# taz.de -- Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz über das Regieren: „Ich war … | |
> Olaf Scholz setzt auf "realistische Visionen". Mit der taz spricht er | |
> über Binsenweisheiten und Entscheidungen, die an die Nieren gehen. | |
Bild: "Die Dinge, die sich ereignet haben, waren im Rahmen des Erwartbaren“: … | |
taz: Herr Scholz, nach Ihrer Wahl zum Ersten Bürgermeister saßen Sie am 7. | |
März 2011 ganz allein auf der Senatsbank im Hamburger Rathaus und schauten | |
sehr ernst und nachdenklich vor sich hin. Wissen Sie noch, was Sie damals | |
dachten und fühlten? | |
Olaf Scholz: Nicht mehr genau, aber die Erkenntnis, plötzlich Bürgermeister | |
der Stadt zu sein, in der ich aufgewachsen bin, die ich liebe und die ich | |
zu verstehen glaube, das ist nicht ohne. | |
Eine Art Ehrfurcht vor der neuen Aufgabe? | |
Eher Respekt. Ich finde, es ist eine große und fordernde Aufgabe, aber es | |
ist keine, vor der ich mich gefürchtet habe. | |
100 Tage später sagten Sie, nichts an Ihrer neuen Aufgabe habe Sie | |
überrascht. | |
Ich denke, ich war gut vorbereitet durch meine Erfahrungen in der | |
SPD-Bundestagsfraktion und als Arbeitsminister im Bundeskabinett. Danach | |
gibt es nicht mehr so viel, das einen vollkommen überraschen kann. | |
Ist das noch immer so? | |
Ja, die Dinge, die sich ereignet haben, waren im Rahmen des Erwartbaren. | |
Sie haben also alles schon vorher gewusst? | |
Nein. Aber es gab nichts, was ich für unmöglich gehalten hätte. Natürlich | |
ist manches anders gekommen, als ich es mir gewünscht habe. Dass die | |
Elbvertiefung noch immer nicht positiv entschieden wurde, zum Beispiel. | |
Henning Voscherau, SPD-Bürgermeister von 1988 bis 1997, sagte mal, jeder | |
Bürgermeister stünde auf den Schultern seiner Vorgänger. Was haben Sie als | |
Hinterlassenschaft der CDU vorgefunden – einen Trümmerhaufen? | |
Ein kluger Satz von Henning Voscherau, den unterschreibe ich. Das mit dem | |
Trümmerhaufen nicht. Aber Pläne und Konzepte für die Zukunft Hamburgs, auf | |
denen ich hätte aufbauen können, lagen hier auch nicht in den Schubladen. | |
Haben Sie deshalb beschlossen, „ordentlich zu regieren“? | |
Das hatte ich schon vorher beschlossen und im Wahlkampf auch immer wieder | |
betont. | |
Warum reicht so eine Binsenweisheit, Wahlen zu gewinnen? | |
Weil die Binse damals war, dass viele Menschen eben das vermisst hatten. Es | |
gab den verbreiteten Wunsch nach ordentlichem Regieren. Und ich hoffe, dass | |
wir das einigermaßen hinbekommen haben. | |
Und deshalb versprechen Sie seit vier Jahren mantramäßig, Sie würden | |
halten, was Sie versprechen, und nicht tun, was Sie nicht versprochen | |
haben? | |
Ich bin fest davon überzeugt, dass Ankündigungen im Wahlkampf und spätere | |
Regierungsrealität deckungsgleich sein müssen. Es ist wichtig, sehr | |
konkrete Visionen zu haben, von denen man zugleich selbst glaubt und auch | |
andere glauben können, dass man sie auch umsetzen kann. | |
Es geht also um Glaubwürdigkeit? | |
Ja. Wenn die Bürger immer nachrechnen müssen, wie viel Prozent von dem, was | |
Politiker versprechen, am Ende wirklich gilt, dann ist das ein Problem für | |
die Demokratie. Vertrauen darf nicht enttäuscht werden. Deshalb halte ich | |
es für ganz zentral, dass man nur das verspricht, was man nach bestem | |
