# taz.de -- Syriza-Politiker bei Blockupy: Im Protest zu Hause | |
> Tausende Aktivisten wollte die griechische Regierungspartei Syriza nach | |
> Frankfurt am Main bringen. Gekommen ist kaum jemand – außer Giorgos | |
> Chondros. | |
Bild: Frankfurt am Main: Wasserwerfer im Einsatz. | |
FRANKFURT taz | Die weiße Linie fasziniert ihn. Mit Kreide hat die Polizei | |
sie auf den Rasen gemalt, es sieht aus wie auf einem Fußballfeld. Giorgos | |
Chondros scharrt mit den Füßen darauf herum, als könne er nicht glauben, | |
was er sieht. „Deutsche Verhältnisse“, sagt er. „Das sind deutsche | |
Verhältnisse.“ Ein Sprecher im Wasserwerfer hinter ihm legt alle Strenge in | |
seine Stimme: Die Demonstranten sollen endlich hinter die Kreidelinie | |
treten, zehn Meter Abstand zur Absperrung. Sofort. | |
Tatsächlich treten die meisten hinter den Strich, nur einige Mutige hüpfen | |
hin und her. „In Griechenland würden die Leute sich kaputtlachen“, sagt | |
Chondros. Seiner Laune tut die Unterwürfigkeit keinen Abbruch. Chondros, | |
Ende 50, graue Haare, hat sich noch ein Stündchen Schlaf gegönnt. Völlig | |
entspannt läuft er jetzt in Jeans und dunkler Outdoor-Jacke auf der Wiese | |
vor dem blauen Banktower umher und telefoniert pausenlos. | |
Es ist acht Uhr, die ersten Schlachten zwischen Polizei und Demonstranten | |
sind geschlagen, das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) ist | |
belagert. Chondros schaut auf Wasserwerfer und Polizisten in | |
Anti-Krawall-Monturen und gibt seiner jungen Begleiterin sein Telefon, | |
damit sie ihn vor dieser Kulisse fotografiert. Es sind nicht viele | |
Aktivisten aus Griechenland zum Blockupy-Protest gekommen und keiner, der | |
in der linken Regierungspartei Syriza so hoch steht wie er. | |
In Frankfurt ist er im Dauereinsatz. Am Vorabend diskutierte er auf dem | |
Podium im DGB-Haus mit der Linksparteivorsitzenden Katja Kipping, am | |
Nachmittag soll er zwischen Sahra Wagenknecht und der berühmten | |
Globalisierungsgegnerin Naomi Klein auf der Abschlusskundgebung sprechen. | |
Als intellektueller Griechenland-Lobbyist gibt er keine schlechte Figur ab. | |
Er selbst sieht das genauso. Kommt er an Fernsehteams vorbei, bietet seine | |
Begleiterin ihnen ein Interview mit Chondros an, und wenn er dann am | |
Mikrofon gegen die EZB, Schäuble oder das Spardiktat austeilt, lacht er oft | |
seinen Worten hinterher. | |
Tausende Griechen wollte Syriza für diesen Tag in Bussen nach Frankfurt | |
bringen, doch an diesem Vormittag ist Chondros fast allein. „Wir hatten | |
einfach kein Geld für die Busse. Die Leute sind finanziell am Ende.“ Umso | |
wichtiger sei dieser Tag: „Das hier ist ein Zeichen der Menschen gegen das | |
Kapital. Genau wie in Griechenland.“ Er meint den Wahlsieg seiner Partei. | |
## Bürgermeister „obwohl Linker“ | |
Protest ist sein Zuhause. Seit 30 Jahren versucht Chondros einen Staudamm | |
und eine Flussumleitung nahe seinem Heimatdorf Mesochora in | |
Zentralgriechenland zu verhindern, „das größte Bauprojekt Griechenlands“. | |
Bislang hatte er Erfolg. Als Jugendlicher trat Chondros in die griechische | |
KP ein, 2004 gründete er Syriza mit, heute sitzt er in deren | |
Zentralkomitee. Zwischendurch war er zweimal Bürgermeister, „obwohl ich ein | |
Linker bin“. | |
In den achtziger Jahren hat er in Wien Ethnologie studiert, war in der | |
Umweltbewegung aktiv. Deshalb kennt er auch Frankfurt: Als für die | |
Startbahn West ein Wald abgeholzt werden sollte, kam er her. „Damals habe | |
