# taz.de -- Deutsch-griechischer Gipfel: Die Krise wird Chefsache | |
> Nach den scharfen Tönen von Finanzminister Wolfgang Schäuble, versucht | |
> die Kanzlerin zu deeskalieren. Ein „Wer, wie, was?“ zum Treffen mit | |
> Tsipras. | |
Bild: Vier-Augen-Gespräch: Griechenlands Regierungschef Alexander Tsipras trif… | |
Wer kommt warum? | |
Anders als während Alexis Tsipras’ Wahlkampf führt ihn sein Weg diesmal | |
nicht zur Linkspartei, sondern ins Bundeskanzleramt. Um 17 Uhr ist | |
Griechenlands Regierungschef dort mit Angela Merkel verabredet, die ihn vor | |
einer Woche telefonisch eingeladen hat. Im Hof des Kanzleramts wird der | |
Gast aus Athen mit militärischen Ehren begrüßt, anschließend ziehen Merkel | |
und Tsipras sich zum Gespräch zurück. Das Protokoll sieht dafür eine Stunde | |
Zeit vor. Nach der anschließenden Pressekonferenz steht ein | |
„Arbeitsabendessen“ an. | |
Wer hat Grund, gekränkt zu sein? | |
In den letzten Wochen hat es mächtig geraucht zwischen Athen und Berlin. | |
Vor allem der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ließ kaum eine | |
Gelegenheit aus, gegen die neue links geführte Regierung in Athen zu | |
sticheln. „Mir tun die Griechen leid“, so der CDU-Politiker, „sie haben | |
eine Regierung gewählt, die sich im Augenblick ziemlich unverantwortlich | |
verhält.“ Am Montag letzter Woche sagte Schäuble, die neue Regierung habe | |
„alles an Vertrauen wieder zerstört“. Es ist der Tag, an dem die Kanzlerin | |
die vergiftete Kommunikation an sich zieht und mit ihrer Einladung an | |
Tsipras die Krise auf die Ebene der Regierungschefs hebt. | |
Wer hat sich mehr bewegt? | |
Berlin beharrt darauf, dass die jetzige Regierung in Athen alle | |
abgeschlossenen Vereinbarungen ein- und an der von der EU verordneten | |
Austeritätspolitik festhält. Im griechischen Parlament verkündete Tsipras | |
demgegenüber in der vergangenen Woche, „Memoranden und Austerität ein Ende | |
zu setzen und den Menschen in diesem Land ihre Würde wiederzugeben“. | |
Diejenigen, die gehofft hätten, seine Regierung würde „die Politik der | |
Vorgängerregierung fortsetzen, müssen wir leider enttäuschen“. Allerdings | |
hat das griechische Finanzministerium nach dem Brüsseler Krisengipfel am | |
Freitag zugesagt, nunmehr „sofort und konstruktiv“ mit den früher „Troik… | |
genannten Experten von Internationalem Währungsfonds IWF, der Europäischen | |
Zentralbank EZB und der EU-Kommission zu kooperieren. Außerdem sicherte | |
Tsipras zu, in den nächsten Tagen eine vollständige Liste mit eigenen | |
Reformvorschlägen vorzulegen. Das ist Voraussetzung für die Geldgeber, noch | |
verfügbare Milliardenhilfen aus dem verlängerten Hilfsprogramm freizugeben. | |
Gleichzeitig stellte die Euro-Gruppe in Aussicht, die Gelder nicht erst, | |
wie am 20. Februar vereinbart, frühestens Ende April auszuzahlen. | |
Wie sieht es derzeit in Griechenland aus? | |
Tsipras spricht von einer „humanitären Krise von beispiellosem Ausmaß“. | |
Nach einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie des Instituts | |
für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen | |
Hans-Böckler-Stiftung hat der von der EU verordnete Austeritätskurs die | |
Einkommen der privaten Haushalte in Griechenland drastisch einbrechen und | |
die Armut ansteigen lassen. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote lag im | |
Dezember 2014 bei 26 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 51,2 Prozent. | |
Dramatisch verschlechtert haben sich die medizinische Versorgung und die | |
Ernährungssituation. Laut dem französischen Ökonomen Jacques Sapir bleibt | |
inzwischen fast die Hälfte der griechischen Bevölkerung im Krankheitsfall | |
medizinisch unversorgt, ein Viertel der Schulkinder leidet an Hunger. Die | |
Zahl der Selbstmorde stieg in den letzten fünf Jahren um 40 Prozent. | |
Welche Schulden muss Griechenland wann zahlen? | |
Offiziell hat Griechenland derzeit rund 315 Milliarden Euro Staatsschulden. | |
Hinzu kommen noch Nebenkredite in Höhe von etwa 115 Milliarden Euro, die | |
unter anderem die Athener Zentralbank im Rahmen des | |
Zahlungsverkehrsproramms „Target II“ erhalten hat. Die | |
Rückzahlungsbedingungen sind höchst unterschiedlich. So haben die | |
Hilfskredite unter dem Eurorettungsschirm EFSF eine durchschnittliche | |
Laufzeit von rund 32 Jahren. Zinsen werden erst ab 2022 fällig, dann soll | |
auch erst die Tilgung beginnen. Anders sieht es jedoch unter anderem für | |
