# taz.de -- Dokumentarfilm über Eishockey: „Eine kreative Revolution“ | |
> Der Film „Red Army“ handelt von Eishockey in der Sowjetunion. Regisseur | |
> Gabe Polsky über die russische Seele, Putin und Bären auf Schlittschuhen. | |
Bild: „Besser als alles, was danach kam“: Eishockey in der Sowejtunion. | |
taz: Herr Polsky, Sie wuchsen in den 80er Jahren in Chicago auf. Wussten | |
Sie damals etwas über sowjetisches Eishockey? Sie wollten ja selbst | |
Eishockeyspieler werden. | |
Gabe Polsky: Meine Eltern waren sowjetische Einwanderer aus der Ukraine. | |
Sie kamen 1976 an. Als Kind wollte ich mich an die amerikanische Kultur | |
anpassen und mit der russischen Sprache nichts zu tun haben. Mir war das | |
peinlich, es war einfach nicht cool, das merkte ich, auch wenn ich nicht | |
viel davon verstand. Ich weiß nicht – soll ich Ihnen die lange Version der | |
Geschichte erzählen? | |
Bitte. Legen Sie los. | |
Als ich dreizehn Jahre alt war, hatte ich einen Trainer, der aus der | |
ehemaligen Sowjetunion kam. Er öffnete mir die Augen für Sport und Hockey, | |
ermunterte mich, kreativ zu sein, und seine Art zu spielen war das | |
Gegenteil dessen, was ich vorher kennengelernt hatte. Wir improvisierten, | |
liefen auf den Händen oder trugen die Mitspieler auf dem Rücken. Er wurde | |
in der Hockey-Gemeinde von Chicago ein bisschen verspottet, aber mir half | |
er dabei, mich als Spieler und als Mensch zu entwickeln. Und dann fiel mir | |
ein Video in die Hände, in dem es um sowjetisches Hockey ging. Das war | |
1987, der Canada Cup. Das Hockey, das damals gespielt wurde, ist besser als | |
alles, was danach kam. Ich war gebannt von dem, was ich auf dem Eis sah. | |
Weshalb? | |
Weil es eine kreative Revolution war. Was sie machten, war unglaublich, sie | |
spielten auf eine so tiefgehende Art und Weise, auf der Ebene des Gefühls | |
wie auf der des Verstands. Ich fing an, mehr darüber zu lesen, und dabei | |
merkte ich, dass es nicht nur um Hockey ging, sondern vor allem um | |
Russland, die Russen und die „russische Seele“. Darüber, wie man in der | |
Sowjetunion lebte. Für das Individuum gab es kaum Respekt, man konnte die | |
Autorität nicht herausfordern, man musste seinem Land dienen. | |
Im Zentrum von „Red Army“ steht der Spieler Slawa Fetissow. Wie sind Sie | |
auf ihn zugegangen? Am Anfang wirkt er so, als lasse er sich nur | |
widerwillig darauf ein, mit Ihnen zu sprechen. | |
Ja. Ich habe ihn mehrmals angerufen, sechs, sieben Mal, er hat jedes Mal | |
abgelehnt. Bis heute weiß ich nicht, warum er mich dann doch eines Tages | |
doch zurückrief und sagte: „Okay, ich treffe Sie für 15 Minuten.“ Also | |
verabredeten wir uns, und er war am Anfang ziemlich unfreundlich, auch | |
zwischendurch, aber aus den 15 Minuten wurden 5 Stunden. Ich glaube, er | |
öffnete sich, weil er merkte, dass ich mit Leidenschaft bei der Sache war | |
und außerdem etwas von Hockey verstand. | |
„Red Army“ erzählt viel über Fetissows Leben und über die Zwänge, denen… | |
zu Sowjetzeiten ausgesetzt war. Worüber wir wenig erfahren, ist seine | |
Karriere als Politiker in den letzten zehn, zwölf Jahren. Warum? Wollte er | |
darüber nicht reden? Oder dachten Sie, das sei ein ganzes neues Kapitel, | |
das Sie lieber nicht öffnen wollten? | |
Beides. Ich möchte Filme drehen, die einnehmend sind. Mich mit politischen | |
Details zu beschäftigen, fand ich nicht so interessant. Ich wollte gerade | |
so viel davon zeigen, dass es die Geschichte, die ich erzählen will, | |
unterstützt. Dass er nach Russland zurückkehrt, für Putin arbeitet und ein | |
gewisses Maß an Macht erlangt, erscheint mir interessant und zugleich auch | |
mysteriös, es ist ein Paradox. Und als Dokumentarfilmer ist es ja ein | |
bisschen so, als würde man Musik machen. Man muss einfach spüren, ob es | |
sich richtig anfühlt oder nicht. | |
Aber er ist nah dran an Putin; er hat sich zum Beispiel sehr für die | |
Olympischen Spiele in Sotschi starkgemacht, und das ist ja auf einer | |
politischen Ebene mindestens diskussionswürdig. | |
