# taz.de -- Schwedischer Sozialarbeiter über Freier: „Es ist falsch, Sex zu … | |
> Männer gehen zu Prostituierten, statt sich um ihre realen Beziehungen zu | |
> kümmern, sagt Johan Christiansson. Er unterstützt Freier, die aufhören | |
> wollen. | |
Bild: „Wenn man zu Hause keinen Sex bekommt, kauft man sich welchen. Ich find… | |
taz: Herr Christiansson, welche Männer kommen zu Ihnen? | |
Johan Christiansson: Es sind Männer, die Sex kaufen und ein Problem damit | |
haben. | |
Werden sie von der Polizei zu Ihnen geschickt? | |
Nein, es ist ein freiwilliges Angebot. Wir gehen mit der Polizei los, und | |
bestrafte Sexkäufer haben die Möglichkeit, mit uns zu sprechen und eine | |
Beratung zu bekommen. Oft haben sie ganz konkrete Ängste: Was passiert, | |
wenn meine Familie davon erfährt oder mein Arbeitgeber? Oder die Medien? | |
Denken die Männer, die kommen, dass sie etwas Falsches gemacht haben? | |
Ja. Ich habe lange in der Drogenszene gearbeitet, die Mechanismen sind | |
ähnlich: Man braucht es und weiß zugleich, dass es einem schadet. | |
Ist das eine bestimmte Gruppe? | |
Ja, das sind nur die, die sich Sorgen machen. Die meisten tun das nicht. | |
Aber unsere Gesellschaft ist übereingekommen, dass niemand den Körper einer | |
anderen Person kaufen sollte. Das ist ganz einfach, und es ist ziemlich | |
modern. Es wird immer Leute geben, die das für falsch halten, genauso wie | |
es Leute gibt, die alle Drogen legalisieren wollen. Schön für sie. Wir | |
machen denen ein Angebot, die mit ihrem Verhalten ein Problem haben. | |
Und diese vielen Männer, die kein Problem damit haben, zu Prostituierten zu | |
gehen, glauben Sie persönlich, dass die etwas Falsches machen? | |
Ja, es ist falsch, Sex zu kaufen. Ich unterstütze das hiesige Gesetz. Wenn | |
man zu Hause keinen Sex bekommt, geht man aus und kauft sich welchen: Ich | |
finde das ziemlich barbarisch und altmodisch. Wir sind keine Tiere, die nur | |
ihrem Instinkt folgen, wir sind Menschen, die darüber reflektieren können, | |
was sie tun. Und ja, Zivilisation bedeutet, dass man einige Instinkte | |
zügelt. Das ist ein Gedanke von Thomas Hobbes. Und obwohl der konservativ | |
ist, finde ich diesen Gedanken richtig. | |
Aber wo ist das Barbarische, wenn zwei Menschen einen Vertrag schließen und | |
Geld gegen Sex tauschen? | |
Da werden die Linken plötzlich ganz liberal.Aber gerade sie haben ja wohl | |
gelernt, dass hinter dem sogenannten freien Tausch Machtverhältnisse | |
stecken. Es werden ja nicht zufällig vor allem Frauen gehandelt, die | |
Männern zu Diensten sind. Ich war letzten Sommer in Rumänien und sah dort | |
die Roma-Gettos, da gibt es keine Zukunft. Und dann war ich in den | |
Niederlanden und sah dort dieselben Mädchen hinter den Fenstern sitzen. | |
Geld kann eine Menge Gewalt schaffen. Wir in Schweden sind eine sehr reiche | |
Gesellschaft, wir können es uns leisten, die Prostitution abzuschaffen. Das | |
könnte Deutschland auch. | |
Aber Sie schließen ja auch Frauen aus ärmeren Ländern aus, die in Schweden | |
Geld verdienen könnten, um zu Hause ihre Familien zu ernähren, oder? | |
Nein, wir kriminalisieren nicht die Frauen, nur die Sexkäufer. | |
Na ja, aber Sie machen es sehr schwer, hier als Prostituierte zu arbeiten. | |
Das glaube ich nicht. Die Prostituierten verdienen hier sehr viel Geld, und | |
die Situation ist für sie sehr sicher, denn schließlich werden nur die | |
Freier verfolgt. | |
Warum kommen die Sexkäufer zu Ihnen? | |
Sie verstehen nicht, warum sie nicht aufhören können, das macht ihnen | |
Angst. Es macht ihnen auch Angst, wenn sie von der Polizei festgenommen | |
werden. | |
Freier, mit denen ich sprach, sagten: Ohne Sex wäre ihr Leben leer und sie | |
würden depressiv … | |
Dasselbe hört man von Kokainabhängigen. Ein Freier sagte mir mal: Durch | |
Prostitution werde er ein besserer Liebhaber. Das dachte er wirklich – weil | |
eine Prostituierte ihm vorspielt, dass er ein toller Liebhaber sei, damit | |
es schneller geht und sie ihr Geld bekommt. Das ist alles Schwachsinn. Wir | |
versuchen herauszufinden, wonach der Mann eigentlich wirklich sucht. | |
Aber Kokain kann jemanden zerstören. Prostitution ist dagegen doch eine | |
sehr „gesunde“ Droge, oder? | |
