# taz.de -- Joumana Haddad über arabische Tabus: „Das Hauptproblem ist die R… | |
> Die Autorin Joumana Haddad hält nicht viel von Tabus. Ein Gespräch über | |
> sexuelle Freiheit, einen libanesischen Pornostar und wie sie zur Mörderin | |
> wurde. | |
Bild: Die drei monotheistischen Religionen Islam, Christentum und Judentum steh… | |
taz: Frau Haddad, im Januar wurde die Libanesin Mia Khalifa zur | |
beliebtesten Pornodarstellerin der Internetplattform Pornhub gewählt. | |
Fanden Sie das gut? | |
Joumana Haddad: Solange sie ihrem Beruf aus freien Stücken nachgeht, kann | |
ich ihr nur applaudieren und sage: „Bravo!“ Aber ich sehe die | |
Pornoindustrie durchaus kritisch, in der immer noch überwiegend Männer das | |
Sagen haben und Frauen benutzen. Ich hoffe, dass das bei Mia Khalifa nicht | |
der Fall ist. | |
Mia Khalifa bekam nach ihrer Nominierung viel Kritik und sogar | |
Morddrohungen – vor allem aus dem Libanon. Was ist der Grund für diese | |
Reaktionen? | |
Diese Reaktionen kenne ich. Ich selbst wurde für meine Arbeit hier schon | |
schlimm beschimpft. Man nannte mich „Schlampe“, „Hure“ und drohte mir m… | |
dem Tod. Aber auf das Echo muss man sich einstellen. Die Menschen hier | |
haben Angst vor dem, was sie sind, und davor, ihre sexuelle Freiheit | |
einzufordern. Sie haben eine sehr ungesunde Beziehung zu ihrem Körper und | |
ihrer Sexualität. | |
Woher kommt diese Entfremdung zum eigenen Körper? | |
Das hängt mit dem Aufstieg der religiösen Extremisten in der Region | |
zusammen, die die sexuelle Freiheit von Männern und Frauen im Keim | |
ersticken wollen. Sie predigen, dass die eigene Sexualität etwas | |
Bösartiges, Beschämendes und Sündiges ist. Man erzieht sie dazu, das | |
Körperliche selbst zu unterdrücken und zu verstecken. Vor allem Frauen | |
lernen so nicht, wie schön es ist, über den eigenen Körper zu verfügen, ihn | |
zu erforschen, zu genießen und zu schützen. | |
Brachten Sie deshalb das erste arabische Erotikmagazin Jasad – zu Deutsch | |
„Körper“ – 2008 im Libanon auf den Markt? | |
Durch Jasad wollte ich einen Diskurs über körperliche Freiheiten in der | |
arabischen Gesellschaft anregen. Denn Sexualität und Erotik waren einst ein | |
wichtiger Teil der arabischen Kultur, besonders in der Literatur. Geht man | |
einige Jahrhunderte zurück, dann findet man arabische Schriften, die viel | |
erotischer und subversiver als alle Werke waren, die zu dem Zeitpunkt im | |
Westen entstanden sind. Mittlerweile sind viele Themen in der arabischen | |
Welt durch Religion tabuisiert. Jungfräulichkeit, Homosexualität und | |
sexuelle Befreiung zum Beispiel. Diese Themen wollte ich ansprechen. Ich | |
ließ auch viele teils erotische Kunstwerke von arabischen als auch nicht | |
arabischen Künstlern abdrucken. | |
Wie wurde Jasad von der Öffentlichkeit aufgenommen? | |
Das Magazin sorgte für eine große Kontroverse. Viele Menschen versuchten, | |
die Veröffentlichung zu stoppen. Sie bezeichneten das Heft als | |
pornografisch, nur weil sie ästhetische, erotische Kunst nicht von billigen | |
Schmuddelbildchen unterscheiden konnten. Aber ich hatte viel Glück, denn | |
zwei Minister setzten sich für meine Publikation ein. Nach zwei Jahren | |
musste ich Jasad dennoch aus finanziellen Gründen einstellen, da sich | |
niemand traute Werbung im Heft zu platzieren. | |
Ähnlich kontrovers wurde 2010 ihr Buch besprochen: „Wie ich Scheherazade | |
tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau“. Was machte Sie so | |
wütend auf die Geschichtenerzählerin aus „Tausendundeiner Nacht“? | |
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe die Geschichten aus | |
„Tausendundeiner Nacht“. Doch Scheherazade präsentiert eine Frau, die einem | |
ungerechten Todesurteil entgeht, indem sie dem König jede Nacht eine | |
spannende Geschichte erzählt. Heutzutage wandeln viel zu viele | |
Scheherazades auf dieser Welt. Sie denken, dass sie sich einer Autorität, | |
einem Mann unterwerfen müssen, um ihre Grundrechte zu wahren. Ich will, | |
dass diese Frauen – im übertragenen Sinne – ihre Geschichten erzählen, we… | |
sie das wollen, und nicht, weil sie es müssen und das ihre Tauschware ist. | |
Der Hauptgrund aber, warum ich das Buch geschrieben habe, ist das verklärte | |
Bild der arabischen Frau im Westen. | |
Wie meinen Sie das? | |
Im Westen dominieren leider immer noch Stereotypen der arabischen Frauen. | |
Entweder ist sie, wie Scheherazade, eine verlockende, verführerische Frau. | |