Ja, das hat er, und es ist auch im Film drin. | |
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, mir geht es nicht darum, dass man | |
als Dokumentarfilmer seinen Protagonisten partout zu kritisieren hat. Aber | |
Sie haben ja selbst erwähnt, dass es ein Paradox gibt: Fetissow hat heute | |
Macht, und das steht in Widerspruch zu der Person, die wir im größten Teil | |
des Films kennen gelernt haben. Vielleicht habe ich mir manchmal gewünscht, | |
dass Sie dieses Paradox in Ihrem Film stärker zur Kenntlichkeit bringen. | |
Man überlegt sich die ganze Zeit, was man in den Film hineinnimmt und was | |
man draußen lässt. Das ist die Herausforderung. Es gibt eine Fülle an | |
Informationen, und man fragt sich, welche davon wirklich hilfreich sind. | |
Und dann muss man auch kalkulieren. Um ganz ehrlich zu sein: Hätte ich | |
etwas anderes in den Film aufgenommen, hätte es ihn vielleicht zerstört, | |
hätte es ihm die Chancen, Verleiher zu finden, genommen. Sie wissen ja, wie | |
Leute auf Filme schauen: Manchmal reicht ein Stückchen Information, und | |
alle regen sich auf. Es ist ein Balanceakt. Auf der einen Seite soll es | |
emotional befriedigen und ein wenig rätselhaft bleiben, auf der anderen | |
Seite muss man genug Informationen geben, damit man die Wahrheit an den Tag | |
bringt. Aber muss man deswegen alles bis ins letzte Detail verfolgen? | |
Nein, natürlich nicht. | |
Ich mache das übrigens den ganzen Film über: Manchmal liefere ich | |
Informationen, manchmal nicht. Und es bleibt mysteriös, zum Beispiel im | |
Hinblick auf den Spieler, der Fetissow verraten hat. Es geht manchmal auch | |
gar nicht so sehr darum, was tatsächlich geschehen ist, sondern um die Idee | |
dessen, was geschehen ist. | |
Einmal interviewen Sie einen Journalisten. Der sagt, dass alle, die heute | |
in Russland etwas entscheiden, mit dem sowjetischen System groß geworden | |
sind. Man merkt hier das Paradox. | |
Ja, und sie werden von diesem Paradox heimgesucht. Putin war beim KGB. | |
Fetissow arbeitet mit ihm. Ich weiß nicht, aber ich glaube, wenn man eine | |
bestimmte Ebene erreicht, dann muss man mit solchen Leuten umgehen. Es | |
gehört einfach dazu. Im Filmbusiness habe ich auch mit Leuten zu tun, deren | |
Umgang ich alles andere als genieße. | |
Verstellt man sich vieles, wenn man hohe moralische Standards hat? | |
Man kann nichts ändern, solange man nicht mit Leuten zusammenarbeitet. | |
Ich möchte gerne noch nach dem Archivmaterial in „Red Army“ fragen. Zum | |
Teil ist es wirklich sehr überraschend, etwa die Bilder von Schlittschuh | |
laufenden Bären. Wie sind Sie daran gekommen? | |
Ein russischer Mitarbeiter hat danach gesucht, nachdem ich ihm eine Liste | |
gegeben hatte, auf der stand, wonach ich Ausschau hielt. Er sagte mir dann: | |
„Okay, das ist in diesem oder in jenem Filmarchiv.“ Es gibt zwei | |
Filmarchive. Man muss wissen, wonach man sucht, bevor man das Material | |
bestellt, es ist nämlich sehr teuer. Also ging ich in die Archive, es waren | |
alte, verfallende Gebäude, die Filmdosen stapeln sich in den Regalen. Sie | |
sagten mir: „Hier haben wir, wonach Sie suchen“, und gaben mir fünf | |
Filmdosen. Und dann setzte ich mich an einen Tisch und begann auszuwählen. | |
Aber das war eine ineffiziente Methode. Ich hätte mir wochenlang Footage | |
anschauen können. | |
Sie sagten eben, dass der schwierige Aspekt des Filmemachens die | |
Entscheidung ist, was in den Film hineinkommt und was draußen bleibt. Wie | |
sind Sie denn bei der Auswahl des Archivmaterial vorgegangen? | |
Die Schnittmeister haben daran entscheidenden Anteil, und es ist vor allem | |
Intuition, ein Gefühl für Rhythmus, für das, was einen bewegt. Jedes Bild | |
stößt an das vorangegangene, und ob das funktioniert und wie viel Zeit es | |
auf der Leinwand bekommt, das ist eine Frage des Geschmacks. Das klingt | |
vielleicht simpel, aber wenn man sich etwas anschaut, weiß man, ob es | |
funktioniert oder nicht. | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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