# taz.de -- Wohnungssuche in Berlin: Studieren in der Besenkammer | |
> Noch vor zehn Jahren hieß es: Studiert in Berlin, da gibt es billige | |
> Buden. Heute ist die Wohnungssuche die erste Hürde vor dem Studium – | |
> nicht alle meistern sie. | |
Bild: Bis hierhin ist es ein weiter Weg: Studierende in einer Vorlesung. | |
200 Euro für ein Zimmer in einer Neuköllner WG – das klingt super, dachte | |
sich Sophie Waldmann. Und dass es grade mal 9 Quadratmeter klein sein | |
sollte, konnte sie für den Anfang verschmerzen. Sophie Waldmann war | |
glücklich, dass sie überhaupt über einen Bekannten eine Bleibe in Berlin | |
gefunden hatte: Sie konnte nicht vor Ort sein, weil sie damals noch in | |
Argentinien lebte. An der Spree will die 24-Jährige nun ihren Master in | |
Kunstgeschichte machen. Nicht mehr ganz so begeistert war sie allerdings, | |
als sie mit gepackten Taschen vor ihrem neuen Zimmer stand. „Der Raum war | |
maximal 6 Quadratmeter und das Fenster so klein, dass mir gleich klar war: | |
Das ist eigentlich eine Besenkammer“, erinnert sich Waldmann. Weil sie aber | |
von anderen gehört hatte, wie schwierig die Wohnungssuche in Berlin ist, | |
entschied sie sich zu bleiben. Vorerst. | |
Tatsächlich ist der Andrang groß, gerade – aber nicht nur – in diesen | |
Wochen vor Semesterbeginn. WG-Zimmer in Kreuzberg oder Neukölln sind am | |
beliebtesten, sagt Annegret Mülbaier, Sprecherin des Onlineportals | |
„WG-gesucht“. Dort seien derzeit rund 12.500 Zimmerangebote für Berlin | |
inseriert. Auf ein Angebot in Neukölln gebe es im Schnitt sage und schreibe | |
76 Anfragen. Und man muss schnell und eigentlich immer online sein: Denn | |
manche Inserate werden schon nach wenigen Minuten wieder deaktiviert, weil | |
genug Anfragen eingegangen sind. | |
Dass Zimmersuchende überhaupt zum Casting eingeladen werden, ist die | |
Ausnahme. Das merkt sogar, wer nur als stiller Beobachter dabei sein möchte | |
und dafür an die WGs Anfragen verschickt. Antworten gibt es in der Regel | |
nicht. Höchstens eine Absage, dass man im Moment zu beschäftigt sei, um | |
alle E-Mails zu lesen. Und einmal: „Wie viel macht das in Cheeseburgern und | |
Bier?“ Das Übermaß an Anfragen wirkt sich darin aus, dass es sich die | |
meisten WGs leisten können, anspruchsvoll zu sein. Nicht mal höflich müssen | |
sie sein. | |
## Alternativen? Fehlanzeige | |
Denn es fehlen die Alternativen. Sophie Waldmann wollte nicht in ein | |
Studentenwohnheim ziehen: Zu anonym, wie sie sagt. Zudem hätte es wohl auch | |
nicht geklappt. Derzeit stehen auf der Warteliste der Wohnheime des | |
Berliner Studentenwerks 1.200 Namen, Zimmer gibt es 9.409. „Und jeden Tag | |
werden es mehr Interessenten“, berichtet Jürgen Morgenstern, Sprecher der | |
hiesigen Studentenwerke. Die Nachfrage nach einem Wohnheimzimmer sei in den | |
vergangenen Jahren kolossal angestiegen: Vor zehn Jahren habe es noch einen | |
Leerstand von 6, 7 Prozent gegeben. „Seit drei, vier Jahren existiert eine | |
ständige Warteliste“, sagt Morgenstern. | |
In einem dieser begehrten Wohnheimzimmer wohnt Fanny Lüskow – wenn es nach | |
ihr ginge, aber nicht mehr lange. Sie studiert Soziologie an der Freien | |
Universität und lebt seit zweieinhalb Jahren in einem Heim in | |
Charlottenburg. „Ich wohne direkt am Grunewald, dort ist es schön grün und | |
ruhig“, berichtet sie. Das Heim liege in einem Wohnviertel mit vielen | |
Rentnern und Familien. Etwas ranzig ist es schon, sagt sie, aber es seien | |
Modernisierungen geplant. Es gebe einen Fitnessraum und eine Bar, die von | |
den Bewohnern selbst betrieben wird. | |
Der einzige Grund für Lüskow, aus dem Wohnheim auszuziehen, ist die | |
Pendlerei zur Uni. Die nervt sie. Doch auf etwa 100 Anfragen, die sie | |
während ihrer Zimmersuche verschickt hat, hat sie nur auf 10 eine Antwort | |
