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# taz.de -- Kolumne Besser: Wie der Herr, so's Gescherr
> Pegida findet die „Lügenpresse“ doof, die „Lügenpresse“ findet Pegi…
> doof. Aber es gibt Ausnahmen: Stephan, Weimer, Matussek, Broder, di
> Lorenzo.
Bild: Oldschool-Taschenlampe auf einer Pegida-Demonstration in Dresden
Das haben die Pegida-Deppen nun davon, dass sie das schon bei den [1][Nazis
so beliebte Wort von der „Lügenpresse“] herausgekramt haben: Mag es,
[2][Angela Merkel zum Trotz,] Politiker geben, die meinen, die „Sorgen“
dieser Leute „ernstnehmen“ zu müssen, genießt Pegida zwar die
Aufmerksamkeit, nicht aber die Zuneigung der Presse.
Ob Josef Winkler [3][in der taz die „Jammer-Ossis“ daran erinnert], was man
ihnen früher zugerufen hätte, [4][Gero von Randow in der Zeit] das
Libidinöse an Pegida herausarbeitet, [5][Sascha Lobo auf Spiegel-Online]
den „gesitteten Code“ bei Pegida analysiert, [6][Ivo Bozic in der Jungle
World] auf die Ähnlichkeiten zwischen Pegida und Mahnwachen aufmerksam
macht oder, um diese unvollständige Hitlist abzuschließen, Franz-Josef
Wagner in der Bild beweist, dass sich große Kunst in der knappen Form zeigt
[7][(„Das Volk ist leider oft dumm“)] – die „Lügenpresse“ ist ganz g…
Form.
Doch nie ist es billiger, sich als Dissident zu gerieren als in Momenten
des öffentlichen Einvernehmens – selbst wenn dieser Nonkonformismus
ungefähr aus dem Quatsch besteht, mit dem der Onkel Herbert oder die Tante
Hilde, die es in ziemlich jeder Familie gibt, bei Familienfeiern nach dem
dritten Obstler nerven. Folglich sind es nicht allein Figuren aus dem
Dschungelcamp der deutschen Publizistik, die höchstens [8][bei RT Deutsch
als satisfaktionsfähig gelten] und die nun Verständnis oder gar Sympathien
für Pegida zeigen.
## Cora „Naziverdacht“ Stephan
Da wäre zum Beispiel Cora Stephan. Ende der Neunzigerjahre [9][feierte sie
die Rückkehr des Krieges] nach Europa, weil dieser „das Beste im Mann“
wecke, heute hat sie ganz doll Angst vor islamistischen Kriegern – als ob
diese ihre Opfer vorzugsweise im Frankfurter Umland oder in der Zone suchen
würden. Und während sie sonst den Sozialstaat für eine
[10][„institutionalisierte Verschwendung“] hält, kann sie dank Pegida
einmal eins sein mit dem ganzen Volk: „Der Trick hat sich verbraucht, alles
unter Naziverdacht zu stellen, was vom Parteienkonsens abweicht“,
[11][frohlockt sie einem Kommentar für den NDR], was für die
Pegida-Demonstranten ein Ding der Unmöglichkeit sein müsste, schließlich
sind ihnen die öffentlich-rechtlichen Sender noch verhasster als alle
übrigen Medien.
Im Herzen der Bestie und auf deren Honorarkasse also triumphiert Stephan:
„Der Bürger hat das Spiel durchschaut.“ In Sachen Nazis hat „der Bürger…
Dresden noch viel mehr durchschaut, [12][da muss man ihn nur mal fragen].
Doch mit dem Naziverdacht ist es wie mit dem Hundescheißeverdacht: Wenn es
danach riecht, ist man meistens reingetreten.
## Wolfram „Tabubrecher“ Weimer
Ein gewisser Wolfram Weimer, der mal Chefredakteur der halben „Lügenpresse“
war, schreibt in einer für seine Volkstümlichkeit bekannten Zeitung,
[13][nämlich dem Handelsblatt]: „Pegida hält der Politik einen unangenehmen
Spiegel vor, in dem ihre eigenen Tabus sichtbar werden. Das Tabu zum
Beispiel, über die Probleme mit muslimischen Minderheiten in Deutschland
lieber nicht zu reden. Das Tabu, dass der moderne Islamismus für das 21.
Jahrhundert eine ähnliche geopolitische Bedrohung darstellen könnte wie der
Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert gewesen ist. Das Tabu, dass
massenhafte Einwanderung von Menschen muslimischen Glaubens weitreichende
Folgen für Europa haben wird.“
Nun kann heutzutage jeder aufgeweckte Gymnasiast erkennen, dass, wenn einer
lauthals irgendein „Tabu“ anprangert, dieses Tabu keins ist. So zeigte sich
denn auch das von Weimer beklagte Tabu, das zusammen [14][mit dem Tabu,
Israel zu kritisieren], zur deutschen Top-Tabu-Liga gehört, im Jahr 2014
beispielsweise bei [15][Günther Jauch], [16][Anne Will], [17][Frank
Plasberg] und [18][Maybritt Illner] in insgesamt 17 Sendungen mit Titeln
wie „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ oder „Deutsch…
und der Islam – wie passt das zusammen?“
Okay, es mag sein, dass die Ausbeute etwas geringer ausfiel als in den
Vorjahren, weil andere Tabuthemen (Putin, Hoeneß) dazwischen kamen. Aber
vielleicht spricht der Mann ja ähnlich verklausuliert wie die
Pegida-Dumpfbacken.
