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# taz.de -- Flüchtlinge in Kamerun: Sie sitzen fest
> Vor einem Jahr eskalierte in der Zentralafrikanischen Republik der Krieg.
> 130.000 Menschen flohen nach Kamerun. Der Weg zurück ist versperrt.
Bild: Anstehen für die monatliche Essensration im Flüchtlingslager von Timang…
GBITI/TIMANGOLO/YAOUNDE taz | Lieutenant Founda hat ihn gewarnt, er warnt
alle, die an seinem Wachposten vorbeilaufen, die Uferböschung hinab, das
kleine Holzboot besteigen und zurückfahren in den Krieg. Der Soldat steht
an dem namenlosen braunen Grenzfluss, es riecht nach Schlamm und totem
Fisch. Jetzt, am Mittag, brennt die Sonne auf Gbiti, einen Flecken im
äußersten Osten Kameruns, und Founda schwitzt unter seinem grünen Barett.
Über ihm weht die Fahne Kameruns, auf der anderen Seite wehen nur ein paar
zum Trocknen aufgehängte Hosen.
Mehr als ein Jahr ist es her, dass dort, in der Zentralafrikanischen
Republik (ZAR), der Bürgerkrieg eskaliert und das Land im Chaos versunken
ist. Es ist einer der wohl kompliziertesten Konflikte Afrikas, aber für
Founda ist die Sache ganz einfach: „Da sind die Christen, und wenn die
Moslems wieder dorthin gehen, dann bringen die sie um“, sagt er und deutet
mit dem Kopf auf die Gestalten am anderen Ufer.
Etwa 130.000 Menschen haben sich in den letzten elf Monaten nach Kamerun
gerettet. Es waren vor allem Fulbe, muslimische Hirten. Sie flohen vor der
Anti-Balaka-Miliz, die gegen die muslimischen Séléka-Rebellen kämpfte, aber
auch alle anderen Muslime ermordet hat, die ihr in die Hände fielen. Den
Fulbe sind ihre langhornigen Zebu-Rinder Vermögen und Statussymbol. Doch
auf der Flucht mussten sie fast alles aufgeben. Immer wieder gehen jetzt
einzelne Fulbe zurück, in der Hoffnung, verbliebenes Vieh in den
entvölkerten Dörfern zu finden.
So wie der Mann, der kürzlich Foundas Warnung ignorierte. Am 16. November
kam sein abgeschnittener Kopf mit dem Boot über den Grenzfluss zurück. Es
war eine Botschaft der Anti-Balaka an die Flüchtlinge: Kommt ja nicht
wieder.
## Unruhige Grenzregion
Die meisten der Vertriebenen leben im Osten Kameruns in Camps, die von
Hilfsorganisationen in den letzten Monaten errichtet worden sind. Ein Jahr
ist die französische Intervention in der ZAR jetzt her. Und wenn es nach
Kameruns Präsident Paul Biya geht, dann sollten die Flüchtlinge möglichst
bald dahin zurück.
Für Hadjija Abdulaye kommt das nicht in Frage. „Wir bleiben hier“, sagt
sie. Mit Hunderten anderen Frauen sitzt sie im Schatten eines Zeltes im
Camp Timangolo, eine Autostunde westlich von Gbiti. Sie trägt ein buntes
Kleid, die Haare sind zu schmalen Zöpfen geflochten. In der rechten Hand
hält sie einen leeren Kanister, in der linken einen leeren Sack. Im
Morgengrauen ist sie aufgestanden, das Sammeln von Brennholz fällt heute
aus.
Einmal im Monat gibt das UN-Welternährungsprogramm (WFP) den Campbewohnern
ihre Lebensmittelrationen aus. Heute ist Abdulaye dran. Nach einer Stunde
rufen Helfer ihre Gruppe auf. 50 Frauen müssen gemeinsam ein Seil anfassen
und im Gänsemarsch zum Check-in laufen. Sie zeigen ihre
Flüchtlingsausweise, unterschreiben in zwei Listen, dann hebt sich das
Brett, mit dem Helfer den Zugang zur Essensausgabe versperren.