Wissen und Gewissen auch halten kann. Das ist eine ganz wichtige | |
Voraussetzung für Glaubwürdigkeit. | |
Auch eine Voraussetzung für den Kampf gegen Politik- und | |
Politikerverdrossenheit und Wahlmüdigkeit? | |
Das ist ein ganz entscheidender Punkt für die Rückeroberung von Vertrauen | |
in die demokratische Politik. Natürlich heißt das auch, dass man sich auf | |
das beschränkt, was man auch bewirken kann. | |
Wollen Sie diese Prämisse auch in der nächsten Legislaturperiode | |
durchhalten? | |
Ja, unbedingt. | |
Deshalb steht in Ihrem Regierungsprogramm für die nächste Wahl nur das, was | |
Sie „realistische Visionen“ nennen? | |
Ja, wobei es schon um leidenschaftlichen Realismus geht. Nur muss alles gut | |
durchdacht, plausibel und glaubhaft sein. Das ist die Basis. | |
Als Jungsozialist, falls Sie sich noch erinnern, gehörten Sie zum linken | |
„Stamokap“-Flügel. Können Sie noch erklären, was das war? | |
Mit der Theorie vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ war die | |
Vorstellung verbunden, dass sehr große Unternehmen so mächtig sind, dass | |
sie gesellschaftliche Verhältnisse zu ihrem Vorteil gestalten können. Diese | |
Form der Kapitalismusanalyse bewegte sich zumindest für mich aber immer im | |
Rahmen eines sozialdemokratischen Diskurses. Mächtige Unternehmen gibt es, | |
Einfluss nehmen sie auch, aber die Kraft demokratischer Politik und die | |
Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Ordnung darf man nicht | |
unterschätzen. | |
Da haben Sie sich aber ganz schön gewandelt. | |
Sicher komme ich heute in vielen Punkten zu anderen Schlussfolgerungen. Im | |
Grunde aber geht es weiterhin darum, einen sozialstaatlichen Rahmen wirksam | |
durchzusetzen. In einer gefestigten Demokratie ist dieser möglich. | |
Betreiben Sie nicht – durch den Einstieg Hamburgs in die Reederei | |
Hapag-Lloyd – selbst gerade eine Form von Staatskapitalismus? | |
Unser Ziel war nie, dort unternehmerisch aktiv zu sein, sondern das | |
Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Nach der aktuellen Fusion von | |
Hapag-Lloyd mit der chilenischen Reederei CSAV wird das Unternehmen auf dem | |
Weltmarkt bestehen können. Der nächste Schritt wäre der Börsengang, der | |
dann auch die Refinanzierung unserer Investitionen ermöglicht. Deshalb hat | |
das nichts mit Staatskapitalismus zu tun, aber sehr viel mit | |
Standortpolitik. | |
Das Engagement bei Hapag-Lloyd kostete mehr als eine Milliarde Euro. Sie | |
haben versprochen, dass Hamburg sein Geld zurückbekommt. Halten Sie auch da | |
Wort? | |
Ja, aber es wird noch etwas dauern. | |
Nach vier Jahren im Amt: Welche war Ihre schwerste Entscheidung? | |
Die Neuordnung der Elbphilharmonie. Es waren ganz harte Verhandlungen, es | |
stand bis zuletzt auf Messers Schneide. | |
Als Sie kurz vor Weihnachten 2012 die Übereinkunft mit Hochtief über die | |
Fertigstellung des Konzerthauses verkündeten, räumten Sie ein, sich „tage- | |
und nächtelang das Hirn zermartert“ zu haben. Geht einem das auch | |
persönlich an die Nieren? | |
Ja, schon. Letztendlich war das eine Wahrscheinlichkeitsentscheidung ohne | |
hundertprozentige Sicherheiten. Als Architekten mir sagten, die | |
Elbphilharmonie bedeute die Grenze der Baubarkeit, hatte ich eine Woche | |
schlechte Laune. Trotzdem musste eine Entscheidung getroffen werden. Heute | |
