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# taz.de -- Schnelles Prozess-Ende im Fall Edathy: Das kleinere Übel
> „Die Vorwürfe treffen zu.“ Vier Worte beenden das Verfahren gegen
> Sebastian Edathy. Als Geständnis will dieser das aber nicht verstehen.
Bild: Das war's dann. Sebastian Edathy nach dem Prozessende.
VERDEN taz | Um 10.29 Uhr verlässt Sebastian Edathy den Gerichtssaal. Er
wird 5.000 Euro an den Kinderschutzbund zahlen. Er ist nicht vorbestraft.
Seine Familienbibel, die Playstation und andere beschlagnahmte Gegenstände
darf der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete aus der Asservatenkammer des
Landeskriminalamts abholen.
So endet nach monatelangen Ermittlungen, vier Hausdurchsuchungen und zwei
Prozesstagen der strafrechtliche Teil der Causa Edathy; einer Affäre, die
eine Politikkarriere zerstörte, die SPD in Erklärungsnot brachte und dem
Bundestag einen Untersuchungsausschuss bescherte.
Die Affäre ist nicht beendet, aber Sebastian Edathy spielt nicht mehr die
Hauptrolle. Dank einer Erklärung, verlesen durch seinen Anwalt, stellt das
Gericht das Verfahren gegen ihn ein. „Die Vorwürfe treffen zu“, erklärte
Verteidiger Christian Noll in der Einlassung. Ein Satz, der eindeutig
klingt, der viel weniger eindeutig gemeint war und zu dem sich der
Angeklagte nur schwer durchringen konnte.
Um Punkt 10 Uhr betritt der ehemalige SPD-Abgeordnete Saal 104 des
Landgerichts Verden. Seine Stirn liegt in Falten, die Lippen presst er
aufeinander. Der Kinderporno-Vorwurf ist nun mal nicht schmeichelhaft, und
nach den Ereignissen des ersten Prozesstages liegt heute alle
Aufmerksamkeit auf dem Angeklagten. Vor einer Woche kündigte die
Staatsanwaltschaft an, einer Einstellung zuzustimmen – wenn Edathy alle
Vorwürfe gesteht. Unter Juristen ist eine solche Bedingung umstritten, aber
rechtlich kann der Angeklagte nicht dagegen vorgehen.
## Nicht der Typ für Selbstkritik
Er hat nur zwei Möglichkeiten: Angebot annehmen oder abschlagen. „Die
Vorwürfe treffen zu“, verliest der Anwalt also in Edathys Namen. „Die in
der Anklageschrift genannten Gegenstände hatte ich in meinem Besitz.“ Er
meint einen Bildband und eine Film-CD, die die Ermittler bei den
Hausdurchsuchungen gefunden haben und dessen Inhalt die Staatsanwaltschaft
als jugendpornografisch einordnet. Bilder und Filme, die über den Laptop
des Politikers abgerufen wurden, bewertet sie sogar als
kinderpornografisch. „Ich habe diese Dateien heruntergeladen und geöffnet“,
bekennt Edathy nun. „Ich habe eingesehen, dass ich einen Fehler begangen
habe.“
Hätte er diese Erklärung vor Monaten abgegeben, wäre das Hauptverfahren
gegen ihn wohl gar nicht erst eröffnet worden. Aber Edathy ist nicht der
Typ, dem Bekenntnisse und Selbstkritik leicht fallen. Auf einer
Pressekonferenz sagte er vor Weihnachten, dass sein Verständnis vom
Rechtsstaat beinhalte, dass „Privates niemanden etwas angehe“. Er sieht
sich vor allem als Opfer übereifriger Staatsanwälte. Auf deren Angebot ist
er nun wohl nur eingegangen, weil ihm die Alternative noch schwerer
gefallen wäre.