Abdulayes Familie besteht aus ihrem Mann, dessen zweiter Frau und neun
Kindern. Sie stammt aus der Provinz Yaloké, 300 Kilometer östlich von hier.
Dutzende Zebus und zwei Hütten besaßen sie dort. „Ein gutes Leben“, sagt
sie. Als die Massaker in der Zentralafrikanischen Republik vor einem Jahr
zunahmen, schickten Frankreich und die Afrikanische Union rund 7.000
Soldaten. Doch die konzentrierten sich auf die Hauptstadt Bangui.
## Das Vieh mussten sie zurücklassen
Im April hörte Abdulaye die Salven der Maschinengewehre. In ihrem Dorf
lebten 30 Menschen, innerhalb von Stunden brachen sie auf. Ihr Vieh mussten
sie unterwegs zurücklassen. Wochenlang versteckte sich die Gruppe im Wald,
aß Blätter, bittere Früchte, Wurzeln. Die Kinder wurden krank, Abdulayes
Tochter fielen die Haare aus. Drei Menschen ertranken in einem Fluss, einer
wurde erschossen, als er einen Weg auszuspähen versuchte. Im Juni
erreichten sie völlig ausgezehrt den Grenzübergang in Gbiti. Dann brachte
die UNO sie nach Timangolo.
Die Grenzregion ist unruhig. Drei Camps des UN-Flüchtlingswerks UNHCR mit
27.000 Plätzen sowie eine Reihe informeller Siedlungen liegen innerhalb des
50-Kilometer-Streifens, in dem normalerweise keine Flüchtlinge
untergebracht werden. Die sich überstürzende Lage im Frühjahr habe nicht
zugelassen, alle weiter wegzubringen, heißt es beim UNHCR. Bis heute
überfallen Banden aus der ZAR kamerunische Siedlungen, jenseits der Grenze
ist die Versorgung zusammengebrochen.
Gleichzeitig dürfen Zentralafrikaner auch legal zum Einkaufen kommen. So
gelangen Diamanten aus Zentralafrika hinaus, obwohl das Land vom
internationalen Handel ausgeschlossen ist, und Kamerun muss wegen der laxen
Grenzkontrollen fürchten, selbst vom Diamantenhandel ausgeschlossen zu
werden. Zudem sorgt sich die Regierung, dass Flüchtlinge zurückgehen
könnten, um Rache an den Anti-Balaka zu üben. In diesen Wochen werden
deshalb mehr Soldaten an die Grenze verlegt. Es ist die zweite Front für
das Land, das im Norden zunehmend mit der Dschihadistenmiliz Boko Haram zu
kämpfen hat.
## 13 Kilo Reis
Abdulaye tritt aus dem Zelt. Sie steckt ihre Lebensmittelkarte in einen
kleinen gelben Brustbeutel und schiebt ihn unter ihr Kleid. Zwei Helfer
laden die Ration für ihre Familie auf dem Boden ab: Pro Person gibt es 150
Gramm Salz, eine Flasche Öl, 1,5 Kilo Soja-Vitamin-Mix und 13 Kilo Reis. Zu
viel zum Tragen. 50 Cent kostet die Fahrt mit dem Lastenmofa, Abdulaye
nimmt den Karren, den ihr zwei Jungen anbieten, der kostet nur 20 Cent. Ein
Junge zieht, ein Junge schiebt, nach einer Viertelstunde erreichen sie
Abdulayes Hütte. Auf dem Dach trocknen Okraschoten, drinnen schläft ein
nacktes Baby auf einer Bastmatte, in einer Ecke sind weiße Plastikschüsseln
aufgetürmt wie Matroschka-Puppen. Die Jungs laden die Reissäcke aus dem
Karren, bei denen es sich ausweislich ihrer Aufschrift um ein „Geschenk aus
Japan“ handelt.
