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# taz.de -- Bilanz zur Pegida-Bewegung: Es klingt nach Dynamo
> Immer weniger Menschen besuchen die islamfeindlichen Pegida-Kundgebungen.
> Dafür sind die Parolen aggressiver geworden – und die Gäste bizarrer.
Bild: Sie sammeln sogar: Pegidisten in Dresden
DRESDEN taz | Eine Masse von 200 jungen Männern marschiert am vergangenen
Montag durch die Dresdner Elbe-Flutrinne. Sie sehen aus wie
Fußballhooligans und benehmen sich auch so, grölen einen Schlachtruf, von
dem man lediglich das Wort „Leipzig“ versteht. Sie wollen zu Geert Wilders,
dem niederländischen Rechtspopulisten, der Pegida zu einem neuen Aufschwung
verhelfen soll. Sie bilden das junge Pendant zu den überwiegend reiferen
Herren auf der Wiese.
An diesem [1][13. April konnte die Dresdner Pegida-Gruppe mit dem Zugpferd
Wilders noch einmal um die 8.000 Anhänger mobilisieren], viel für die
vergangenen Wochen. Seit Februar war die Resonanz stetig zurückgegangen.
Aber gleichzeitig wenig: 30.000 Demonstranten hatte sich Pegida durch
Wilders erhofft. Cheforganisator Lutz Bachmann verstieg sich zu dem
Vorwurf, die Medien, die doch zuletzt nur noch spärlich berichteten, hätten
Pegida klein geschrieben.
Die Sprechchöre und die Plakate sind aggressiver, das gemischte
Erscheinungsbild ist noch bizarrer geworden. Redner sind eindeutig der
deutschen und europäischen Rechten zuzuordnen. Entsprechend reisen auch
mehr Pegida-Touristen aus der ganzen Bundesrepublik an, der Anteil
organisierter Gruppen wächst. Der spontane, schlichte, verärgerte und
verängstigte Mitläufer aus dem Volk ist immer seltener anzutreffen.
Nun waren von Anfang an alle Beschreibungen und Urteile über das
Pegida-Völkchen und seine Derivate ebenso zutreffend wie falsch, weil sie
nie sämtliche Zutaten zu diesem Dresdner Allerlei erfassen konnten. Jeder
findet hier, was er sucht. Die üblichen Verdächtigen, die die „Lügenpresse…
keinesfalls als Nazis denunzieren darf, sind ohne weiteres auszumachen:
Typen in Thor-Steinar-Klamotten und mit dunklen Sonnenbrillen, die allen
Klischees über die rechte Szene entsprechen. Zu der rechnen
selbstverständlich auch nicht die Handvoll einschlägig bekannter
NPD-Funktionäre. Die Altrechten sozusagen.
## Gelbe Fahnen mit Lambda-Symbol
Die Neurechten fallen deutlicher auf. In den vergangenen Wochen sind stets
mehrere gelbe Fahnen mit dem schwarzen Lambda-Symbol der „Identitären“
dabei. Auf Nachfrage bestätigen die jungen Männer auch, Anhänger dieser aus
Frankreich stammenden, vorwiegend im Internet vernetzten Bewegung zu sein,
die sich gegen angebliche Überfremdung und Massenzuwanderung wendet.
Die Wartburgfahnen der Urburschenschaft von 1815, Rot-Schwarz-Rot mit einem
goldenen Eichenzweig, die anfangs noch stärker vertreten waren, sind
spärlicher geworden. Dresdner Burschenschaftler pilgern aber nach wie vor
zu den Montagsdemonstrationen, wenn auch ohne Couleur von Band und Mütze.
Unklar dagegen ist die Herkunft einer Gruppe mit schwarz-weiß-roten
Pudelmützen. Die alte Reichs- und Reichskriegsflagge dürfen sie nicht
mitführen, mit Selbstgestricktem drücken sie offenbar ihre Gesinnung aus.
„Bundesrepublik ist Kapitulation – Ruhm und Ehre der deutschen Nation!“,
skandieren sie und schrammen damit hart am verbotenen Wahlspruch der
Waffen-SS vorbei.
Ein deutlich übergewichtiger Mann im langen schwarzen Leder-Uniformmantel
und mit breitkrempigem Hut taucht schon seit einigen Wochen immer wieder
auf den Pegida-Demonstrationen in Dresden auf. Es ist, kaum
wiederzuerkennen, der Anwalt Jens Lorek, der in den neunziger Jahren einmal
die rechte Hand von Christine Ostrowski war, damals noch
Oberbürgermeisterkandidatin der PDS und zeitweise stellvertretende
Bundesvorsitzende der linken Partei.
2006 machte „JeLo“ weltweit Schlagzeilen, als er Opfer von
Alien-Entführungen anwaltlich vertreten wollte. 2013 versuchte er,
AfD-Mitglied der ersten Stunde zu werden. Nun gehört er zum engeren
Pegida-Kreis und „erfasst“ die Teilnehmerzahlen. Die Eimer-Aktion, bei der
jeder Montagsspaziergänger ein Geldstück, einen Knopf oder einen Goldbarren
zwecks genauer Zählung einwerfen sollte, sorgte für bundesweites Gelächter.
## Unteres Stammtischniveau
Und die vielen, die man nicht eindeutig zuordnen kann? Es sind noch mehr
Männer als in den Anfangsmonaten. Die überwiegend älteren von ihnen sind
bürgerlich gekleidet, anders als die eher an Hooligans oder
Kameradschaftler erinnernden jungen. Was man an Gesprächen aufschnappt,
verrät unteres Stammtischniveau. Plakate belegen es. „Alles Grüne wird
braun – Gutmenschen-Virus frisst Hirn“, steht da auf einer Pappe. Die
Kanzlerin bekommt als „Bundesmerkel“ Schweinsohren und Schweinsfüße. Immer
dabei ist auch das Plakat, das Angela Merkel in Nazi-Uniform mit Armbinde
und vor einer Fahne zeigt, bei der das Hakenkreuz gegen das Euro-Symbol
ausgetauscht wurde.