bin ich sicherer, als ich es damals sein konnte, dass es die richtige | |
Entscheidung war. | |
Welches war Ihre schwerste Niederlage – der verlorene Volksentscheid über | |
den Rückkauf der Energienetze? | |
Ich betrachte den nicht als Niederlage, auch wenn ich mir einen anderen | |
Ausgang gewünscht hatte. Aber wer für Volksentscheide ist, und das bin ich | |
ohne Wenn und Aber, muss auch ein Ergebnis akzeptieren, das man nicht will. | |
Das ist eine demokratische Tugend. Deshalb setzen wir den Volksentscheid | |
ohne Murren zu 100 Prozent um. | |
Ihr größter Erfolg? | |
Da gibt es mehrere wichtige Punkte. Der Bau von 6.000 Wohnungen pro Jahr, | |
die Jugendberufsagentur, die Abschaffung der Studien- und Kitagebühren, den | |
Ausbau der Kitas. | |
Haben die vier Jahre als Bürgermeister Sie persönlich verändert? | |
Es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Aber ich mache die Arbeit gerne und | |
habe den Eindruck, dass viele BürgerInnen das nicht so schlecht finden, was | |
ich mache. | |
Ich persönlich habe den Eindruck, dass Sie heute deutlich lockerer und | |
gelassener sind als vor vier Jahren. | |
Wenn Sie das sagen … Da will ich nicht widersprechen. | |
Als Sie Bürgermeister wurden, musste Ihre Frau, die langjährige | |
Bürgerschaftsabgeordnete Britta Ernst, „zu Gunsten der Karriere des Mannes | |
zurückstecken“, wie sie in einer persönlichen Erklärung im März 2011 | |
schrieb. Und das, obwohl sie es „politisch für vertretbar“ halte, „wenn | |
Ehepartner oder Lebensgefährten einer gemeinsamen Regierung angehören, | |
sogar wenn ein Teil des Paares diese Regierung führt“. | |
Meine Frau hat ihre Sichtweise in dieser ausführlichen Erklärung sehr genau | |
begründet. Ich teile ihre Auffassung. | |
Warum hat sie dann zurückgesteckt? | |
Meine Frau hat eine lange abgewogene und sehr gut durchdachte Entscheidung | |
gefällt. Die hatte auch mit der Frage zu tun, ob es gesellschaftlich und | |
politisch akzeptiert würde, als Ehepaar gemeinsam im Senat zu sitzen. Das | |
ist eigentlich mehr eine Frage an die Gesellschaft als an uns beide. Dass | |
wir professionell damit umgegangen wären, stand für uns außer Frage. Ob es | |
allgemein akzeptiert worden wäre, nicht. | |
Also eine Frage der politischen Hygiene? | |
Wir beide haben das lange und ausführlich schon vor der Wahl besprochen, | |
auch mit Blick auf mögliche Konsequenzen. Die Entscheidung meiner Frau | |
trage ich mit großem Respekt mit. | |
Inzwischen ist sie in Schleswig-Holstein, was sie in Hamburg nicht werden | |
durfte: Bildungsministerin. | |
Von dürfen war keine Rede. | |
Henning Voscherau war mit gut neun Jahren Amtszeit Hamburgs am längsten | |
regierender Erster Bürgermeister. Am Ende der nächsten Legislatur, 2020, | |
wären Sie auch neun Jahre im Amt. Wollen Sie ein drittes Mal antreten? | |
Das ist noch lange hin. Ich kann mir aber auch vorstellen, 2024 als | |
Bürgermeister die Olympischen Spiele in Hamburg zu eröffnen. | |
Eine Weihnachtserzählung von Katrin Seddig finden Sie in Hamburg, Bremen, | |
Schleswig-Holstein und Niedersachsen in der gedruckten Ausgabe der taz oder | |
am [1][eKiosk]. | |
26 Dec 2014 | |
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## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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