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# taz.de -- Wahlkampf in Großbritannien: Der schräge Kandidat
> Labour-Chef Ed Miliband will Premierminister werden. Dafür beißt er in
> ein Bacon-Sandwich, lässt sich operieren und lockt mit populären
> Versprechungen.
Bild: Labour-Chef Ed Miliband: „Wenn ihr einen Politiker wollt, der ein gutes…
LONDON taz | Er habe dem US-Präsidenten Barack Obama getrotzt, als der
Syrien bombardieren wollte. So antwortete der britische Labour-Chef Ed
Miliband auf die Frage, ob er robust genug sei, um britischer
Premierminister zu werden. „Ich bin ziemlich widerstandsfähig“, fügte er
hinzu, „aber man hat mich bei jedem meiner Schritte unterschätzt.“
Vier Wochen hat Miliband noch, die Wähler von sich zu überzeugen, um nach
den Wahlen vom 7. Mai David Cameron als Premierminister abzulösen. Das
Rennen ist weit offen. Hatte Labour vor zwei Jahren noch einen soliden
Vorsprung in den Umfragen vor Camerons Konservativen, liegen die beiden
Parteien nun in der Endphase des Wahlkampfes gleichauf.
Viel hängt für Miliband von Schottland ab. Die Scottish National Party
(SNP) ist dort im Aufwind, Labour hingegen steht in Schottland vor einer
Katastrophe. Bei der Fernsehdebatte am Dienstagabend zwischen den
schottischen Parteichefs war Milibands Mann im Norden, Jim Murray, in der
Defensive. Er umging die Antwort auf die Frage der schottischen
SNP-Premierministerin Nicola Sturgeon, ob Labour bei einer „Allianz
progressiver Kräfte“ gegen Cameron mitmachen würde. Die Konservativen
freuen sich: Je mehr Miliband die SNP braucht, desto leichter lässt er sich
als unwählbar für Engländer darstellen.
Miliband ist kein Politiker von der Stange. Er sieht ein bisschen aus wie
ein Cartoon, und so spricht er auch. Milibands Berater überredeten ihn
2011, sich einer Operation zu unterziehen. Offiziell ging es um die
Nasenscheidewand, in Wirklichkeit sollte seine Stimme tiefer und seriöser
werden. Nach der Operation war diese genauso schräg wie vorher.
## Miliband gibt nicht viel auf Fotos
Eine Idee seiner Berater, Miliband normal erscheinen zu lassen, indem sie
ihn vor laufender Kamera ein Bacon-Sandwich verspeisen ließen, ging
ebenfalls nach hinten los: So ungeschickt hat sich noch niemand beim
Verzehr dieser wenig trickreichen Mahlzeit angestellt. [1][Es sah aus wie
ein Sketch von Mr. Bean].
„Wenn ihr einen Politiker von einer Casting-Agentur wollt, müsst ihr euch
für jemand anderes entscheiden“, sagte Miliband dazu. „Wenn ihr einen
Politiker wollt, der ein gutes Foto für das Wichtigste hält, dürft ihr mich
nicht wählen.“
Die Taktik funktionierte – ein bisschen. Miliband legte auf der
Popularitätsskala etwas zu: 44 Prozent mögen ihn nicht. Davor waren es 50.
Premierminister Cameron ist etwas beliebter. Aber 40 Prozent der Wähler
erklären, dass sie beiden nicht trauen.
Labours Problem ist nicht Ed Miliband allein. Die Wähler machen Labour, das
Großbritannien von 1997 bis 2010 regierte, noch immer für die
Wirtschaftsprobleme des Landes verantwortlich. Sie trauen den Konservativen
eher zu, das gigantische Haushaltsdefizit zu senken, und nur sehr wenige
glauben, dass sich ihre Lebenssituation unter Labour verbessern würde.