Und dieses exotisch-orientalische Frauenbild ist eine sehr beschränkte | |
Sicht auf die Araberinnen. Genauso wie sie häufig als Opfer dargestellt | |
werden. Sie sind unterdrückt und jemand muss sie retten. Natürlich gibt es | |
diese Frauen hier, aber auch woanders. | |
Wie wird Scheherazade in der arabischen Welt wahrgenommen? | |
Sie wird als ein Vorbild der Frauenemanzipation gesehen. Diese Zuschreibung | |
mag für die Zeit vor über tausend Jahren zutreffend sein, in der ihre | |
Geschichte entstand. Heute sollte wir aber andere Ideale verfolgen. | |
Sie bezeichnen sich selbst als Postfeministin. Wie ist das zu verstehen? | |
Ich sehe den Mann nicht als den Feind der Frau an, und ich glaube auch | |
nicht daran, dass Frauen allein für Gleichberechtigung kämpfen sollen. Da | |
draußen gibt es viele Männer, die Feministen sind. Frauen und Männer müssen | |
sich verbünden. Denn Feminismus steht im Grunde für Gerechtigkeit. Jeder | |
Mensch ist einzigartig, aber wir verdienen alle die gleichen Rechte und | |
eine faire Behandlung im privaten und öffentlichen Leben. | |
Was blockiert die Gleichberechtigung in arabischen Ländern? | |
Das Hauptproblem bleibt und ist die Religion. Und ich meine damit alle drei | |
monotheistischen Religionen: Islam, Christentum und Judentum. Bis auf ein | |
paar Ausnahmen sehen sie die Frau als Accessoire. Natürlich wird | |
gegenseitiger Respekt gepredigt, aber das ist doch noch keine | |
Gleichberechtigung. Solange wir nicht in einem säkularen Land leben, in dem | |
Religion Privatsache ist, fühle ich mich nicht als vollwertige Bürgerin. | |
Selbst im Libanon, der eigentlich eine Demokratie sein sollte, werden | |
Familienangelegenheiten vor einem religiösen Gericht entschieden. Wenn ich | |
also als Muslim geboren werde, gilt für mich die islamische Rechtsprechung. | |
Die Christen haben hier dasselbe System. | |
Sie sagen also, dass Religion die Freiheiten der Frau einschränkt. Können | |
religiöse Frauen sich dann überhaupt emanzipieren? | |
Natürlich, ich persönlich kenne viele religiöse Frauen, die ihren Glauben | |
privat leben und emanzipiert sind. Sie verdienen ihr eigenes Geld und sind | |
somit viel unabhängiger als die meisten Libanesinnen, die sich nur deshalb | |
frei fühlen, weil sie anziehen, was sie wollen, und ausgehen, wann sie | |
wollen. | |
Hat sich seit den arabischen Umbrüchen 2011 etwas an der Situation der | |
Frauen verändert? | |
Ja, und es hat ihnen sicher nicht gutgetan. Bei den Demonstrationen, wie in | |
Ägypten damals, sah man viele Frauen. Sie gaben den Umbrüchen ein Gesicht. | |
Doch mit der Zeit wurden sie zur Seite gedrängt. Sie hätten egoistischer | |
sein und an ihrer Emanzipation arbeiten sollen. Nur in Tunesien waren die | |
Frauen erfolgreich, weil sie unablässig auf ihre Rechte bestanden. | |
In Tunesien erreichten die Frauen eine Frauenquote im Parlament und dass | |
sie in der neuen Verfassung gleichgestellt sind. Im Libanon gab es 2011 | |
keine populäre Revolution. Wie viel politischen Einfluss haben Frauen hier | |
heutzutage? | |
Männer dominieren die libanesische Politik. Man findet nicht einmal eine | |
Handvoll Frauen im Parlament. Doch daran sind die Libanesinnen auch selbst | |
schuld, die sich nicht in politische Prozesse einmischen wollen. Viele | |
denken, dass sie schon emanzipiert sind, weil sie hier Auto fahren und | |
kurze Kleider anziehen dürfen. Fehlende Gleichberechtigung ist im Libanon | |
für fast alle Parteien eher ein Luxusproblem. Die meisten Libanesen finden, | |
dass Gleichberechtigung bei Weitem nicht so wichtig ist wie der Kampf gegen | |
Korruption oder das Ankurbeln der Wirtschaft. | |
Braucht es mehr Provokateure wie Sie, um Menschen zu einem Umdenken zu | |
bewegen? | |
Ich glaube nicht, dass das der einzige Weg ist. Ich will den schrittweisen | |
Prozess nicht verdammen, aber ich bin kein großer Fan dieser | |
Herangehensweise. Denn das heißt doch, dass die Menschen in den arabischen | |
Ländern noch unerfahren und ungezogen wie Kinder sind, die man mit kleinen | |
Häppchen füttern muss. Und das ist nicht wahr. Das hat man in Tunesien | |
gesehen. Mit der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi | |
begann dort eine Revolution, die alles änderte. Ein Schock kann also sehr | |
produktiv sein, und daher werde ich weiter provozieren. | |
18 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Juliane Metzker | |
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