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# taz.de -- Einwanderungspolitik in England: Migration als Teufelswerk
> Der britische Premier hat den Kampf gegen die Rechten in seiner Partei
> verloren. Nun lässt er sich von der Ukip die Agenda diktieren.
Bild: Sein Abgang vom Premierminister-Posten liegt näher als Englands EU-Ausst…
Es geht nur noch ums Überleben. Der britische Premierminister David Cameron
wird von der Angst getrieben – Angst vor der populistischen
Anti-Europa-Partei United Kingdom Independence Party (Ukip), Angst vor den
eigenen rechten Hinterbänklern, Angst vor Reaktionen aus Brüssel. Das
bestimmt seine Politik, sie besteht aus Lavieren, Taktieren und
Wortbrüchen, und damit will er sich bis zu den Parlamentswahlen im Mai
durchschlagen.
Dabei war er als Erneuerer angetreten, als er die Partei 2005 übernahm. Er
wollte die überalterte Partei reformieren. Es sollten die grünsten Tories
aller Zeiten werden, Frauen wollte er fördern, den „gewissenlosen
Kapitalismus“ beschneiden, eine „Big Society“ schaffen und in der
Europafrage Gelassenheit zeigen. Geblieben ist davon nichts.
Umweltfragen bezeichnet er inzwischen als „grünen Quatsch“, der Anteil von
Frauen unter den Tory-Kandidaten ist geringer als vor vier Jahren, die
„große Gesellschaft“, in der selbstverantwortliche Bürger Mitspracherechte
in Kliniken und Schulen bekommen sollten, ist gestorben. Von den
Sozialreformen blieben drastische Kürzungen für Arme, Behinderte und
Arbeitslose.
## Englands Selbstüberschätzung
Und Europa ist wieder Hauptstreitpunkt. Dafür hat die Ukip gesorgt. Die
Partei hat rechtzeitig bemerkt, dass man mit EU-Feindlichkeit allein keinen
Blumentopf gewinnen kann, das Thema stand bei den meisten Briten auf der
Dringlichkeitsliste höchstens im Mittelfeld. Anders sieht es mit der
Immigration aus. Im Gegensatz zu Schotten, Walisern und Nordiren halten
Engländer ihr Land für etwas Besonderes, in das jeder Mensch der Erde gern
einwandern würde. Der Imperialist Cecil Rhodes sagte einmal: „Als Engländer
geboren zu werden ist der erste Preis in der Lotterie des Lebens.“
Der Ukip ist es gelungen, die Frage der Einwanderung mit der Mitgliedschaft
in der EU zu verknüpfen. Nur ein Austritt aus der EU verschaffe den Briten
die Hoheit über ihre eigenen Grenzen, tönt die Partei. Cameron zog es vor,
nicht mit Fakten zu argumentieren, sondern auf den populistischen Zug gegen
Einwanderung aufzuspringen.
Dabei hat eine Studie der London University ergeben, dass EU-Immigranten
zwischen 2001 und 2011 rund 20 Milliarden Pfund mehr in die Staatskasse
eingezahlt haben, als sie an staatlicher Unterstützung kassiert haben.
Dennoch verkündete Cameron, dass er die Einwanderung aus EU-Ländern
beschränken werde. Aus Brüssel kam die Frage, ob er noch bei Trost sei, an
einem der vier Eckpfeiler der EU zu sägen.
So milderte Cameron seine Forderung bei seiner Grundsatzrede Ende November
etwas ab. Nun sollen EU-Bürger erst nach vier Jahren in Großbritannien
Anspruch auf Sozialleistungen und Sozialwohnungen haben.
Steuererleichterungen für Niedriglohnverdiener soll es ebenfalls erst nach
vier Jahren geben. Und wer sechs Monate ohne Arbeit ist, soll wieder
hinausgeworfen werden.
