| # taz.de -- Eurasische Wirtschaftsunion: Auftakt mit Hindernissen | |
| > Am 1. Januar 2015 ist die Eurasische Wirtschaftsunion in Kraft getreten. | |
| > Das Projekt soll die Rückkehr Russlands als Weltmacht ermöglichen. | |
| Bild: Träumt von alter Größe: Russlands Präsident Wladimir Putin. | |
| MOSKAU taz | Krasnaja Gorka war lange Zeit ein neuralgischer Punkt. Bis an | |
| den Horizont stauten sich die LKWs vor der Zollabfertigung an der | |
| russisch-weißrussischen Grenze früher. 2011 war es dann schlagartig vorbei. | |
| Russland, Kasachstan und Weißrussland stellten nach der Gründung einer | |
| Zollunion 2010 alle Kontrollen ein. | |
| Die Zollunion galt als Vorstufe zur Eurasischen Wirtschaftsunion (EUWU), | |
| die am 1. Januar 2015 in Kraft trat. Für Moskau stellt die EUWU im | |
| Vergleich zur Zollunion bereits eine „höhere Stufe der Integration“ auf | |
| supranationaler Ebene dar. Ginge es nach Russlands Präsidenten Wladimir | |
| Putin dürfte aus diesem Gebilde eines Tages die Eurasische Union erwachsen. | |
| Moskau sieht in ihr einen späteren „Brückenkopf zwischen Europa und der | |
| Pazifikregion“ und einen der „entscheidenden Pole der modernen Welt“. | |
| Doch zurück in die Gegenwart. Der Auftakt der EUWU ist nicht ganz planmäßig | |
| verlaufen. Seit Dezember wird in Krasnaja Gorka beiderseits der Grenze | |
| wieder kontrolliert. Schärfer als je zuvor und mit langen Wartezeiten, | |
| meinten Fernfahrer an der Trasse zwischen Minsk und Moskau. Der Grund sind | |
| Unstimmigkeiten. Russland wirft dem Nachbarn vor, die gegen die EU | |
| verhängten Sanktionen Russlands zu unterlaufen und das ist nicht aus der | |
| Luft gegriffen. | |
| Minsk profitiert vom selbstverhängten russischen Embargo. Es importiert | |
| Waren aus der EU, verpackt sie neu, etikettiert alles um und führt die | |
| Mogelpackung als weißrussisches Produkt nach Russland aus. „Lachs und | |
| Hummer aus Weißrusslands Sümpfen“ sind zum geflügelten Wort geworden. | |
| ## Minsk als Umschlagsplatz | |
| Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko machte schon im Sommer kein | |
| Hehl aus seinem Ansinnen, aus Moskaus Zwist mit dem Westen kräftig Kapital | |
| zu schlagen. Er bot Minsk offen als Umschlagplatz an. Russland erwartet | |
| jedoch, dass die Mitglieder der Zoll- und Wirtschaftsunion Moskauer | |
| Entscheidungen mittragen. Dazu sind aber weder Kasachstan noch Minsk | |
| bereit. | |
| Dass Russland die Sanktionen im Alleingang verfügte, ohne die Mitglieder zu | |
| konsultieren, sorgte schon anfangs für Verstimmung. Sie weigerten sich | |
| daraufhin auch, ukrainische Waren mit höheren Zöllen zu belegen. Bei einem | |
| Besuch in Kiew machten beide Präsidenten stattdessen deutlich, dass Moskaus | |
| Vorbehalte für sie keine Geltung hätten. | |
| Das Misstrauen, der Kreml könne die EUWU als Fundament einer neuen | |
| Reichsstruktur nutzen, sitzt tief. Fast schon zwanghaft verwiesen sie bei | |
| jeder Gelegenheit auf den ausschließlich wirtschaftlichen Charakter der | |
| Union. Der Kasache Nursultan Nasarbajew drohte sogar mit Rückzug aus der | |
| Union, sollte die Souveränität Kasachstans angetastet werden. Der ruppige | |
| Weißrusse formulierte es im Dezember noch schärfer: „Das Verhalten unseres | |
| östlichen Bruders gibt uns Anlass zur Sorge“, so Lukaschenko, „aber unsere | |
| Armee ist effizient genug, um auf jede Bedrohung zu reagieren“. Mit anderen | |
| Worten: Das Konsensprinzip ist noch nicht ausgereizt. | |
| ## Neues Etikett für ungelöste Probleme der Zollunion | |
| Nach außen stellt sich die EUWU zwar als eine auf Gleichberechtigung | |
| fußende Organisation dar. Tatsächlich wird die Kommission, das Gremium, das | |
| die Beschlüsse umsetzt, jedoch nach dem Zollaufkommen der Länder besetzt. | |
| Von den tausend Beamten der Kommission sind daher 84 Prozent Russen. Die | |
| Bezeichnung „Kommission“ suggeriert unterdessen strukturelle Ähnlichkeiten | |
| mit Institutionen der EU. | |
| Die Wiederaufnahme der Kontrollen zeigt jedoch, in welch rudimentärem | |
| Zustand sich Zollunion und EUWU noch befinden. Von einer gemeinsamen | |
| Handelspolitik gegenüber Drittstaaten sind die Partner des Zollverbands | |
| noch weit entfernt. Die Wirtschaftsunion wurde verkündet, ohne dass die | |
| vorherige Integrationsstufe der Zollunion bereits erreicht worden wäre. Die | |
| EUWU ist also nur ein neues Etikett für ungelöste Probleme der Zollunion. | |
| Deren Mitglieder sind zurzeit weniger an Freihandel interessiert als an | |
| protektionistischen Maßnahmen. Nach den Turbulenzen des Rubelverfalls sieht | |
| sich Russland nun auch mit der provokanten Forderung konfrontiert, den | |
| Zahlungsverkehr mit Minsk in Dollar statt Rubeln abzuwickeln. Vom | |
| Enthusiasmus eines Zukunftsprojektes ist nichts zu spüren. Zumal die | |
| Abwertung des Rubels die Lage noch einmal dramatisch veränderte. | |
| ## Putin hat das Imperium verspielt | |
| Dieses unfertige Projekt der Eurasischen Union nahm Wladimir Putin 2013 zum | |
| Anlass, die Ukraine zu destabilisieren und den Konflikt mit dem Westen zu | |
| suchen. Die Eile, mit der der Rohbau zusammengeschustert wurde, | |
| unterstreicht Moskaus politische Beweggründe, das dem Trugschluss aufsaß, | |
| mithilfe der Eurasischen Union die Rückkehr als Weltmacht beschleunigen zu | |
| können. Es war ein Tagtraum, so illusorisch wie einst die | |
| Selbstinszenierung als Energie-Supermacht. | |
| Die Trümmer des Ukrainekrieges und der Wirtschaftskrise haben diesen Traum | |
| unter sich begraben. Paradox: Jetzt braucht auch die Eurasische Union noch | |
| Unterstützung aus dem Westen. Wenn die EU und die Eurasier sich an einen | |
| Tisch setzen und über Wirtschafts- und gemeinsame Sicherheitsstrukturen | |
| verhandeln, wie es Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeiers | |
| vorschwebt, würde dieses lahmende Gebilde erst mit Leben erfüllt und im | |
| Sinne Moskaus aufgewertet. | |
| Dennoch wäre es einen Versuch wert, um im Gespräch zu bleiben. Gleichzeitig | |
| böte es dem Kremlchef die Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust aus der | |
| verfahrenen Lage herauszukommen. Eins steht nämlich fest: Putin hat das | |
| Imperium verspielt. Den Rest erledigt die Wirtschaftskrise. | |
| 17 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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