# taz.de -- US-Serie „True Blood“: Ein „n“ macht den Unterschied | |
> In der Serie „True Blood“ stehen Vampire stellvertretend für die queere | |
> Szene in der realen Welt. Unsere Autorin hat darüber ein Buch | |
> geschrieben. | |
Bild: Sieht eigentlich ganz normal aus: der Werwolf Alcide, gespielt von Joe Ma… | |
Der Vorspann zu „True Blood“, von der Firma Digital Kitchen produziert, | |
enthält weder Bilder, die der Serie selbst entstammen, noch Verweise auf | |
Vampire oder andere übernatürliche Wesen. Es handelt sich stattdessen um | |
eine suggestive, 90 Sekunden währende Bilderfolge, deren Rhythmus das | |
Country-Stück „Bad Things“ von Jace Everett bestimmt. Charakteristisch ist, | |
dass der Vorspann erst nach einem Präludium einsetzt, das jeweils circa | |
zwei Minuten dauert, manchmal etwas weniger, in Ausnahmefällen auch länger, | |
bis zu vier, fünf Minuten. | |
Diese Miniatur macht meist genau dort weiter, wo die vorangegangene Folge | |
aufhörte. In aller Regel mündet sie in einen Cliffhanger, an den das erste | |
Vorspannbild stößt, eine grünlich-gelb getönte Unterwassereinstellung auf | |
einen großen Wels. Die Kamera taucht aus dem Wasser auf, schaut sich, nach | |
dem Schnitt, den Kopf eines Alligators aus der Nähe an, wobei sie die | |
Aufwärtsbewegung beibehält. | |
Es folgen weitere Aufnahmen von der typischen Flora, Fauna und Topografie | |
Louisianas, Kamerafahrten durch Bayous, an Holzschuppen auf Stelzen und an | |
heruntergekommenen Häusern vorbei, Bilder von einem Opossum, das von einem | |
Auto überfahren wurde, von der Metamorphose eines Falters, von einer Straße | |
in der Dämmerung, von einem Fuchs, der im Zeitraffer von Maden zerfressen | |
wird, von Bars, in denen aufreizend getanzt wird, von Gottesdiensten, die | |
in religiöser Ekstase gipfeln. | |
Mitten in dieser Feier des tiefen Südens mitsamt seiner neogothischen | |
Tropen – „a love letter to the Gothic South“, heißt es werbend auf der | |
Website von Digital Kitchen – findet sich eine drei Sekunden dauernde | |
Einstellung von einer erleuchteten Schrifttafel. Es ist Nacht, die Kamera, | |
auf der Kühlerhaube eines von links nach rechts vorbeifahrenden Autos | |
angebracht, gleitet an der weißen Tafel mit schwarzen Buchstaben vorbei, zu | |
lesen ist die Hassparole „God hates fangs“, Gott hasst Fangzähne, was | |
metonymisch für die Vampire steht. | |
## Schwule und Lesben statt Fangzähne | |
Ich brauchte eine Weile, bis ich das „n“ in „fangs“ bemerkte. Während … | |
gesamten ersten Staffel las ich auf dem Billboard einen anderen Satz: „God | |
hates fags“, die Hassparole, mit der radikale Christen in den USA ihre | |
Abscheu gegen Schwule und Lesben, gegen Trans- und Intersexuelle bekunden, | |
etwa die Westboro Baptist Church aus Topeka, Kansas, die eine Website | |
gleichen Namens betreibt. Neben vielen wirr angeordneten Bibelzitaten | |
findet sich dort eine Übersicht über Protest- und Blockadeaktionen, mit | |
denen die Bibeltreuen gegen die Repräsentanten des verhassten liberalen | |
Amerikas zu Felde ziehen. | |
Dass meine Augen das „n“ in „fangs“ so lange übersehen haben, ist inso… | |
kein Zufall, als die Fehlleistung von der Serie provoziert wird. Denn „True | |
Blood“ lässt sich über weite Strecken als eine überdeutliche Metapher auf | |
den Kulturkampf begreifen, der die Anerkennung und die rechtliche | |
Gleichstellung von Homosexuellen in den USA begleitet – und nicht nur dort, | |
wie die Erregung zeigt, die im Herbst 2013 Baden-Württemberg überkam. | |
Der Grund war das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, den Lehrplan an | |
Schulen in Baden-Württemberg so umzustellen, dass die Schüler mehr über | |
sexuelle Vielfalt erfahren. Die Abwehr der „fangs“ dient in der Serie immer | |
wieder als Konfliktmotor, sie äußert sich mal in milder sozialer | |
Ausgrenzung, mal im Hate Crime, und sie spiegelt die Abscheu gegen „fags“, | |