## 44 Prozent sind für EU-Austritt
Seine Verhandlungen mit der EU in dieser Richtung beschrieb Cameron als
„allerletzten Versuch“. Er werde der EU eine letzte Chance geben, sich zu
reformieren. Andernfalls – das blieb unausgesprochen – drohe der britische
Austritt aus der EU. Das Referendum soll 2017 stattfinden, falls die Tories
im Mai kommenden Jahres wiedergewählt werden. Noch voriges Jahr wollte
Cameron für den Verbleib in der EU kämpfen. Heute klingt das nicht mehr so
entschlossen. Man müsse nicht, „koste, was es wolle“, in der EU bleiben,
sagt er. Eine Mehrheit sieht das ebenso: 44 Prozent der Briten sind für den
EU-Austritt, 39 Prozent dagegen.
Die Labour Party will die Immigration ebenfalls einschränken. Beide
Parteien überbieten sich geradezu darin, das Sicherheitsnetz für schlecht
bezahlte oder arbeitslose EU-Bürger zu demontieren. Aber es fruchtet
nichts. Offenbar meinen viele Wähler, dass die Ukip mit den Warnungen vor
Einwanderung recht haben muss, wenn das jetzt alle sagen.
Tory-Abgeordnete, Tory-Gönner und Wähler von Tories sowie Labour laufen zur
Ukip über. Die Partei hat die beiden letzten Nachwahlen gewonnen. Aufgrund
des britischen Wahlsystems werden sie bei den Wahlen im Frühjahr aber nur
fünf, höchstens acht Unterhaussitze gewinnen. Doch sie können für sich in
Anspruch nehmen, die politische Tagesordnung zu bestimmen.
Cameron kämpft nicht nur gegen die Ukip und die EU, sondern auch gegen
seinen rechten Parteiflügel. Die alteingesessenen Tories mochten ihn von
Anfang an nicht. Er war keiner von ihnen, hatte neumodische Ideen, wollte
die Partei umkrempeln. Cameron hat vor ihnen gekuscht, bei der letzten
Kabinettsumbildung mussten die letzten europafreundlichen Veteranen gehen.
Nachgerückt sind Leute wie Außenminister Philip Hammond, der für den
EU-Austritt plädiert, sollte Brüssel die britischen Pläne blockieren.
## Ein Tory koaliert nicht
Eine schleichende Verabschiedung aus der EU findet seit Langem statt.
Großbritannien hat zahlreiche Sonderregelungen durchgesetzt, 2013 hat man
133 EU-Justizvereinbarungen aufgrund des Protokolls 36 des Vertrags von
Lissabon aufgekündigt. Als Cameron vorige Woche 35 Vereinbarungen wieder
einführen wollte, löste er damit Tumulte bei seinen Hinterbänklern aus, die
verhindern wollten, dass der Europäische Haftbefehl für Großbritannien
gilt: Zu viele Briten würden ihrer Meinung nach im Ausland vor Gericht
gestellt.
Der rechte Parteiflügel hat Cameron nicht verziehen, dass er eine Koalition
mit den Liberalen Demokraten eingegangen ist. Ein Tory koaliert nicht,
basta! Auch bei den Wahlen im kommenden Mai wird es für keine Partei eine
absolute Mehrheit geben. Die Zeiten der britischen Zweiparteienlandschaft
sind vorbei. Eine Neuauflage der Koalition ist dennoch unwahrscheinlich:
Die Liberalen werden erheblich an Stimmen verlieren und womöglich nicht mal
das bescheidene Ziel von 30 Sitzen erreichen. Wer will schon mit Verlierern
koalieren? So wird es wohl eine Minderheitsregierung geben.
Ob die jedoch von Cameron geleitet wird, ist fraglich. Die Tories der alten
Schule planen bereits die Nachfolge. Boris Johnson, der Bürgermeister von
London, will im Mai für das Unterhaus kandidieren. Er ist Rechtspopulist.
Er ist einer von ihnen.
10 Dec 2014
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
David Cameron
Tories
Ukip
England
EU
Migration
Einwanderungspolitik
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Europäische Union
Schwerpunkt Rassismus
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Ukip
Großbritannien
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