# taz.de -- Kommentar Asylrechtsreform: De Maizière auf Siegeskurs | |
> Die Regierung will das Bleiberecht neu regeln. Mit dem Kampf dagegen | |
> könnten die Grünen das Debakel um die „sicheren Herkunftsstaaten“ | |
> wiedergutmachen. | |
Bild: Flüchtlinge bei ihrer Abschiebung aus Baden-Württemberg nach Serbien un… | |
Wenn am Freitag die Innenminister von Bund und Ländern zu ihrer | |
Herbstkonferenz in Köln zusammentreffen, stehen nicht weniger als acht | |
Punkte auf der Tagesordnung, die sich um Flüchtlingsfragen drehen. Das | |
derzeit wohl wichtigste asylpolitische Vorhaben aus dem Hause von | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) aber soll nicht diskutiert | |
werden: „Das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der | |
Aufenthaltsbeendigung.“ | |
Die Bundesregierung ist der Meinung, die Reform gehe die Länder nichts an. | |
Am 3. Dezember verabschiedete das Kabinett den Entwurf, kommendes Jahr soll | |
der Bundestag sein Plazet geben. Die Ausklammerung des Bundesrats erspart | |
den Grünen nach den Debatten um die „sicheren Herkunftsstaaten“ die nächs… | |
Zerreißprobe in Sachen Asylpolitik. Denn das neue Gesetz hat es in sich. | |
Eigentlich setzt es eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um: Eine | |
Amnestie für Menschen mit unklarem Aufenthaltsstatus. Nach jüngster Zählung | |
geht es um mehr als 35.000 Menschen, die seit über fünf Jahren mit einer | |
Duldung in Deutschland leben. Unter ihnen sind viele Familien und auch | |
Kinder, die hier geboren wurden. Es ist ein elender Schwebezustand: Sie | |
haben kein Recht, in Deutschland zu bleiben, abschieben kann der Staat sie | |
aber nicht. Gründe dafür kann es viele geben: Staatenlosigkeit, Krieg, | |
unklare Identität, ihre Herkunftsländer nehmen sie nicht zurück, | |
Reiseunfähigkeit. | |
Die Haltung der CDU dazu lautete lange: Der Staat darf diese Leute nicht | |
mit einem Bleiberecht dafür belohnen, dass sie einfach im Land bleiben. | |
Also halten die Ausländerbehörden sie absichtlich in einem rechtearmen | |
Zustand: reduzierte Sozialleistungen, Lagerpflicht, Arbeitsverbot, | |
Residenzpflicht, Studienverbot. Das soll zermürben. Die Ausländerbehörden | |
versprechen sich davon, dass die Geduldeten irgendwann frustriert | |
verschwinden, wohin auch immer. Von den jüngsten rechtlichen Verbesserungen | |
für Asylsuchende profitieren Geduldete kaum. | |
Laut Koalitionsvertrag sollte es für sie jetzt eine „Perspektive“ – spri… | |
ein Bleiberecht – geben. Voraussetzung: Sie haben sich „nachhaltig in die | |
hiesigen Lebensverhältnisse integriert“, was angesichts der Lebensumstände | |
schwerfallen dürfte. Gleichwohl: ein völlig richtiger Vorstoß. | |
## Behörden können willkürlich entscheiden | |
Doch die Union schlug quer. In dem Gesetzentwurf, den das Innenministerium | |
bereits im Frühjahr präsentierte, ist eine Klausel enthalten, die die | |
gesamte Altfallregelung faktisch aushebelt. | |
Der Dreh: Wer nicht ausreist, obwohl er das müsste – was definitionsgemäß | |
bei allen Geduldeten der Fall ist –, dem können die Ausländerbehörden nach | |
eigenem Ermessen künftig ein „Aufenthaltsverbot“ erteilen. Die Folge: Sie | |
können willkürlich von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden und | |
bleiben dadurch auf Dauer im aufenthaltsrechtlichen Niemandsland. | |
Seit Jahren haben sich die Grünen den Kampf gegen die Kettenduldungen auf | |
die Fahnen geschrieben, jetzt, wo sie effektiv damit aufräumen könnten, | |
zögern sie: Ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, in Karlsruhe prüfen | |
zu lassen, ob das Gesetz nicht doch durch den Bundesrat müsste, hat die | |
Partei nach eigenem Bekunden noch nicht entschieden. Es wäre die | |
Gelegenheit, das Kretschmann-Debakel um die „sicheren Herkunftsstaaten“ | |
wiedergutzumachen. | |
Die Offensive gegen de Maizières Gesetzentwurf würde sich politisch gleich | |
doppelt lohnen. Denn in dem Entwurf steckt noch eine weitere Verschärfung, | |
die zehntausende Flüchtlinge betrifft. Im Juli hatte der Bundesgerichtshof | |
es für unrechtmäßig erklärt, sogenannte Dublin-Fälle ohne Weiteres in | |
Abschiebehaft zu nehmen. Dabei handelt es sich um solche Flüchtlinge, die | |
über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen sind. Also fast alle. | |
Haft sei nur zulässig, wenn es konkrete Anhaltspunkte für ein Untertauchen | |
gebe, so die Richter. | |
Nach dem Willen de Maizières soll es künftig genügen, dass ein Flüchtling | |
ein EU-Land verlassen hat, bevor dort ein Asylverfahren beendet wurde. Eine | |
Ausnahme bilden Flüchtlinge, die über Griechenland in die EU einreisten. | |
Für die Übrigen heißt es: Wer nicht mit dem Flugzeug von außerhalb der EU | |
hierher kommt, sieht von Deutschland künftig nur noch eine Zelle im Knast. | |
11 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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