Ohne Geständnis hätte der Prozess mindestens acht Wochen gedauert. Die
Staatsanwälte hätten alle Dateien präsentiert, die Edathy herunterlud. Sie
hätte ihn nach den Suchbegriffen gefragt, die er bei Google eingab:
„spongebob abuse boy“ oder „scooby do childporn“. Das Geständnis war f…
ihn ganz einfach das kleinere Übel.
## Staatsanwaltschaft unter Druck
Und die Gegenseite? „Uns kam es darauf an, dass Unklarheiten beseitigt
werden und ein Geständnis kommt“, sagt Staatsanwalt Thomas Klinge, als
Edathys Anwalt fertig ist. Seine Behörde steht unter Druck: Der
Anfangsverdacht gegen den Abgeordneten war so schwach, dass die Razzien in
den Büros und Wohnungen kaum angemessen waren. Seit Mitte Februar wird
gegen Chefermittler Frank Lüttig ermittelt, der Verfahrensdetails an
Journalisten verraten haben soll.
Dass der Angeklagte seine Schuld eingesteht, ist für die Staatsanwaltschaft
endlich einmal ein Erfolgserlebnis. Lange währt es aber nicht. Die
Verhandlung ist gerade erst beendet, als Anwalt Noll vor dem Saal
Journalisten um sich versammelt und ihnen seine Interpretation der
Verhandlung zuraunt. Edathy habe zwar soeben gestanden, die Bilder und
Videos heruntergeladen zu haben, die die Staatsanwaltschaft in der Anklage
aufführt. Ob es sich dabei aber tatsächlich um Kinderpornos handelt?
„Das ist die Bewertung der Staatsanwaltschaft. Ob sie von uns geteilt wird,
dazu haben wir uns nicht geäußert.“ Im gleichen Moment verschickt sein
Mandant [1][einen Facebook-Eintrag]. „Ich weise darauf hin, dass ein
’Geständnis‘ ausweislich meiner heutigen Erklärung nicht vorliegt“,
schreibt er darin.
## Ein würdiges Schauspiel ist das nicht
Eines kann Edathy eben auch an diesem Tag nicht verbergen: dass er einen
gewissen Drang dazu hat, unbedingt recht zu haben. Was er getan hat, hält
er immer noch für legal. Ein würdiges Schauspiel ist das nicht. Punkten
kann Edathy damit auch nicht.
„Jeder ’normale‘ Bürger wäre verknackt worden. Und womit? MIT RECHT!!!�…
schreibt ein Facebook-Nutzer unter seinen Post.
Faktisch ist das zwar falsch. Aber am Montagmittag ist der Mann mit seiner
Meinung nicht allein. Wenn die sozialen Medien ein halbwegs zuverlässiger
Gradmesser sind, dann hält sich das Verständnis für den Prozessausgang
außerhalb des Veldener Gerichtsgebäudes in Grenzen.
Wären Fernsehübertragungen aus Gerichtssälen erlaubt, sähe das vielleicht
anders aus. Nach dem Geständnis, das hinterher keins gewesen sein soll,
erklärt Richter Jürgen Seifert, warum er das Verfahren einstellt. Der
Angeklagte sei nicht vorbestraft, ihm können nur wenige Taten nachgewiesen
werden, und das Verfahren sei für ihn wohl Strafe genug: „Er hat sich heute
vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit seinem Fehlverhalten gestellt.“
Es sind wenige Sätze, juristisch korrekt, dennoch leicht zu verstehen. Zum
Schluss kommt er auf diejenigen zu sprechen, die in der ganzen Affäre kaum
mehr eine Rolle spielen; nicht im Untersuchungsausschuss, nicht im Prozess
und schon gar nicht in Edathys Facebook-Einträgen. „Ich hoffe“, sagt der
Richter, und es sind die letzten Worte in dieser Gerichtsverhandlung, „ich
hoffe, dass in Zukunft immer weniger Kinder Opfer von Missbrauch werden.“
2 Mar 2015
## LINKS
[1] http://www.facebook.com/edathy/posts/889535514442550?pnref=story
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
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