# taz.de -- TV-Serie „Transparent“: „Maura lebt in mir“ | |
> Leise, sensibel und langsam: Die Serie erzählt von einer Trans*Frau, die | |
> sich ein Leben lang als Mann verkleidet hat und dies erst mit 70 Jahren | |
> ändert. | |
Bild: Warteschlage in der Toilette: „Das bin jetzt ich“, sagt Maura Pfeffer… | |
Maura Pfefferman liebt Kaftane. In einer Szene der zweiten Folge sitzt sie | |
in einer Kaftan-Hosen-Variation auf dem Sofa ihrer Wohnung. Langes, leicht | |
ergrautes Haar. „Sagst du, dass du dich jetzt immer wie eine Frau | |
zurechtmachen wirst?“, fragt ihre Tochter Sarah sie. „Nein, Honey. Mein | |
ganzes Leben … Mein ganzes Leben habe ich mich wie ein Mann zurechtgemacht. | |
Das jetzt bin ich.“ Es ist der Wendepunkt in der Serie „Transparent“, die | |
Amazon letzte Woche in der deutschen Fassung veröffentlicht hat. | |
„Transparent“ ist eine Wortzusammensetzung aus Trans* und Parent (dt. | |
Elternteil) und bedeutet zugleich durchsichtig. Und das war Maura für ihre | |
ganze Familie. Ihre Kinder Ali, Joshi und eben Sarah waren und sind so sehr | |
mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, sie haben Maura nie richtig gesehen. | |
Jetzt, als 70-Jährige entscheidet Maura, ihre Verkleidung als Mann | |
aufzugeben, um endlich der Mensch zu sein, der sie immer sein wollte. | |
München. Hotel Bayerischer Hof. Hauptdarsteller Jeffrey Tambor hat eine | |
Halbglatze, trägt Brille, Hose, Hemd, Wollsocken. Wie Maura ist auch er 70 | |
Jahre alt. Im Januar erhielt Tambor, der vor allem durch seine Rolle als | |
großer Patriarch der Bluth Familie in der Serie „Arrested Development“ | |
bekannt wurde, den Golden Globe für seine Darstellung der Maura Pfefferman. | |
„Ich war ignorant vorher, aber nicht vorurteilsbeladen. Ich bin schließlich | |
in San Francisco groß geworden“, sagt er. Ignorant, was Falschinformationen | |
über die Trans*Community betrifft und die Vulgaritäten ihr gegenüber. | |
Vulgaritäten? Das Wort benutzt Tambor oft. „Transfiguren wurden oft | |
übertrieben gespielt, nicht nuanciert. Sie waren stereotypisch dargestellt. | |
Das meine ich mit Vulgarität.“ | |
„Transparent“ vermeidet diese Vulgarität und erzählt leise, sensibel und | |
langsam die Geschichte von Maura und ihrer Familie. Die Pfeffermans sind | |
alle auf irgendeine Art und Weise auf einer Reise, um sich selbst zu | |
finden. Sarah, die älteste Tochter, stürzt sich Hals über Kopf in eine | |
Beziehung mit ihrer Collegeaffäre Tammy. Dafür verlässt sie ihren Mann. | |
Josh ist hipper Musikproduzent und kann keine ernsthaften Bindungen | |
aufbauen. Ali, die Jüngste, lebt vor sich hin – ohne ein wirkliches Ziel. | |
Und da wäre noch die Figur der Schauspielerin Judith Light, bekannt als | |
Angela aus „Wer ist hier der Boss“. Sie spielt Mauras Exfrau, die sich um | |
ihren erkrankten zweiten Mann kümmert. | |
## Realness durch Entschleunigung | |
Los Angeles. Jill Soloway ist per Skype zugeschaltet. Sie schrieb | |
„Transparent“, weil sie selbst als Kind die Erfahrung gemacht hat, die | |
jetzt Mauras Kinde erleben. Soloway verarbeitet mit der Serie zum Teil ihre | |
eigene Geschichte. Warum die Langsamkeit in der Narration? „Ich versuche, | |
eine Art Echtheit zu erreichen“, sagt sie. Und diese Echtheit, „realness“… | |
wie sie sagt –, erschafft sie, indem sie das Tempo drosselt. Das ist | |
ungewöhnlich für eine neue Serie, schließlich haben sich im amerikanischen | |
Storytelling Schnelligkeit, harte Schnitte und das Spiel mit mehreren | |
Storylines etabliert. Soloway hat unter anderem auch für „Six Feet Under“ | |
und „Grey’s Anatomy“ geschrieben. Vor allem Letztere ist für die Kunst d… | |
schnellen Narration und der vielen krassen Wendepunkte bekannt. | |
Doch in „Transparent“ mag Soloway es langsam, sehr langsam. „Ich versuche, | |
es umzudrehen. Mir geht es vor allem um menschliche Emotionen.“ Warum | |
gerade Amazon? Jill Soloway habe die Serie nicht bewusst für Amazon | |
geschrieben, sondern mehreren Anbietern vorgestellt. Sie wollte sich aber | |
nicht auf krude Deals einlassen wie: Erst einen Pilotfilm drehen und dann | |
mal schauen. Bei Amazon Prime, wie auch beim Konkurrenten Netflix, sind | |
alle Folgen einer Staffel direkt verfügbar. Für Soloway hieß das, sie kann | |
