# taz.de -- Prozess gegen Sebastian Edathy beginnt: Verschämt und verschwiegen | |
> Seine Verteidigung fordert die sofortige Einstellung – die | |
> Staatsanwaltschaft führe kein faires Verfahren. Ihr Mandant habe nie eine | |
> Chance gehabt. | |
Bild: Der Angeklagte steht zu Prozessbeginn im Gerichtssaal in Verden. | |
VERDEN/ALLER taz | Sebastian Edathy wirkt schüchtern, fast | |
niedergeschlagen, als er am Montagmorgen den Gerichtssaal 104 des | |
Landgerichts in Verden an der Aller bei Bremen betritt. Um Punkt 10 Uhr | |
beginnt hier sein Prozess. Der Besitz von Kinder- und Jugendpornografie: | |
Dieser Vorwurf zerstörte nicht nur Edathys bürgerliche Existenz – die | |
Affäre hat auch Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sein | |
Regierungsamt gekostet. Und die Frage, wer wann was über die Affäre wusste, | |
wer Edathy möglicherweise gewarnt hat, beschäftigt in Berlin einen | |
Bundestags-Untersuchungsauschuss. | |
Doch in diesem Gerichtssaal, der mit seinem grünen Teppichboden wie aus der | |
Zeit gefallen wirkt, will der mit grauen Jackett und dunkelblauer Krawatte | |
gekleidete ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete kämpfen. Gleich zu Beginn | |
lässt er seinen Verteidiger Christian Noll eine Erklärung verlesen: Edathy | |
habe längst keine Chance mehr auf ein „faires Verfahren“ – schließlich … | |
ausgerechnet Niedersachsens einflussreichster Generalstaatsanwalt Frank | |
Lüttig selbst verdächtigt, „Straftaten zu Lasten von Herrn Edathy“ verübt | |
zu haben, argumentiert der Rechtsanwalt aus Berlin. | |
Denn Generalstaatsanwalt Lüttig steht spätestens seit Freitag selbst im | |
Zentrum eines Skandals. Im niedersächsischen Landtag hatte die grüne | |
Landesjustizministerin Antje Niewisch-Lennartz den Abgeordneten erklären | |
müssen, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen ein Verfahren wegen | |
Geheimnisverrats gegen den ranghohen Juristen führt. In Edathys Fall wie im | |
Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff soll Lüttig | |
Journalisten mit Ermittlungsergebnissen gefüttert haben. Er ist | |
Vorgesetzter der Staatsanwaltschaft Hannover, die in beiden Verfahren die | |
Ermittlungen führte. | |
Der Generalstaatsanwalt selbst könnte damit die mediale Vorverurteilung | |
Sebastian Edathys befeuert haben, klagt Verteidiger Noll. Zwar gelte für | |
Lüttig vorerst noch die Unschuldsvermutung, so der Rechtsanwalt in seinem | |
Antrag. Sein Mandant Edathy dagegen habe eine solche Chance nie gehabt: Mit | |
immer neuen an die Presse durchgestochenen Details habe die | |
niedersächsische Justiz Edathy schon vor einem Jahr als Pädophilen | |
gebrandmarkt. Heute sei offenbar die gesamte Ermittlungsakte „auf dem | |
Markt“. | |
## Ende bürgerlichen Existenz | |
Edathy, der bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 in Berlin als | |
möglicher Staatssekretär gehandelt wurde, habe die Politik verlassen | |
müssen. Eine andere „berufliche Perspektive“ sei nicht in Sicht, Freunde | |
hätten sich abgewandt. Außerdem habe der heute 45-Jährige, der einst als | |
Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses reüssierte, „über 100 | |
Morddrohungen“ erhalten: „Im Internet ist seine Hinrichtung gefordert | |
worden. Man hat ihm mit dem Galgen gedroht, andere meinten, er solle | |
gehäutet werden.“ Auch gegen die Familie habe es Drohungen gegeben. | |
Jedes andere Verfahren gegen einen weniger prominenten Angeklagten wäre | |
dagegen wegen geringer Schuld längst gegen eine Geldbuße eingestellt | |
worden, argumentiert Anwalt Noll. Zwar soll Edathy den Staatsanwälten | |
zufolge zwischen dem 1. und dem 10. November 2013 an sechs Tagen | |
kinderpornografisches Material auf seinen Bundestags-Dienstlaptop | |
heruntergeladen haben – die Videos hätten einen klaren | |
„geschlechtsspezifischen Bezug“, so die Ermittler. | |
Außerdem stufen sie den bei einer Durchsuchung eines Edathy-Büros | |
gefundenen Bildband wie eine CD als jugendpornografisch ein. | |
Geschlechtsverkehr oder gar Vergewaltigungen dürften aber nicht zu sehen | |