bekommen. Konkret wurde es nur bei 5: So oft wurde Lüskow zu einem Casting | |
eingeladen. Einmal saß sie zwei Stunden mit den Bewohnern am Küchentisch | |
und hat erzählt. „Da war ich im Nachhinein echt enttäuscht, doch eine | |
Absage bekommen zu haben.“ | |
Andere Male war es weniger herzlich. Die WG-Mitbewohner hatten sich im | |
20-Minuten-Takt Kandidaten bestellt. „Das waren Massenabfertigungen“, sagt | |
Lüskow. „Man fühlt sich wie bei einem Bewerbungsgespräch, hat die ganze | |
Zeit das Gefühl, sich besonders gut präsentieren zu müssen.“ | |
Eine Entspannung der Wohnungssituation für Studierende ist – zumindest im | |
billigen Preissegment – nicht in Sicht. Zimmer des Studentenwerks kosten | |
zwar im Schnitt nur 204 Euro, aber es werden erst mal keine neuen | |
hinzukommen. Denn bauen darf das Studentenwerk derzeit nicht, das ist | |
Vorgabe des Landes Berlin. Zumindest schöner sollen die bestehenden | |
Wohnheime aber werden. „Weil wir ja nicht bauen dürfen, haben wir ein breit | |
angelegtes Modernisierungsprogramm“, bestätigt Jürgen Morgenstern. Zum | |
Beispiel im Wohnheim Siegmunds Hof in Tiergarten. Dort werden teilweise | |
Grundrisse verändert, neue Duschen und Gemeinschaftsräume gebaut. „Das ist | |
alles noch nach dem Standard der 50er Jahre.“ | |
Dass Studenten mittlerweile offenbar mehr Wert auf Wohnstandards legen und | |
oft auch mehr Geld zur Verfügung haben als früher, lockt private | |
Wohnheimanbieter. Aus einer Studie des Immobilienunternehmens CBRE geht | |
hervor, dass 2014 zwar 67 Prozent der Wohnheimplätze noch in der Hand des | |
Studentenwerks lagen; dass aber private Träger bereits einen großen Teil | |
der übrigen Wohnheimplätze anbieten: gut ein Viertel von den etwas mehr als | |
13.000 Zimmern. Von diesen kosten immerhin fast 30 Prozent mehr als 400 | |
Euro. | |
## Studenten mit viel Geld | |
Da passt es, dass Berliner Studierende laut der Studie im Bundesvergleich | |
überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung haben. Etwa die Hälfte verfügt | |
über mehr als 800 Euro im Monat, fast zehn Prozent sogar über mehr als | |
1.200 Euro. Zum Vergleich: Der Bafög-Höchstsatz in Berlin beträgt 670 Euro | |
monatlich. | |
Eines dieser privaten Wohnheime ist das „Eba51“ im Plänterwald. Aus | |
Containern wurden hier vor einem Jahr kleine, moderne Apartments für | |
Studenten entworfen. Eine der 400 Mini-Wohnungen, möbliert, gerade mal 26 | |
Quadratmeter klein, kostet knapp 400 Euro. Tina Sorgenlos, Sprecherin des | |
Containerdorfes, sagt, dass das Heim bei den Studenten sehr gut ankommt: | |
„Wir haben im Moment etwa 620 Vormerkungen von jungen Leuten, die bei uns | |
einziehen wollen.“ Deswegen sei man auf der Suche nach weiteren geeigneten | |
Grundstücken, um vergleichbare Projekte zu realisieren. Da die | |
Einwohnerzahl Berlins stetig wächst, dürfte das keine schlechte Investition | |
sein. | |
## Über den Tisch gezogen | |
Zumal man selbst nach erfolgreicher Zimmersuche noch böse Überraschungen | |
erleben kann. Etwa Sophie Waldmann: Als ihre Mitbewohner ihr nach einigen | |
Wochen noch immer keinen Mietvertrag vorgelegt hatten, fragte sie selbst | |
danach. Die Mitbewohner drucksten herum und gaben ihr schließlich ein | |
provisorisch aufgesetztes Formular zum Unterschreiben. Da hakte Waldmann | |
nochmals nach. Und es stellte sich heraus, dass der Vermieter gar nichts | |
von ihr wusste – und sich die Mitbewohner einfach mit der Besenkammer einen | |
Teil ihrer Miete „dazuverdienen“ wollten. | |
„Ich sollte mich nicht so aufregen, das mache doch jeder so in Berlin, | |
haben sie mir gesagt“, erzählt Waldmann. Daraufhin zog sie zu einer | |
Bekannten auf die Wohnzimmercouch. Um von dort nach einer richtigen WG zu | |
suchen. | |
9 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Bordel | |
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