# taz.de -- Nach Kritik an Sexarbeit-Kongress: Politische Bildung wird gecancelt | |
> Ein Seminar zum Thema Prostitution wird abgesagt. Die Initiative „Stop | |
> Sexkauf“, die zuvor dagegen mobil machte, ist zufrieden. | |
Bild: Eine Veranstaltung zum Thema Feminismus und Prostitution ohne eingeladene… | |
BERLIN taz| Es sollte Feminismus und Prostitution verbinden, jenes Seminar, | |
das unter anderen der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen | |
in Dresden mitorganisierte. Vom 7. bis 10. April sollte im SPD-nahen | |
Herbert-Wehner-Werk unter dem Titel „Feminismus in Highheels“ der Beitrag | |
der Prostituierten zu einer emanzipatorischen Gesellschaft verhandelt | |
werden. | |
Dabei waren Themen wie „Macht- und Ohnmachterfahrungen in der Sexarbeit“, | |
matriarchale Prostitution und die Verortung des Sexkaufs in der | |
Gesellschaft samt Erstellung eines Argumentationspapiers geplant. Ein | |
Argumentationspapier sollte erstellt, politische Forderungen sollten | |
erörtert werden. Auf dem Einladungsflyer das Emblem des Finanziers: | |
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). | |
Vier Wochen vor dem Start wurde das Seminar nun plötzlich abgesagt. Die | |
Bundeszentrale habe ihre Finanzierung zurückgezogen, nachdem das Netzwerk | |
„Stop Sexkauf“ mit eine öffentlichen Stellungnahme gegen das Seminar mobil | |
gemacht habe, vermuten die OrganisatorInnen des Seminars. | |
Nein, hält die Bundeszentrale dagegen, es habe nie eine Finanzierungszusage | |
gegeben, das Logo sei irrtümlich auf dem Flyer gelandet. Das Seminar | |
entspreche nicht den Förderungsrichtlinien der bpb. | |
## Seminar ohne Abolitionistinnen | |
In diesen Richtlinien ist zum einen ein „Überwältigungsverbot“ festgelegt. | |
Das heißt, dass keine bindenden Beschlüsse mit dem Ziel politischer | |
Aktionen gefällt werden dürfen. Zum Zweiten ist festgelegt, dass | |
„inhaltlich beziehungsweise politisch kontroverse Positionen angemessen | |
darzustellen sind“. | |
Genau in diese Kerbe hatte die Initiative „Stop Sexkauf“ gehauen: Ein | |
Seminar zum Feminismus ohne Vertreterinnen der Abolitionistinnen, also der | |
Befürworterinnen eines Sexkaufverbots, anzubieten, diene allein der | |
„Manipulation“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Die Tagung sei „für ak… | |
Feministinnen eine Beleidigung ihrer politischen Arbeit“. | |
In diesem Seminar solle „nicht gebildet, sondern die Verschleierung der | |
Realität der Prostitution vertieft werden“. Der offene Brief ging auch an | |
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er ist der Sprecher des | |
Freundeskreises des Wehner-Werks. | |
Tatsächlich gibt es seit Langem sowohl einen prostitutionsfreundlichen | |
„Sex-positiven“ Feminismus als auch eine abolitionistische Strömung. Beide | |
bekämpfen sich seit Jahrzehnten. So weit, so normal. Die große „Stop | |
Sexkauf-Tagung“ der Abolitionistinnen in München im vergangenen November | |
war in diesem Sinne ebenso einseitig wie die Highheel-Tagung – dort | |
sprachen nämlich keine VertreterInnen der Pro-Prostitutions-Lobby. | |
## Offener Brief an die bpb | |
Mittlerweile haben einige Aktivistinnen um die Wissenschaftlerin Sonja | |
Dolinsek einen offenen Brief an die bpb geschrieben, in dem sie die | |
Entscheidung kritisieren. „Der Konsens des Seminars ist, dass | |
Sexdienstleistungen als Arbeit anerkannt werden sollen. Dieser Konsens ist | |
durch das Grundgesetz gewährt und stellt somit – entgegen der Ansicht der | |
Befürworter*innen einer Kriminalisierung des Erwerbs solcher | |
Dienstleistungen – keine Überwältigung im Sinne des | |
’Überwältigungsverbotes‘ dar“, heißt es in dem Brief. Sonst müssten j… | |
zu Tagungen zum Thema Homosexualität jeweils Homophobiker eingeladen | |
werden. | |
Zum Kontroversitätsgebot meinen die Aktivistinnen: „Die Ansicht, dass eine | |
Debatte nur dann kontrovers ist, wenn Menschen daran teilnehmen, die alles | |
tun, um eine Veranstaltung wie diese zu verhindern, ist aus unserer Sicht | |
hochproblematisch. Nur weil ein Grundkonsens besteht, dass man | |
Sexarbeiter*innen nicht abschaffen möchte, sondern ihnen auf Augenhöhe und | |
zum Zwecke eines konstruktiven und respektvollen Dialogs begegnen möchte, | |
heißt das noch lange nicht, dass hier nichts kontrovers ist.“ Die | |
Bundeszentrale hat sich zu diesem Brief noch nicht geäußert. | |
16 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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