## Matthias „HJ-Pöbeln“ Matussek
Doch was ist ein Wolfram Weimer gegen einen Matthias Matussek? Auf seiner
[19][öffentlich einsehbaren Facebookseite schreibt] dieser: „Meine Ansicht:
wer beim rituellen Treten gegen diese Menschen mitmacht, hat die Gesinnung
von HJ-Pöbeln.“ Na logisch. Und die Nürnberger Rassengesetze waren Gesetze
zur Bekämpfung des Rassismus und Matthias Matussek ist der Dietrich
Bonhoeffer unserer Tage und das Weltall besteht aus Brombeermarmelade.
Aber, Matussek: Das Wort „Pöbel“ bildet keinen Plural. (Auf gut
Abendländisch: ein Singularetantum.) Die Formulierung „rituelles Treten“
ist ein Fall von ritueller Verwendung des Wortes „rituell“, aber vollkommen
sinnfrei. Und ganze Sätze, die auf einen Doppelpunkt folgen, beginnen mit
einem Großbuchstaben, da können sie noch so brunzdumm sein. Wie der Herr,
so’s Gescherr: Man kann kein Deutsch, ist aber schwer dafür.
## Henryk „Einheitsfront“ Broder
Einer, der im Gegensatz zu Matussek ein großer Stilist ist, stapelt ein
paar Diktaturklassen tiefer: Wenn sich „eine nationale Einheitsfront“
bilde, [20][formuliert Henryk M. Broder in der Welt,] in welcher „die
christlichen Kirchen, der Zentralrat der Juden, die Gewerkschaften, das
Handwerk, die Arbeitgeber und die üblichen Verdächtigen aus dem
Kulturbetrieb Seit an Seit“ marschierten, dann stimme etwas „nicht mit der
gelebten Demokratie in unserem Land“. Dann seien „wir nicht auf dem Wege in
eine neue DDR, sondern bereits mittendrin“.
Lieber Henryk, gerne hätte ich mich mit dir darüber unterhalten, ob
Demokratie und Meinungsfreiheit wirklich nur dann herrschen, wenn jede
Arschgeige jeden ressentimentgeladenen Unsinn verzapfen und dennoch
Anspruch erheben darf, für voll genommen zu werden; egal, ob er nun die
Gleichberechtigung von Männern und Frauen infrage stellt, Homosexualität
für eine Krankheit hält, Arbeitslose zur Zwangsarbeit verpflichten will
oder den Staat Israel von der Landkarte gelöscht wissen möchte.
Aber seit unser Land ein so gänzlich anderes geworden ist und die Welt nur
noch konspirativ in Wilmersdorfer Hinterhofkirchen im Matrizendruck
hergestellt wird, ist das gefährlich geworden. Und trotzdem, Henryk, selbst
wenn du mit einem Bein mittendrin in Bautzen stehst und mit dem anderen
kurz vor der Ausbürgerung: Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten
Zeit!
## Giovanni „Es brennt nicht“ Lorenzo
Ach ja, die Zeit. Deren [21][Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mahnt:] „Im
Umgang mit aufgeschreckten Bürgern bringt das Abkanzeln nichts“, um dann zu
seiner überaus gelungenen Pointe zu kommen: „Bislang haben sich die
Deutschen übrigens noch sehr viel vernünftiger verhalten als 1992. Damals
brannten die Asylbewerberheime, und lange war unklar, ob der
ausländerfeindliche Mob nicht die Avantgarde der schweigenden Mehrheit
war.“
Damals, also ungefähr 1992, bemerkte Wolfgang Pohrt: Dass man Fremde nicht
einfach totschlägt, gehe nur in Deutschland bereits als Ausweis von
Zivilisiertheit durch. Pohrt – oder war es Eike Geisel? – meinte das
polemisch, di Lorenzo meint es ernst. Aber vielleicht glaubt er auch nur,
dass eine gewisse Tantenhaftigkeit, mit der man prima eine Wochenzeitung
für die ganze Familie machen kann, in politischen Fragen ebenfalls eine
gute Maxime ist.
Aber hat sich seit 1992 nichts verändert? Ein paar Dinge schon. Die
„Lügenpresse“ zum Beispiel, im Großen und Ganzen jedenfalls.
Besser: [22][Wagner].
5 Jan 2015
## LINKS
[1] http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/4628933/Lugenpresse-Ein-neuer-alte…
[2] /!152063/
[3] /!151914/
[4] http://www.zeit.de/2014/53/fluechtlinge-pegida-interview
[5] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-pegida-der-latenznazi-…
[6] http://jungle-world.com/artikel/2015/01/51175.html
[7] http://www.bild.de/news/standards/franz-josef-wagner/liebe-pegida-idioten-3…
[8] /!150061/
[9] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8026585.html
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/neues-buch-ueber-angela-merkel-s…
[11] http://www.ndr.de/info/sendungen/kommentare/Populisten-Poebel-und-Politike…
[12] /!151378/
[13] http://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/kurz-und-schmerzhaft/whats-ri…
[14] /!109018/
[15] http://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/index.html
[16] http://daserste.ndr.de/annewill/archiv/index.html
[17] http://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/sendungen/index.html
[18] http://www.zdf.de/maybrit-illner/archiv-maybrit-illner-5990166.html
[19] http://www.facebook.com/matthias.matussek/posts/4908745534085
[20] http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article135806015/Entwarnung-All…
[21] http://www.zeit.de/2014/52/pegida-dresden-debatte-zuwanderung
[22] http://www.bild.de/news/standards/franz-josef-wagner/liebe-pegida-idioten-…
## AUTOREN
Deniz Yücel
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