„Hier“, sie zeigt einen Eimer mit einem weißen Pulver. „Das ist meine
Arbeit.“ Abdulaye kauft auf dem Markt Maniokwurzeln, wäscht die giftige
Blausäure aus und verkauft dann das Mehl. Acht Euro verdient sie damit im
Monat, es ist ihr einziges Einkommen. Kann sie auf Dauer so leben? „Was
soll ich sonst tun? In Yaloké haben wir nichts und sie würden uns töten.“
L3 ist die UN-Kategorie für die schwersten humanitären Krisen. Fünf davon
gibt es im Moment auf der Welt: Syrien, Irak, Südsudan, Ebola und die
Zentralafrikanische Republik. 2014 ist das Rekordjahr der
Flüchtlingszahlen: 50 Millionen sind es weltweit, so viele wie noch nie
seit dem Zweiten Weltkrieg.
## Der ärmste Teil Kameruns
Die Ressourcen der Hilfsorganisationen sind am Limit. 1,50 Euro pro Tag
kostet das WFP die Versorgung eines Flüchtlings aus Zentralafrika. Auf 19
Millionen Euro summierte sich dies in diesem Jahr bis November, das meiste
Geld gab die EU. Doch für das nächste Haushaltsjahr sind die Lücken enorm:
Zwei Drittel des benötigten Geldes fehlen. Bleibt es dabei, können ab
Februar nur noch Kinder und Schwangere versorgt werden, ab April niemand
mehr. Hinzu kommt: Die Flüchtlinge leben im ärmsten Teil Kameruns. Um
Spannungen zu vermeiden, muss auch die lokale Bevölkerung unterstützt
werden.
Hamoh Hamadjodah kommt die Straße heruntergelaufen, als sei er nicht der
Bürgermeister, sondern der König von Timangolo. In seinem hellgrünen Kaftan
schreitet er langsam daher, völlig ungerührt vom Kreischen der Ziege, die
auf einem geparkten Mofa festgebunden ist. 4.000 Einwohner hatte sein Dorf
bis vor Kurzem. Die Straßen waren schlecht, das nächste Krankenhaus weit,
es gab kaum Strom, Wasser und Lehrer. Dann kam der Krieg und Hamadjodah sah
seine Chance. Er schlug dem UNHCR vor, ein Camp in Timangolo zu errichten.
Heute leben in Timangolo 6.000 Zentralafrikaner, die Dorfbewohner sind in
der Minderheit. Hamadjodah holt Plastikstühle aus seinem Haus, stellt sie
in den Schatten der Moschee, setzt sich hin und faltet die Hände über
seinem Bauch. „Unsere Regierung wäre nie gekommen und hätte alles gebaut,
was uns fehlte“, sagt er. So aber bekam Timangolo innerhalb weniger Monate
Brunnen, Licht, Lehrer und Ärzte.
## Rückkehr nur freiwillig
„Die Flüchtlinge bedeuten für uns Entwicklung.“ Gibt es keine Konflikte?
„Feuerholz könnte problematisch werden“, sagt Hamadjodah, „aber nur, wenn
die Flüchtlinge anfangen, welches zu verkaufen. Zum Kochen reicht es.“ Und
das Vieh. „Aber dann müssen die Hirten den Bauern eben Stacheldraht
kaufen“, sagt er. Für alles gebe es eine Lösung. Aber das gilt vorerst nur,
solange die Geberstaaten zahlen. „Wir planen noch keinen Ausstieg, wir sind
noch in der Aufbauphase“, heißt es bei der UN. Rückkehr soll es nur
freiwillig geben. Anderswo hält dieser Zustand teils Jahrzehnte an. Es ist
enorm schwierig, Nothilfestrukturen wieder abzubauen und einen Weg in die
Autonomie der Menschen zu finden.
„Die Leute brauchen Land. Hier ist alles frei“, sagt Hamadjodah dazu. Er
macht eine ausladende Handbewegung in Richtung Grenze. „Das gehört dem
Staat, der könnte es verteilen.“ Doch dazu müsste er die Flüchtlinge als
neue Bürger akzeptieren. Sonst bleiben sie von den Hilfsorganisationen
abhängig. Dass die Flüchtlinge bald zurück können, glaubt er nicht. „Wir
müssen halt lernen, zusammenzuleben“, sagt Hamadjodah.
Die Reisekosten wurden von der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe und
Katastrophenschutz der EU-Kommission (ECHO) übernommen
11 Dec 2014
## AUTOREN
Christian Jakob
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