# taz.de -- Essay Politik in Frankreich: Weiter alles nach rechts | |
> Der Rechtsruck in Frankreich wird bedingt durch den Vertrauensverlust | |
> gegenüber Präsdident Hollande. Und der ideologischen Erosion der Linken. | |
Bild: Sie ist auf der Gewinnerspur: Marine Le Pen. | |
Das spektakulärste politische Ereignis in Frankreich ist der rasante | |
Aufstieg des Front National. Die rechtsextreme Partei gewann im Mai 2014 | |
bei den Europawahlen 24,9 Prozent der Stimmen, vor der konservativen UMP | |
(20,8 Prozent) und dem Parti Socialiste (14 Prozent). | |
Jüngst konnte sie zudem ihren Einfluss bei den Departementwahlen festigen. | |
Üblicherweise wird bei diesen den lokalen Honoratioren der Vorzug gegeben, | |
die sich beim FN so natürlich nicht finden. Doch trotz dieses Handicaps | |
konnten die Rechtsextremen 25,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. | |
Damit sind sie auch in den Regionen endgültig verwurzelt. | |
Den eigentlichen Sieg aber trug überraschenderweise die UMP davon. Sie | |
dürfte auch bei den Stichwahlen an diesem Sonntag deutlich mehr als 60 | |
Departements gewinnen. Bislang war sie in der Minderheit. Aber jetzt | |
scheint sie auf der Erfolgsspur zu sein, weitere Siege der republikanischen | |
Rechte auf nationaler Ebene sind zu erwarten. | |
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Rechte die stärkste politische Kraft in | |
Frankreich, auch wenn bis zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 | |
noch viel passieren kann. Der zentrale Grund für diesen Siegeszug ist der | |
enorme Vertrauensverlust gegenüber François Hollande und seiner Regierung. | |
Der 2012 gewählte Staatschef betreibt sowohl eine Europa- als auch eine | |
Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sich eklatant von seinen Versprechen | |
von vor der Wahl unterscheidet. Gleichzeitig nähert er sich inhaltlich | |
immer mehr seinem Konkurrenten und Vorgänger Nicolas Sarkozy an. | |
Dieser Orientierungswechsel, der niemals wirklich offiziell verkündet | |
wurde, löst Enttäuschung, ja Wut bei der linken Wählerschaft aus. Das | |
rechte Lager bleibt den Sozialisten gegenüber eh feindlich gesinnt, obwohl | |
diese ja stark neoliberale Akzente setzen und sich inhaltlich deutlich | |
konservativen Ideen annähern. | |
Hollande konnte nicht lange von der nationalen Einheit im Nachgang der | |
Attentate auf Charlie Hebdo im Januar profitieren. Er weckt noch immer bei | |
75 Prozent der Franzosen große Unzufriedenheit. Laut der letzten Umfrage | |
von Ifop sind also gerade einmal ein Viertel der Wähler mit ihm zufrieden. | |
## Die Sparpolitik überzeugt nicht | |
Sein Premier, Manuel Valls, kommt etwas besser weg, aber auch er ist bei | |
der Mehrheit der Franzosen eher unbeliebt. Seine Sparpolitik im Namen des | |
Wettbewerbs überzeugt die Franzosen nicht. Die nämlich sehen vor allem, wie | |
die Erwerbslosigkeit weiter zunimmt. | |
Wichtiger noch ist die ideologische Erosion der regierenden Linken, sie vor | |
allem bedingt den Aufstieg der Rechten. Präsident Hollande meinte es gut, | |
als er im August 2014 den ehemaligen und durch und durch neoliberalen | |
Bankier Emmanuel Macron zum Wirtschaftsminister ernannte. Der aber gibt nun | |
die Regierungslinie vor und verärgert die linke Klientel munter weiter. | |
So zeichnet er für ein neues Gesetz verantwortlich, das unter anderem die | |
Sonntagsarbeit wieder etabliert, obwohl der PS stets gegen solche Maßnahmen | |
eingetreten war. Das Gesetz sieht außerdem vor, bestimmte | |
Wirtschaftsbereiche zu liberalisieren, etwa den Reisebusverkehr. Schockiert | |
hat der Minister die Linke, als er erklärte, dass „die Armen“ nun | |
„einfacher reisen“ könnten. | |
## Die Kluft wird größer | |
Diese ideologischen Kapriolen spalten die französische Linke zutiefst. Die | |
Regierung verfolgt dabei eine Politik, die gemeinhin als sozial-liberal | |
charakterisiert wird. Doch die soziale Komponente ist so gut wie unsichtbar | |
geworden, seitdem sich der PS auf Reformen kapriziert hat, die das | |
Staatsdefizit reduzieren sollen. Gegenüber einem mehr und mehr | |
geschlossenen PS äußerst sich die extreme Linke nicht selten wirr und wird | |
in ihrer Ablehnung zunehmend radikaler. Die Kluft zwischen den linken | |
Strömungen wird größer; die Linke läuft Gefahr, bei den kommenden | |
Präsidentschaftswahlen unterzugehen. | |
Die Uneinigkeit zwischen dem Front de Gauche, der Linksfront, sowie dem PCF | |
(Kommunisten) und dem Parti de Gauche von Jean-Luc Mélenchon (Linkspartei), | |
machen das Definieren einer politischen Alternative zu den Rechten und der | |
linken Mitte fast unmöglich. Die Debatte zwischen denen, die ihr Kreuz | |
