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# taz.de -- Protest gegen Rot-Rot-Grün in Thüringen: Das Volk ging zum Weihna…
> Am Abend vor der Wahl in Thüringen sind keine 2.000 Menschen zu der
> Erfurter Demo gegen Rot-Rot-Grün gekommen.
Bild: Keine Nazis und keine „Ramelow raus!“-Chöre, aber viel Empörung
ERFURT taz | „Die Linkspartei war kein Teil der Bewegung 1989. Das ist eine
Lüge“, sagt Matthias Büchner, ein Herr mit wallendem, weißen Bart,
randloser Brille, Baskenmütze. Er sieht aus, wie man sich einen
Bürgerrechtler vorstellt. Der 61-Jährige steht am Donnerstagabend vor der
Ex-Stasizentrale in Erfurt, die die Bürgerbewegung vor genau 25 Jahren, am
4. Dezember 1989, friedlich stürmte. Er war, damals im Neuen Forum, dabei.
Dass die Linkspartei regieren wird, empört ihn.
Eine Stunde später wird Büchner, das authentische Gesicht der
Anti-Linkspartei-Bewegung in Erfurt, vor dem Landtag Grüne und SPD warnen.
Wenn die Ramelow wählen, unterwerfen sie sich „freiwillig dem Dogma eines
reaktionären Sozialismus", sagt er vor johlenden Demonstranten. Sie ist
wieder da, die Angst vor der SED.
Astrid Rothe-Beinlich steht mit der Kerze in der Hand vor der
Ex-Stasizentrale und nickt Büchner zu. 1989 war sie 16 Jahre alt und in
einer kirchlichen Umweltgruppe aktiv. Sie galt als politisch unzuverlässig.
Wäre die DDR nicht gefallen, sie hätte kein Abitur machen können. Rothe
Beinlich war sechs Wochen lang in der Stasizentrale. Um zu verhindern, dass
noch mehr Akten verschwinden.
Rothe-Beinlich ist grüne Abgeordnete und wird Bodo Ramelow wählen. „Es muss
möglich sein, 2014 eine Koalition mit der Linkspartei einzugehen“, sagt
sie. „Ich kann mit Leuten, die sich zu ihrer Geschichte bekennen, zusammen
arbeiten."
Und: „Ich kann verstehen, dass Ramelow für viele für die Täter von damals
steht." Doch man müsse akzeptieren, dass die Linke in Thüringen Volkspartei
ist. 1989, sagt sie, „sind wir für die Freiheit auf die Straße gegangen“.
Und auch für die Freiheit, nach einer Wahl mal eine neue Regierung zu
bilden.
Und Büchner, den sie seit 25 Jahren kennt? „Ach ja, Fritz“, sagt sie. „W…
kommen halt zu anderen Schlußfolgerungen“.
## Der Zwist wirkt unversöhnlich
Die Gedenkfeier an die Besetzung der Stasizentrale hat nichts Eiferndes.
Etwa 100 Leute sind gekommen, man friert gemeinsam im Kerzenschein. Der
Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Christian Dietrich sagt: Manche
unterstützen Rot-Rot-Grün, andere halten das für den Abgrund. „Es ist gut,
dass wir es miteinander aushalten.“
Rot-Rot-Grün hat einen Kampf um das Erbe der Revolte im Herbst 1989
entfacht. Von außen wirkt dieser Zwist unversöhnlich. Wenn man genauer
hinhört, entdeckt man darin protestantisch gefärbtes Diskursives. Und etwas
von einem Familienstreit.
Katharina König (36) steht vor der Stasi-Gedenkstätte. Drinnen werden
Lieder gesungen, sie muss jetzt erstmal eine rauchen. König ist
Landtagsabgeordnete der Linkspartei. Ihr Büro wurde kürzlich mit Farbe
beschmiert: „Drachenbrut“ stand darauf. Ein Zitat von Wolf Biermanns
Bundestagsauftritt. „Das waren keine Nazis, die hätten die Scheibe gleich
eingeschmissen“, sagt sie.