ich mit Joschka Fischer in einem Zelt geschlafen“, sagt er. „Aber Fischer | |
hat dann den falschen Weg eingeschlagen.“ Und Syriza? „Wir müssen jetzt | |
aufpassen, dass uns das nicht auch passiert.“ Die Befürchtung, dass dies | |
geschehen könnte, hegen nicht wenige unter den Demonstranten. Gegen die | |
Troika zu sein heißt hier nicht unbedingt eine linke Regierungspartei zu | |
wollen – zumal eine, die mit Rechten koaliert. | |
Eine Sambagruppe in pink-silbernen Kostümen zieht vorbei, sie trommelt und | |
skandiert „Staat, Nation, Kapital, Scheiße“. Er, der alte Sozialist, der | |
jetzt den Staat übernommen hat, was kann er mit den jungen Anarchos | |
anfangen? Er wird etwas unwirsch. Was nun folge, sei „off the records“, | |
sagt er und schimpft etwas, das nicht zitiert werden soll. On the records: | |
„Grundsatzdebatten über den Weg zum Sozialismus sind wunderbar. Aber meiner | |
Mutter wurde die Pension auf 400 Euro halbiert.“ | |
Und der Koalitionspartner? Er winkt ab. „Wir hatten nur drei Tage Zeit, | |
eine Regierung zu bilden. Und das war die einzige Partei, die gegen das | |
Schuldenmemorandum war.“ Der Kampf gegen die Austerität habe „absolute | |
Priorität“. Austerität. Ein Wort, das vor drei Jahren noch niemand kannte. | |
## Hingehen, wo es wehtut | |
Wo bleibt da Marx? „Der Kampf gegen die Spardiktate ist der zeitgenössische | |
Klassenkampf.“ Da muss man auch hingehen, wo es wehtut. In seinem Handy | |
geht eine Einladung des Nachrichtensenders N24 ein. Am nächsten Tag soll | |
Chondros mit dem Sprecher des Arbeitskreises Mittelstand der | |
CDU-Bundestagsfraktion diskutieren – moderiert von Michel Friedman. „Was | |
sind das für Leute?“, will er wissen. Kein Heimspiel. „Egal“, sagt | |
Chondros. „Mach ich trotzdem.“ | |
Demonstranten zünden einen Autoreifen an, schwarzer Rauch steigt auf. | |
Hundertschaften stellen sich jetzt auch hinter den Demonstranten auf, | |
manche von ihnen werden unruhig, fürchten, eingekesselt zu werden. Chondros | |
gibt ungerührt ein Interview, diesmal für 3sat. „Die EZB soll Liquidität | |
sichern, aber Griechenland nimmt sie aus“, erklärt er. „Warum?“, fragt d… | |
Reporterin. „Weil die Alternative in Griechenland nicht Beispiel für Europa | |
werden soll. Eine Alternative zur neoliberalen Logik, zur Austerität.“ Die | |
Fernsehfrau ist noch nicht überzeugt. „Hier brennen aber auch die Autos. | |
Ist das okay?“, fragt sie. „Ja“, sagt Chondros. „Das ist gut für Medie… | |
Was anderes wollen die ja nicht.“ | |
Er lacht noch mehr als die Frau von 3sat. Nach einigen Stunden ziehen die | |
Demonstranten ab in Richtung Innenstadt. Die Eröffnungsfeier haben sie der | |
EZB vermasselt, Sprecher feiern den Sieg des Tages gegen die | |
EU-Institutionen. Chondros läuft vor dem Lautsprecherwagen her. Er sei kein | |
Europagegner, sagt er, darauf lege er Wert. Umso mehr besorge ihn, was er | |
jeden Tag in den deutschen Medien lese. „Viele Journalisten stehen voll | |
hinter Schäubles Spardoktrin, aber durch sie verliert Europa so viel | |
Legitimität, dass es keine Zukunft mehr hat.“ | |
Für Syriza fange der Kampf gerade an. „Die EU versucht mit allen Mitteln, | |
uns zu strangulieren oder zur Kooperation zu zwingen“, sagt er. „Wir müssen | |
unbedingt bis zum Herbst durchhalten.“ Dann sind Wahlen in Spanien. „Und | |
wenn wir es schaffen, schafft es auch Podemos.“ Und dann gebe es vielleicht | |
in Europa keine deutschen Verhältnisse mehr. | |
19 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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