immer noch treu beim PS machen, und denen, die die Brücken zu den Linken | |
nicht abbrechen wollen, ist endlos. Und wie so oft gefährden die | |
Grabenkämpfe zwischen den linken Lagern eine gute inhaltlich Aufstellung | |
für die nächste Präsidentschaftswahl. | |
Und so ist das Wahrscheinlichste, dass Marine Le Pen beim ersten Anlauf auf | |
dem ersten oder zweiten Platz landen wird – und sich dann für die | |
entscheidende Runde rüstet. Nur ein vergleichsweise wenig gespaltenes Lager | |
kann ihr gefährlich werden. Obgleich die Rechte sich jetzt mit lebhaften | |
Rivalitäten konfrontiert sieht, ist sie viel weniger gespalten als die | |
Linke. Sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach ihren Kandidaten für den | |
Élysée-Palast unterstützen. | |
## Nach dem Erfolg kommt die Niederlage | |
In den letzten Jahrzehnten ist noch keiner linken Regierung eine Wiederwahl | |
gelungen. Auf den historischen Sieg 1981 folgte die Niederlage 1986. Auch | |
die Wiederwahl von François Mitterrand 1988 konnte nicht verhindern, dass | |
sich die Linke 1993 erneut in der Opposition wiederfand. Und der Erfolg von | |
Lionel Jospin 1997 endete mit dem Debakel 2002. | |
Der Machtzuwachs der Rechten muss aber auch im Zusammenhang der | |
ideologischen Entwicklung der französischen Gesellschaft insgesamt gesehen | |
werden. Hier ist seit mehreren Jahrzehnten eine „Verrechtlichung der | |
Gemüter“ am Werk. „A droite toute“ (Alle nach rechts) – dieses Motto h… | |
leider immer noch Gültigkeit. | |
Die endlose Wirtschaftskrise kreiert ein Klima der Angst und stärkt eine | |
egozentrische Weltsicht. Fest im Griff der Schulden, tendieren die | |
Deprivilegierten heutzutage deutlich weniger zur Solidarität als früher. | |
Dermaßen unter Druck geraten, sind sie sich selbst am nächsten und | |
verfolgen hauptsächlich eigene Interessen. | |
Manuel Valls hat den Tod der Linken bereits vorausgesagt, was in seinem | |
Fall gleichermaßen Wunsch und Prognose sein dürfte. Der Regierungschef | |
hatte dabei die italienische Linke vor Augen, genauer gesagt Matteo Renzi. | |
Auch dieser hat die Leitung einer zentristischen Regierung übernommen, mit | |
der sozialistischen Tradition gebrochen und sich bei der „Modernisierung“ | |
eindeutig den Interessen des Establishments verschrieben. | |
## Extreme Linke ist gespalten | |
Angesichts des Rechtsrucks der Sozialistischen Partei steht auch die | |
extreme Linke neu im Fokus. Sie hat sich in verschiedene Parteien und | |
Gruppen aufgespalten, die Führungen sind umstritten, seit Jean-Luc | |
Mélenchon vor der Wahl 2012 einen „Appell ans Volk“ lanciert hat, den viele | |
für „gefährlich“ hielten. Auch ist die große Linie unklar, gerade was die | |
Europa-Frage und die Zukunft des Euro angeht. | |
Ganz anders der FN. Er reagiert mit einfachen Antworten auf die Fragen der | |
Unterprivilegierten. Populistisch effizient verbindet er die Frage der | |
nationalen Sicherheit mit den Ressentiments gegen Migranten und Muslime. | |
Gleichzeitig setzt der FN stark auf soziale Protektion und kritisiert die | |
von der EU und „den Linken“ aufgezwungene Austeritätspolitik scharf. In | |
diesem Sinne wird der FN nicht mehr allein als Partei der Rechtsextremen | |
wahrgenommen. | |
Die Sozialisten haben das Gespenst einer Machtübernahme des FN schon | |
mehrfach an die Wand gezeichnet. Tatsächlich scheint die Mehrheit bislang | |
nicht bereit, sich wirklich auf ein Abenteuer mit den Rechtsextremen | |
einzulassen. Gewählt wird der FN aus Protest; eine Regierungsoption ist gar | |
nicht vorgesehen. | |
## „Sarko“ schein abgenutzt | |
Die tiefe Ablehnung der regierenden Linken hilft der klassischen Rechten | |
und der UMP. Die wiederum streitet sich gerade darüber, wen sie als | |
Präsidentschaftskandidaten aufstellen soll. Ein grandioses Schauspiel. | |
Nicolas Sarkozy hat sich gegen großen Widerstand an die Spitze gesetzt. | |
Innerhalb der Partei ist er zwar unvermindert beliebt, aber die Mehrheit | |
der Franzosen will ihn nicht noch einmal. „Sarko“ scheint abgenutzt, seine | |
Magie strahlt nicht mehr wie früher. | |
Sein Konkurrent Alain Juppé steht für ein mögliches Bündnis zwischen der | |
Rechten und der Mitte und sichert sich so die Zustimmung des | |
Großbürgertums. Dieses hat Sarkozy immer misstraut, wenngleich es sich | |
während seiner Amtszeit nie offen über ihn beschwerte. Die Wahlen an diesem | |
Sonntag könnten die Konkurrenz zwischen den beiden relativieren. Aber nur | |
eine dauerhafte Spaltung der UMP könnte die Linke noch einmal auf eine | |
Chance 2017 hoffen lassen. | |
Aus dem Französischen: Ines Kappert | |
28 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Eric Dupin | |
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