König bekam Hassmails. Viele. Weil sie kritisiert hatte, dass zu der
Anti-Rot-Rot-Grün-Demo am 9. November auch AfD und NPD mobilisierten. 1989
war sie elf Jahre alt, als ihr Vater, Lothar König, Mitbegründer der
Montagsdemos in Merseburg, sie mit auf die Straße nahm.
Wie findet Sie Bürgerrechtler wie Büchner, die jetzt gegen Rot-Rot-Grün
demonstrieren? „In Ordnung" sagt sie. Und: „Er ist ja mein Patenonkel.“ A…
so.
„Ich begreife, dass er auf die Straße geht. Aber nicht, dass er sich
instrumentalisieren lässt“, sagt König. Sie kann die Angst ihres
Patenonkels, von der SED-Nachfolgepartei regiert zu werden, verstehen. Was
sie nicht versteht, ist das Undifferenzierte, zu übersehen, dass diese
Regierung Ergebnis einer demokratischen Wahl ist.
Übel genommen hat sie ihm eins. „Er hat am 9. November gesagt: Die DDR war
schlimmer als ein Unrechtsstaat. Also schlimmer als die Nazis, schlimmer
als die Shoa. Das geht nicht.“
## Auch in Berlin wolle Rot-Rot-Grün an die Macht
Um acht Uhr abends liest Matthias Büchner einen Brief von Wolf Biermann
vor. Büchner hatte ihn eingeladen zu der Demonstration vor dem Landtag,
Biermann, Diva noch immer, ist nicht gekommen. Dafür viele Redner mit
SPD-Parteibuch: Stephan Hilsberg, Gunter Weißgerber, Stefan Sandmann.
Sie warnen heiser die SPD, sie warnen empört die Grünen, sie warnen mit
sich überschlagener Stimme vor „der Kanaille Ramelow“ (Weißgerber). Und
dass Rot-Rot-Grün bald auch in Berlin die Macht an sich reißt.
Die Anti-Linkspartei-Bewegung hatte mit 4.000 Teilnehmern gerechnet, manche
sogar mit 10.000. Es sind keine 2.000 gekommen, viele Ältere. Die
Atmosphäre ist zivil: Es gibt keine Nazis, auch keine Ramelow-raus Chöre
wie am 9. November. Die Menge skandiert verlässlich „Stasi-raus“, wenn
Redner anprangern, dass in der Linksfraktion zwei Ex-IMs sind. „Keine
Gewalt“, ruft Büchner ins Publikum, das mit Kerzen gekommen ist, so wie
damals, als die Ohnmächtigen gegen die Macht aufstanden.
Eine Sammelbüchse geht herum: Man spendet Geld für die Reinigung der Treppe
des Erfurter Doms, den die Anti-Rot-Rot-Grün Protestler mit ihren
tropfenden Kerzen zum Ungemach der Stadtreinigung verschmutzt hatten. Es
ist ein sauberer, bügerlicher Protest.
Das Ganze ähnelt einem Joe Cocker Konzert. Vor 25 Jahren war man schon mal
hier, jetzt hört man wieder die gleichen Songs. Aber alle sind müder und
älter geworden. Und weniger. Ein paar Demonstranten skandieren trotzig „Wir
sind das Volk“. Nur ein paar Mal. Dann lassen sie es. Es klingt zu
schütter.
Und es stimmt ja auch nicht. Denn das Volk demonstriert am Abend vor der
Wahl nicht gegen Ramelow. Es gedenkt auch nicht der Besetzung der
Stasizentrale 1989 in der Andreasstraße. Das Volk steht, jedenfalls größere
Mengen davon, auf dem Weihnachtsmarkt in Erfurt, einer Touristenattraktion
zu Füßen des Erfurter Doms. Es flaniert durch die proper sanierten Gässchen
Erfurts, eine Stadt, die gemütlichen Bürgerstolz ausstrahlt. Es schlendert
an hübsch renovierten Fassaden vorüber, die fast zu schön sind, um alt zu
sein. Das Volk trinkt Glühwein und ist sich offenbar sicher, dass sich das
Leben, egal wer regiert, nicht verändern wird.
5 Dec 2014
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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