## „Gegen den Mainstream“
Tony Blair, mit drei Wahlsiegen der erfolgreichste Labour-Politiker aller
Zeiten, glaubt nicht an Milibands Wahlsieg. Er hält ihn für ein Weichei,
seit er 2013 gegen eine Intervention in Syrien gestimmt hat. Er sinnierte,
dass bei der Wahl 2015 wieder einmal „eine traditionell linke Partei mit
einer traditionell rechten Partei konkurriert – mit dem traditionellen
Ergebnis“, nämlich einem Sieg der Konservativen.
Dennoch sicherte Blair Miliband seine volle Unterstützung zu: „Er hat seine
eigenen Überzeugungen und ist entschlossen, ihnen zu folgen, selbst wenn
sie gegen den Mainstream sind.“
Nur 25 Pozent der Wähler halten Miliband für bürgernah, von Cameron glauben
das nur 20 Prozent. Das sind keine guten Werte. Beiden Politikern gereicht
ihre elitäre Herkunft zum Nachteil. Miliband, 1969 geboren, wuchs mit
seinem Bruder David in Londons Reichenviertel Primrose Hill auf.
Der Vater, Ralph Miliband, war ein bekannter marxistischer Theoretiker
polnisch-jüdischer Herkunft, der als Flüchtling im Zweiten Weltkrieg nach
London gekommen war. Die Mutter, Marion Kozak, ist eine linke
Intellektuelle polnisch-jüdischer Herkunft, die als Kind den Holocaust
überlebte und 1950 nach Großbritannien kam.
## „Red Ed“ gegen seinen Bruder
Ed und David Miliband studierten beide in Oxford. 2005 wurde Ed ins
Unterhaus gewählt, seinem Bruder David war das bereits vier Jahre zuvor
gelungen. Der wurde 2007 unter Gordon Brown Außenminister, Ed übernahm das
Energieministerium.
Als Labour 2010 die Wahlen verlor und Brown als Parteichef zurücktrat,
bewarben sich beide um die Nachfolge. Ed Miliband schlug seinen an der
Basis und in der Fraktion beliebteren Bruder knapp, dank der Stimmen der
Gewerkschaften. Tory-Premierminister David Cameron verpasste ihm umgehend
den Spitznahmen „Red Ed“, „roter Ed“.
In Wirklichkeit war Milibands Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus
taktischer Natur. Er hatte es auf die Herzen seiner Labour-Kollegen
abgesehen.
## Einwanderung kontrollieren
Jetzt geht es um die Herzen der Wähler. Milibands Wahlkampfversprechen sind
populär: Strom- und Heizkosten sollen eingefroren werden, der Mindestlohn
auf 8 Pfund pro Stunde steigen. Miliband verspricht kostenlose
Kinderbetreuung und Tausende neue Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger. Wie
das alles finanziert werden soll, steht in den Sternen.
Das bestimmende Thema des Wahlkampfs ist die Einwanderung, und da will
Miliband nicht als zimperlich gelten, denn die europafeindliche United
Kingdom Independence Party (Ukip) beutet das Thema erfolgreich aus. Dass
die Labour-Regierung vor zehn Jahren den britischen Arbeitsmarkt sofort für
Zuwanderer aus Osteuropa öffnete, hält Miliband mittlerweile für einen
Fehler. Er wolle die „Einwanderung fair kontrollieren“. [2][Diesen Slogan
ließ er sogar auf eine Labour-Kaffeetasse drucken].
Für das erste Fernsehduell gegen Premierminister Cameron erhielt Miliband
deshalb ausgerechnet Applaus von Ukip-Chef Nigel Farage. „Er hat sich mehr
gewehrt, war menschlicher und brachte das Publikum zum Klatschen“, sagte
Farage, „Cameron kam da bei Weitem nicht heran.“
9 Apr 2015
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=8xBSmZr9p0w
[2] http://www.dailymail.co.uk/news/article-3016965/Time-cuppa-limit-migrants-L…
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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