassen und nicht | |
umgekehrt … (schaut den Interviewer an) Sie lächeln? | |
… wenn man da an Sotschi denkt, kann man nur lachen … | |
Sotschi ist ein problematisches Kapitel, ein mit unserer Bewerbung | |
überhaupt nicht vergleichbares zudem. Das war die Entscheidung einer | |
Regierung, an einem solchen Ort ein „Las Vegas“ aufzubauen. | |
In Oslo hat sich jetzt die Bevölkerung gegen Winterspiele 2022 entschieden. | |
Grund waren auch Auflagen in den Host-City-Verträgen. | |
In Oslo gab es ein Kommunikationsdesaster. Da wurden Petitessen | |
aufgebauscht. Auch in Oslo hat sich die Öffentlichkeit über die Olympic | |
Lanes – die Extra-Busspuren, die es während der Spiele gibt – aufgeregt. | |
Man muss garantieren, dass Sportler, Trainer, Mediziner – ja, auch | |
Funktionäre – von Wettkampfort zu Wettkampfort kommen. Wir werden es auch | |
nicht hinbekommen, dass Staatspräsidenten mit der Straßenbahn zu den | |
Wettbewerben fahren. Auch hohe Sicherheitsvorkehrungen müssen einfach sein | |
– das mag furchtbar sein, aber wer in dieser Welt lebt, weiß, dass es nicht | |
anders geht. | |
London ist für Sie stets ein Positivbeispiel. Dort haben die Spiele mehr | |
als 10 Milliarden Euro gekostet. Berlin kalkuliert mit 2,4 Milliarden. Die | |
NOlympia-Fraktion sagt, das sei lächerlich. | |
Man muss unterscheiden zwischen Organisationskosten, die vom IOC | |
zurückerstattet werden, den Kosten für die Bauten, die eben nicht nur für | |
Olympia entstehen, sondern danach auch verbesserte Infrastruktur bieten, | |
und jenen zum Instandsetzen und Neubau von Sportstätten. Und es gibt auch | |
temporäre Kosten für temporär errichtete Sportanlagen: zum Beispiel | |
Tribünen, Medienräume und -equipment. Bei den temporären Kosten sind die | |
Zahlen in der Berliner Olympiabewerbung – da stehen eine Milliarde Euro – | |
sogar zu hoch gegriffen. Es wären bloß neun Anlagen. | |
Ist es überhaupt seriös, jetzt schon Zahlen dazu zu nennen? | |
Man muss ja eine Kostenschätzung vornehmen. Die NOlympia-Aktivisten sind im | |
Übrigen eingeladen, zu allen Kosten nachzufragen, darüber zu diskutieren, | |
sie zu überprüfen. Dazu sollte man eine öffentliche Veranstaltung machen, | |
am besten vom RBB übertragen. Es ist eine faire, legitime Diskussion, die | |
man transparent führen sollte. | |
Es waren schon neue S-Bahn-Verbindungen nach Tegel und Hohenschönhausen im | |
Gespräch. Diese Strecken braucht man nur für Olympia. | |
Nein, Städte profitieren immer von der durch Olympia verbesserten | |
Infrastruktur. Berlin zum Beispiel – jetzt mal ungeachtet von aller | |
Perversion, die die Spiele von 1936 hatten – von den damals entstandenen | |
Bahnstrecken. Oder von der Waldbühne, die von den Nazis für üble | |
Veranstaltungen vorgesehen war und wo Menschen heute in positivem Sinne | |
zusammenkommen. By the way: Man könnte fast hundert Jahre nach dem | |
Missbrauch der Spiele ein historisches Ausrufezeichen setzen. | |
Wie profitiert der Breitensport von Olympia? | |
Der Breiten- und Schulsport bekommt durch Olympia wieder einen anderen | |
Stellenwert. Politik ist immer ein Kampf um finanzielle Mittel – natürlich | |
wird der Sport bei einer Olympia-Bewerbung als Ganzes profitieren. Im Zuge | |
von München 1972 haben Sportarten wie Basketball und Volleyball einen Schub | |
in Deutschland bekommen. | |
Hätten Sie Sorge um den sozialen Frieden in der Stadt, falls Berlin | |
tatsächlich zur Olympiastadt auserkoren würde? | |
Nein. Ich bin mir sicher, wenn Berlin tatsächlich den Zuschlag kriegen | |
sollte, müsste die Stadt Sperrgitter aufstellen – nicht um die | |
Demonstranten abzuhalten, sondern um den Zugang der Freiwilligen, die | |
mithelfen wollen, zu regulieren. | |
5 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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