sein. Die „dem Angeklagten zur Last gelegten Rechtsverletzungen“ wiesen | |
„kein besonderes Ausmaß auf“, schrieb das Landgericht bereits in seinem | |
Eröffnungsbeschluss. Dem Sozialdemokraten, dessen Parteiausschlussverfahren | |
bis zum Ende des Prozesses ruht, droht keinesfalls Haft: „Die | |
Straferwartung“ dürfte „eher im im unteren Bereich anzusiedeln“ sein, he… | |
es im Eröffnungsbeschluss – wahrscheinlich ist eine Geldstrafe, heißt das | |
wohl. | |
Für Anwalt Noll folgt daraus: Wegen der Vorverurteilung, wegen des im Raum | |
stehenden Geheimnisverrats ist das Verfahren gegen Edathy sofort zu | |
beenden. Der Verlust der bürgerlichen Existenz sei eine viel härtere | |
Strafe, als sie das Gericht unter Richter Seifert jemals verhängen könnte. | |
Und hilfsweise, schiebt der Jurist nach, müsse zumindest auf das Ende der | |
Ermittlungen gegen Generalstaatsanwalt Lüttig gewartet werden: Der stehe im | |
Verdacht des Verrats von Dienstgeheimnissen zu Lasten Edathys, sei aber bis | |
heute nicht suspendiert und damit auf Ermittlerseite noch immer so etwas | |
wie der „Herr des Verfahrens“ – und das könne damit auf keinen Fall „f… | |
sein. | |
## Das Verfahren abbrechen | |
Doch von einer sofortigen Einstellung, von einem Platzen des Prozesses will | |
Richter Seifert nichts wissen. Er kann das Verfahren nicht schon am ersten | |
Tag abbrechen, ohne erklären zu müssen, warum das Hauptverfahren dann | |
überhaupt zugelassen wurde. Die als Laienrichter fungierenden Schöffinnen | |
Regina Meyer und Susanne Töhne müssten doch immerhin die Chance bekommen, | |
die konkrete Anklage zu hören, argumentiert der Vorsitzende deshalb. | |
Also darf der leitende Oberstaatsanwalt Thomas Klinge die Anklage verlesen. | |
Sekundengenau listet er auf, wann Edathy auf den russischen Internetseiten | |
pics.ru und fastpic.ru Kinderpornografie betrachtet haben soll. Von den | |
Merkwürdigkeiten des Verfahrens, von den Pannen seiner Staatsanwaltschaft | |
sagt er nichts. | |
Dabei wurden Edathys Wohnung in Rehburg-Loccum nahe Hannover und sein | |
Wahlkreisbüro in Nienburg/Weser bereits einen Tag vor der formalen | |
Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter durchsucht. In seinem | |
Bundestagsbüro tauchten die Ermittler dagegen erst auf, als seine | |
Nachfolgerin Gabriele Groneberg schon eingezogen war. | |
Stattdessen beschreibt der 58-Jährige, wie „männliche Jugendliche“ in dem | |
Bildband „Boys in ihrer Freizeit“ unter „Zurschaustellung ihrer Genitalien | |
posieren“. Der Angeklagte Edathy blickt dabei verschämt zu Boden. | |
## Keine Wischiwaschi-Erklärung | |
Danach überrascht Richter Seifert mit einer Erklärung. Schon im November | |
habe das Gericht über eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße | |
„im mittleren vierstelligen Bereich“ nachgedacht. Die Verteidigung habe | |
Zustimmung signalisiert, die Staatsanwaltschaft aber am 8. Januar 2015 | |
abgelehnt – Hannover wollte Edathy unbedingt vor Gericht sehen. Doch der | |
nochmalige, öffentliche Hinweis von Richter Seifert ist überdeutlich. Das | |
Landgericht will eine Einstellung gegen Geldauflage. Aber Oberstaatsanwalt | |
Klinge macht klar, was er vom Angeklagten dafür verlangt: ein Geständnis. | |
Edathy, der bisher immer behauptet hat, die von ihm betrachteten Videos | |
seien vielleicht moralisch bedenklich, ihr Besitz aber legal, lacht kurz | |
auf – und macht den Leitenden damit wirklich wütend. „Da können Sie ruhig | |
lachen, Herr Edathy“, bricht es aus Klinge heraus. „Ich will keine | |
Wischiwaschi-Verteidiger-Erklärung von Ihnen.“ Stattdessen stellt er den | |
Ex-Innenpolitiker vor eine klare Entscheidung: Entweder räume er „eine | |
klare Straftat“ ein – oder er habe „den Anspruch, dass diese Frage hier | |
gerichtsfest geklärt wird“. | |
Das Gericht hat Edathy eine Woche Zeit gegeben, sich zwischen Geständnis | |
und Prozess zu entscheiden. Der nächste Verhandlungstermin in Verden ist | |
für den kommenden Montag festgesetzt. | |
23 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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