Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Presse- und Kunstfreiheit: Was darf die Satire?
> Jeder kennt die Antwort auf diese Frage. Doch nicht alles, was für sich
> reklamiert, Satire zu sein, ist auch eine. Was macht Satire aus?
Bild: Klar hat er das. Protest gegen ein Bundeswehr-Gelöbnis im Jahr 1999.
Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb
Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire,
die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire
beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel
gegen alles, was stockt und träge ist.
Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der
Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein
gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie
ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft,
verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen,
mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte
mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will,
also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen
Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende
Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den
Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: „Seht!�…
– In Deutschland nennt man dergleichen ‚Kraßheit‘. Aber Trunksucht ist e…
böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da
helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der
Prostitution ist es noch heute so.
Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen
Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige
‚Simplicissimus‘ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens
im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den
prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den
Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer
und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen
denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für
ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die
Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit
dicken Worten zunichte gemacht werden.
Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten
Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher
wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es
leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in
Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten,
und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere
Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager?
Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze
Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire
herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den
französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen,
welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie
scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen
Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden
von keinem Menschen gelesen.
Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und
Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte
und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten
und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich
aufbegehren (‚Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‘), wenn
einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er
sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter
Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit
denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende
nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im
öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.
So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche
Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und
Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös,
aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und
wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
Was darf die Satire?
Alles.
***
Der Satiriker, Feuilletonist und Schriftstseller Tucholsky wurde am 9.
Januar 1890 in Berlin geboren. In der Weimarer Republik wurde er als Autor
der von Siegfried Jacobsohn und später von Carl von Ossietzky
herausgegebenen Wochenzeitschrift Weltbühne berühmt. Mehrfach wurde gegen
ihn prozessiert, u.a. wegen „Gotteslästerung“. Von den Nazis verfolgt,
verließ er Deutschland. Am 21. Dezember 1935 starb er an den Folgen einer
Überdosis an Tabletten. Ob es ein Suizid war, konnte nie geklärt werden.
Heute wäre Kurt Tucholsky 125 Jahre alt geworden. Happy Birthday!
9 Jan 2015
## AUTOREN
Kurt Tucholsky
## TAGS
Kunstfreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
Satire
Kurt Tucholsky
Schwerpunkt Rassismus
Islamismus
Holocaust
Satire
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Charlie Hebdo
Islamophobie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil gegen Blogger: Wir sind (nicht) AfD ;)
Nathan Mattes überlegt, ob er seine Webseite „wir-sind-afd.de“ in der
Berufung verteidigt. Ein Gericht sieht das Namensrecht verletzt.
Kolumne Die eine Frage: Agenten des Paranoia-Wachstums
Eine Frage nach dem Mordanschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift
„Charlie Hebdo“ in Paris: Helfen „westliche Werte“?
Beinahe vergessene Autorin Lili Grün: „Ich bin so scharf auf Seele“
Lili Grün wurde im Holocaust ermordet. Der Band „Mädchenhimmel“ lässt ih…
Texte neu aufleben. Sie könnten von heute stammen. Fast.
Debatte künstlerische Provokation: Das Recht auf Spinnerei
Die Freiheit der Rede, Meinung und Kunst darf nicht angetastet werden.
Schmähungen prägen Diskurse – auch wenn sie misslingen.
Zum 125. Geburtstag von Kurt Tucholsky: „Heitere Schizophrenie“
Mit Witz, Verstand und Satire: Kurt Tucholsky benannte die Fehler der
Weimarer Republik und wetterte gegen Militarismus und Untertanengeist.
Politische Karikaturen in Frankreich: Unverzichtbare Verzerrung
Im 19. Jahrhundert schuf man in Frankreich die Grundlagen drastischer
Darstellungsformen. Ohne sie gäbe es weder HipHop noch Karikaturen.
Kommentar „Je suis Charlie Hebdo“: Jede Menge falsche Freunde
Die Pegidas dieser Welt haben kein Recht, die ermordeten Satiriker zu
instrumentalisieren. Und wer die Tat mit „Aber“ verurteilt, rechtfertigt
sie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.