„Volksverräter“ ist inzwischen der beliebteste Pegida-Ruf. Hartnäckig wird
aber auch meist in Nähe des Lautsprecherwagens ein Transparent „Gegen
Nazis!“ mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz gezeigt. Als Nazi will hier
niemand gelten, nicht einmal Demagoge Lutz Bachmann, [2][der sich schon im
Führer-Look ablichten ließ].
„Wir sind weder rassistisch noch ausländerfeindlich“, beteuern einige
ältere Herrschaften. Nur eben mit der allgemeinen Politik sehr unzufrieden.
Dann kommt es aber doch, dann ziehen sie über Außenminister Steinmeier her,
der die Flüchtlinge „alle hier reinwinkt“. Wer soll das bezahlen? „Wir
haben genügend eigene Probleme mit Kindern, die keine warme Mahlzeit am Tag
haben. Und Tierheime müssen geschlossen werden!“, sagen sie.
Eine 31-jährige Frau fragt sich, ob sie in eine solche Gesellschaft Kinder
setzen soll. „Ich habe Angst, wenn die Kreuze von unserer christlichen
Kultur abgehangen werden und dafür muslimischer Unterricht schon in der
Grundschule erteilt wird.“ Auf Nachfrage räumt sie aber ein, dass sie
längst aus der Kirche ausgetreten ist. Sie ist eine der wenigen Frauen, die
in dieser männerdominierten Versammlung noch zu sehen sind. Fragt man
andere, ob sie sich mit dem Islam beschäftigt oder gar den Koran gelesen
haben, wird das als Provokation empfunden. „Lass mich doch in Ruhe mit
solchem Mist“, lautet eine der üblichen Reaktionen.
## Reden über „Deutschlandsender“
Die Stimmung gegenüber Journalisten ist nach wie vor gereizt. Man solle
sich schämen, für diesen „Scheißverein MDR“ zu arbeiten. „Nein, der
Deutschlandsender ist eigentlich der schlimmste!“, wendet jemand ein.
Deutschlandsender? Den gab es einmal in der früheren DDR, der hieß wirklich
so. Hier outet sich die Pegida-Generation. Einer äußert sich anerkennend
über das DDR-Eingabewesen im Vergleich zur heutigen Behördenignoranz. Und
die Deutsch-Sowjetische Freundschaft feiert mit Plakaten „Drushba s
Rossijej“: Freundschaft mit Russland.
Verschwörungstheorien machen die Runde. Der Verein „Dresden – Place to be�…
der das große Toleranzkonzert vor der Frauenkirche und die Bürgerkonferenz
veranstaltete, werde von den Arabischen Emiraten bezahlt, heißt es.
Maik Förster ist nach Monaten der Abwesenheit wegen des Israelfreundes
Wilders wieder einmal nach Dresden gekommen. Er kennt den gesamten Nahen
Osten, betreibt in der Lausitz ein Reisebüro und bei Pulsnitz einen
alttestamentlichen Bibelgarten. Und ja, er stimmt Wilders zu, wenn er sagt,
Israel sei ein „Leuchtturm im Meer der Barbarei ringsum“. In diesem Fall
stört ihn die groteske Situation nicht, dass nur wenige Schritte von den
Israel- und Jerusalem-Fahnen entfernt der NPD-Stadtrat Hartmut Krien zu
entdecken ist. „Pegida hat sich radikalisiert“, muss er ansonsten
feststellen.
Im Januar gehörte er nach dem ersten Bürgerdialog der Landesregierung noch
zur „Gruppe der 14“, die den Kontakt zwischen beiden Seiten pflegen sollte.
Doch dieser Dialog sei nicht von der Politik und schon gar nicht von Pegida
gewollt, hat er inzwischen erfahren müssen.
## Vorbild Oberst von Stauffenberg
Mit der heutigen Pegida-Spitze würde sich übrigens auch der sächsische
Innenminister Markus Ulbig nicht mehr treffen wollen – er war im Januar
dafür kritisiert worden, dass er sich mit Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel
und Vorstandsmitglied Achim Exner zusammengesetzt hatte. Mit der Einladung
Wilders’ hätte Pegida aber „eine Grenze überschritten“, sagt Ulbig.
Geert Wilders sieht Pegida am Montag in der Nachfolge von Kant, Schiller
und Stauffenberg. Seit Wochen hängt bei den Kundgebungen ein riesiges
Transparent mit einem Schiller-Zitat auf dem Altmarkt: „Der Menschheit
Würde ist in Eure Hand gegeben!“
Oberst von Stauffenberg ist schon länger das Vorbild einiger
Pegida-Demonstranten. Es ist in Mode gekommen, mit den Kreuz-Fahnen des
deutschen Widerstands von 1944 zu erscheinen – die im Dämmerlicht an die
norwegische Fahne erinnern und deshalb schon einige Verwirrung ausgelöst
haben. Ausgerechnet Stauffenberg. Er hatte mit seiner Widerstandsgruppe
einen Staatsstreich gegen Hitler vorbereitet; ein konservativer Patriot.
Seine Fans skandieren: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland
verlassen!“ Es klingt nach Dynamo Dresden. Es klingt immer nach Fußball bei
Pegida.
20 Apr 2015
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Bartsch
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