Es ist schon mal nicht klar, ob man nicht gerade die Dienste eines | |
Menschenhandelsopfers in Anspruch nimmt, was eine Vergewaltigung wäre. Und | |
man schadet auch sich selbst: Man geht zu einer Prostituierten, anstatt | |
sich um seine realen Beziehungen zu kümmern. | |
Wenn jemand sagt: Meine Frau will keinen Sex mehr. Die einzige Art, Sex zu | |
bekommen, ist, zu einer Prostituierten zu gehen. Was antworten Sie? | |
Dann geh doch! Hierher kannst du kommen, wenn du ein Problem damit hast. | |
Und wenn man ein Problem hat und keinen Ausweg sieht? | |
Dann müssen wir darüber reden, was im Leben des konkreten Freiers so | |
enttäuschend ist. Für viele ist es bereits eine große Erleichterung, wenn | |
sie überhaupt über diese Dinge sprechen können. | |
Und dann? | |
Dann verabreden wir, was er macht. Wenn man das Rauchen aufgeben will, kann | |
man nicht mit einer Schachtel Zigaretten in der Tasche rumlaufen. Das | |
Programm geht über etwa zehn Wochen. Also: eine Woche lang nicht mehr auf | |
diese pornografische Seite gehen zum Beispiel. Und natürlich auf keinen | |
Fall zu Prostituierten gehen. Dann entwickeln wir ein System: Was kann man | |
stattdessen tun, um sich abzulenken? Gerade bekam ich eine SMS von | |
jemandem, der nun seit 15 Tagen nicht bei Prostituierten war. Ich habe | |
zurückgeschrieben: Gut so! Mach weiter! Wir machen lange Listen über Dinge, | |
die sie machen können, Sport ist oft dabei. Man kann jemanden nicht retten. | |
Aber man kann die Freier motivieren: Du kannst viel größer sein, als du | |
dich siehst. | |
Ist es für Sie ein Fortschritt, wenn man keinen Sex mehr kauft und dafür | |
jeden Abend zu Hause vor dem Computer masturbiert? | |
Das kann für den einen ein großer Fortschritt sein und für den anderen ein | |
Problem, weil er dann so viel an Sex denkt. Also: Es kommt darauf an. | |
Seit wann arbeiten Sie so? | |
1999, als das Gesetz kam, gab es zuerst ein Hilfetelefon. Da riefen nur | |
sehr wenige Leute an. Dann kam die Beratungsstelle, und seit 2006 gehen wir | |
raus. Wir haben eine kleine Broschüre, die heißt „Do you buy Sex?“ Anfangs | |
wollte niemand mit uns reden. Es war schrecklich. Dann, ab 2009, gingen wir | |
mit der Polizei raus, und dann gab es plötzlich Bedarf. | |
Wie ist denn Ihre Erfolgsrate? | |
Wir betrachten es schon als Erfolg, wenn die Menschen hier auftauchen. Sie | |
haben dann schon so viele Schwellen überschritten. Die meisten Männer sind | |
ja nicht sehr kommunikativ, wenn es um ihre Probleme geht. Während die | |
Gespräche laufen, sind sie auch oft sehr erfolgreich. Aber was kommt | |
danach? Das können wir nicht sagen. | |
Kommen sie wieder, wenn es dann nicht klappt? | |
Ja, es kommen sehr viele wieder. Dann machen wir noch eine Runde. Alte | |
Gewohnheiten zu ändern ist eine der schwierigsten Sachen der Welt. Ich | |
werde eher nervös, wenn welche nicht wiederkommen. | |
Und ändert sich etwas in den Beziehungen der Freier, wenn sie hier waren? | |
Zumindest wollen viele sich selbst gegenüber ehrlich sein, das ist schon | |
mal etwas. Aber oft geben sie natürlich ihrer Frau die Schuld dafür, dass | |
sie zu Prostituierten gehen. Damit kommen sie bei mir nicht weit: Du machst | |
deine Entscheidungen in deinem Leben. Ich bin da sehr existenzialistisch. | |
Gudrun Schymann von der Feministischen Partei sagt: Beim Sexkauf geht es | |
nie um Begehren. Es geht immer um Macht. Hat sie recht? | |
Die Männer, die ich treffe, haben das Gefühl, dass sie von etwas gesteuert | |
werden, über das sie keine Kontrolle haben. Sie fühlen sich absolut | |
machtlos. Der Satz trifft also nicht das ganze Bild. | |
Hat die Prostitution etwas mit dem Patriarchat zu tun? | |
Es sind Männer, die Sex kaufen. Es ist eine Art Privileg, dass man Sex | |
kaufen kann, wann immer man möchte. Und seinen Körper zu verkaufen, das ist | |
etwas sehr Proletarisches. Also eine Differenz zwischen der männlichen und | |
der weiblichen Klasse. Ist das patriarchal? Wissen Sie, wenn ich mit den | |
Männern arbeite, kann ich das unmöglich nur politisch sehen. Ich muss mich | |
in ihre persönliche Lage einfühlen. Wenn ich sage, ihr profitiert vom | |
Patriarchat, kommen sie nicht wieder. | |
14 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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