ihre Geschichte so erzählen, wie sie möchte, und eine ganze Staffel | |
beenden. | |
Für Amazon hat sich „Transparent“ schon allein aus Publicitygründen | |
gelohnt. Die Serie lenkte von allen anderen Problemen – Drohnen, Kritik an | |
Arbeitsbedingungen und Chef Bezos – ab, weil die US-amerikanischen | |
Rezensenten die Serie lobten. Zudem gewann sie zwei Golden Globes. Längst | |
hat Amazon eine zweite Staffel bestellt, ab Juni wird gedreht. Jill Soloway | |
verrät nur so viel: „In den Rückblenden wird es um Mauras Vorfahren in | |
Berlin der 30er Jahre gehen, die im Dunstkreis des Sexualwissenschaftlers | |
Magnus Hirschfeld leben.“ | |
Das passt. Rückblenden und kleine Experimente sind neben der sensiblen | |
Narration das Herzstück der Serie. Sei es das Dragcamp, in das Maura noch | |
verkleidet als Mort fährt, oder die Folge, in der Ali sich in einen | |
Trans*Mann verliebt und alles wie in einem rosa Traum wahrnimmt, obwohl die | |
Realität anders aussieht. | |
Viele Zuschauer empfinden gerade die Kinder von Maura Pfefferman als | |
unnahbar, egoistisch und nervig. „Sie stehen unter Schock, Kinder sind | |
immer egoistisch. Und auch Maura ist kein Engel, sie spielt ihre Kinder | |
gegeneinander aus“, sagt Hauptdarsteller Tambor im Interview. Und Soloway: | |
„Wir wollten die Geometrie umkehren. Normalerweise findet bei Trans*Figuren | |
ein Othering statt, nach dem Motto ’Oh mein Gott, da ist eine Trans*Person‘ | |
oder: ’Ich bin im Gefängnis, und da ist auch eine Trans*Frau‘ “, sagt sie | |
in Anspielung auf die Zuschreibungen von außen in der Netflix-Serie „Orange | |
ist the new Black“. Diese wurde häufig dafür kritisiert, dass der Zuschauer | |
alles durch die Augen einer privilegierten Weißen wahrnimmt. „Wir wollten | |
es anders machen. Maura ist die zentrierteste Person in „Transparent“ und | |
wird dreidimensional dargestellt, gleichzeitig ist es für sie nicht | |
einfach, ihre patriarchalen Privilegien abzugeben.“ | |
## Keine Grenzerfahrung | |
Eine andere Kritik an der Serie: Mit Jeffrey Tambor spielt wieder ein Mann | |
eine Trans*Frau statt einer Trans*Schauspielerin. Jill Soloway hat einen | |
persönlichen Grund dafür: „Jeffrey erinnert mich an meinen eigenen | |
Elternteil, deswegen wollte ich ihn unbedingt für diese Rolle haben.“ Oft | |
sorgen Rollen von Trans*Personen für Preise und Nominierungen, wie bei | |
Felicity Huffman für „Transamerica“ oder Jared Leto für „Dallas Buyers | |
Club“. Und dann erzählen diese Schauspielerinnen und Schauspieler gern, was | |
für eine Grenzerfahrung sie durchmachten, wie sie neu lernen mussten, zu | |
gehen, oder wie verrückt ihre Vorbereitungen waren – mental und körperlich. | |
Tambor jedoch habe keine Grenzerfahrung gemacht, sagt er. Und auch die | |
Frage, ob er seine innere Weiblichkeit finden musste, lehne er ab. „Wir | |
alle haben Aspekte im Leben, die wir verneinen, weil es uns so beigebracht | |
wurde“, sagt er. Tambor hat sich zwar vorbereitet, aber eher theoretisch. | |
„Maura lebt in mir.“ | |
Seine Ignoranz haben ihm die Produzent*innen und Berater*innen Jennifer | |
Finney Boylan, Rhys Ernst, und Zackary Drucker genommen. Der Druck für | |
Tambor war trotzdem hoch. In der anfangs beschriebenen Szene hätten seine | |
Hände wirklich gezittert, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich habe mir nur die | |
Nägel lackieren lassen, weil ich wissen wollte, wie sich die Handbewegung | |
verändern mit lackierten Nägeln.“ | |
Was er von der Trans*Community gelernt habe? Tambor überlegt lange. „Ich | |
habe gelernt, dass es um Authentizität und innere Orientierung geht.“ Die | |
Trans*-Bürgerrechtsbewegung sei an ihrer Spitze und es werde endlich etwas | |
passieren in Amerika, sagt Tambor. In den USA werden an Transpersonen, vor | |
allem an Transfrauen, trotzdem sehr häufig Gewaltverbrechen verübt. Ein | |
Fakt. über den viel geschwiegen wird. Tambor weiß das und fühlte als Mann, | |
der eine Transfrau spielt, auch eine Verantwortung: „Ich wollte es richtig | |
machen. Nicht für die Kritiken oder für die Preise, sondern für die | |
Trans*Community.“ | |
20 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
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