die Gelder aus, die Griechenland vom IWF erhalten hat. So musste Athen in | |
den vergangenen Tagen Kreditraten von knapp einer Milliarde Euro an den IWF | |
überweisen. Hinzu kamen Zinszahlungen an die EZB in Höhe von 110 Millionen | |
Euro. Zudem mussten kurzfristige „T-Bills“ genannte Staatsanleihen in Höhe | |
von 1,6 Milliarden Euro ausgelöst werden. Auch eine hohe Zinsrate auf ein | |
„Swap-Geschäft“, das die damalige Pasok-Regierung 2001 mit der | |
US-Investmentbank Goldman Sachs zur Verschleierung des Haushaltsdefizits | |
abgeschlossen hatte, wurde fällig. Nach Angaben griechischer | |
Regierungskreise mussten allein in der letzten Woche rund 3 Milliarden Euro | |
an die Gläubiger überwiesen werden. | |
Wie nah ist Griechenland der Staatspleite? | |
Sehr nah. Zwar gibt es zurzeit keine verifizierbaren Angaben der Athener | |
Regierung, wie viel sie noch in der Kasse hat. Doch dass die Lage | |
dramatisch ist, gilt als unstrittig. Fest steht zum einen, dass die | |
Steuereinnahmen seit Herbst vergangenen Jahres eingebrochen sind. Zum | |
anderen sind in der nächsten Zeit enorme Summen aufzubringen: Gerade noch | |
reichen soll es noch für die mehr als 2 Milliarden Euro an Gehältern, | |
Bezügen und Pensionen, die Ende März überwiesen werden müssen. Vom 9. April | |
an werde es jedoch „kritisch“, schätzt die EU-Kommission. An diesem Tag | |
wird die nächste Kredittranche an den IWF in Höhe von 470 Millionen Euro | |
fällig. Mitte April stehen außerdem die Rückzahlungen zweier Staatsanleihen | |
in Höhe 2,4 Milliarden Euro an. Mitte Mai müssen weitere 2,8 Milliarden, im | |
Juni und Juli jeweils 2 Milliarden Euro ausgezahlt werden. Ab Juni werden | |
außerdem die nächsten Milliardenzahlungen an IWF und EZB fällig. | |
Welche Folgen hätte ein Scheitern der griechischen Linksregierung für die | |
EU? | |
Ökonomisch mag der Grexit, das Ausscheiden Griechenlands aus der | |
Euro-Währung, verkraftbar sein. Aber falls Tsipras & Co. an der harten | |
Haltung der anderen EU-Staaten scheitern sollten, hätte das verheerende | |
politische Auswirkungen für Europa. Denn das wäre die beste Wahlkampfhilfe | |
für alle antieuropäischen Bewegungen und Parteien. | |
Was will Merkel den Griechen sagen? | |
Mit Tsipras’ Besuch zieht Angela Merkel die Krisenkommunikation mit Athen | |
an sich. Die Begegnung ist ein Zeichen von Wertschätzung und kommunikativer | |
Abrüstung. Bei und nach dem Treffen im Kanzleramt soll endlich miteinander | |
statt übereinander gesprochen werden. Zudem will Merkel den Grexit | |
unbedingt verhindern. „Unser ganzes Tun ist darauf ausgerichtet, einen Weg | |
zu erarbeiten, der Griechenland im Euro lässt“, versprach sie am Freitag. | |
Und was den Deutschen? | |
Tsipras’ Besuch in Berlin ist ein Signal an die Wähler und die | |
Parlamentarier: Die Griechenlandkrise ist Chefsache, sie ist in ihrer | |
Dramatik mit der Ukrainekrise vergleichbar; dafür räumt die Kanzlerin schon | |
mal kurzfristig einen halben Tag frei. Die Regierungschefin kümmert sich | |
persönlich darum, den griechischen Premier auf dessen Mitverantwortung für | |
mögliche Lösungen einzuschwören. | |
Was will Griechenland? | |
Zeit gewinnen. Die Tsipras-Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Um | |
überhaupt die Chance zu bekommen, den versprochenen Bruch mit dem | |
Oligarchenfilz und Klientelismus des alten Machtkartells und den Aufbau | |
eines funktionierenden Staatswesen angehen, aber auch um die großen | |
sozialen Verwerfungen wirksam bekämpfen zu können, benötigt sie dringend | |
Überbrückungskredite, um die kommenden Monate zu überstehen. Zur | |
langfristigen Lösung der Krise fordert sie ein Schuldenmoratorium. Als | |
Vorbild dient ihr das Londoner Abkommen von 1953, das die Vor- und | |
Nachkriegsschulden Deutschlands halbierte und die deutschen | |
Reparationszahlungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschob. Das war die | |
entscheidende Voraussetzung für das Wirtschaftswunder. | |
Wie viele Gewinn erzielt Deutschland mit Griechenlands Schuldenkrise? | |
Seit 2010 haben die Kredite an Griechenland dem Bund insgesamt | |
Zinseinnahmen von 360 Millionen Euro gebracht. Für die kommenden Jahre geht | |
Berlin davon aus, dass Zinszahlungen von jährlich rund 20 Millionen Euro in | |
den Haushalt fließen. | |
22 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
Pascal Beucker | |
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