die viele konservative US-Amerikaner an den Tag legen. | |
## Aus der Nische heraustreten | |
Das Szenario, das Alan Ball und die übrigen Drehbuchautoren ersinnen, ist | |
folgendes: Nachdem sie jahrtausendelang im Verborgenen gelebt haben, | |
möchten Vampire als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anerkannt | |
werden. Weil Wissenschaftler in Japan ein synthetisches Blut namens | |
TruBlood hergestellt und vermarktet haben, können die Vampire ihre | |
Ernährungsbedürfnisse stillen, ohne Menschen anzugreifen. Theoretisch also | |
bilden sie keine Gefahr mehr, und deshalb können sie als Minderheit mit | |
spezifischen Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Bedürfnissen Teil der | |
Gesellschaft werden, so ähnlich wie Schwule und Lesben aus subkulturellen | |
Nischen herausgetreten sind. | |
In der Serie heißt diese Agenda „Mainstreaming“. Der Moment, in dem die | |
Existenz im Verborgenen beendet wurde, nennt sich religiöser konnotiert | |
„the great revelation“. Als „True Blood“ beginnt, liegt dieser Moment | |
bereits zwei Jahre zurück. Oft ist davon die Rede, die Vampire seien „out | |
of the coffin“, analog zu „out of the closet“, der Wendung, die Schwule u… | |
Lesben nutzen, wenn sie ihrer Herkunftsfamilie, ihrem Arbeitgeber oder der | |
Öffentlichkeit mitteilen, dass sie homosexuell sind. | |
Darüber hinaus sind die Vampire in „True Blood“ mit vielem ausgestattet, | |
was eine Bürgerrechtsbewegung heutzutage braucht: Es gibt die American | |
Vampire League als starke Interessenvertretung und eine Sprecherin, die | |
keine Talkshow und keine Nachrichtensendung scheut. Dieser Figur – sie | |
heißt Nan Flanagan (Jessica Tuck) – gehören dann auch einige der | |
allerersten Augenblicke der Serie, wenn sie in einer Talkshow, die in einem | |
kleinen Röhrenfernseher in einem Geschäft läuft, sagt: „We are citizens. We | |
pay taxes. We deserve basic civil rights just like everyone else.“ | |
(„Strange Love“.) | |
Zudem gibt es prominente Unterstützer: In der zweiten Folge der ersten | |
Staffel etwa gleitet die Kamera wie zufällig am Cover eines Tabloids | |
vorbei. Die fett gedruckte Überschrift lautet: „Angelina Jolie Adopts | |
Vampire Baby“ („The First Taste“). Und wie in der wirklichen Welt, in der | |
radikale Stimmen aus dem Umfeld queerer Theorie und queeren Aktivismus die | |
auf Assimilation setzende Politik der schwullesbischen Interessenverbände | |
kritisieren, gibt es auch in „True Blood“ Vampire, die mit dem | |
Mainstreaming unzufrieden sind, weil sie es für die falsche Politik halten. | |
In ihren Augen impliziert es den Verlust von spezifischen Freuden und | |
Genüssen und führt zu Selbstverleugnung und -hass. | |
## Preis für die Anerkennung | |
Wenn die zentrale Achse, um die herum die Serie gebaut ist, der Konflikt um | |
die Anerkennung der Vampire und das Ringen von liberalen und reaktionären | |
Akteuren sind, dann dreht sich die zweite Achse in eine eher gegenläufige | |
Richtung. Denn sie stellt die Frage nach dem Preis, den die Vampire für das | |
Anerkanntwerden und die Menschen für das Anerkennen zahlen. Der äußere | |
Konflikt wird von einem inneren Konflikt flankiert, insofern Vampire mit | |
anderen Vampiren hadern, weil die nicht bereit sind, die geforderten | |
Anpassungsleistungen zu erbringen. Ähnlich ergeht es den Menschen, von | |
denen manche die Veränderungen gutheißen, während andere, etwa die Anhänger | |
der Fellowship of the Sun, alles daran setzen, sie rückgängig zu machen. | |
Nun lassen sich die Parallelen zwischen dem Mainstreaming der Vampire und | |
real existierenden Bürgerrechtsbewegungen nur bis zu einem gewissen Punkt | |
belasten; spätestens dort erreichen sie ihr Ende, wo sich die Vampire | |
tatsächlich ziemlich blutrünstig verhalten. Hinzu kommt, dass die | |
gesellschaftspolitische Frage nach der Anerkennung von Schwulen und Lesben | |
sich heutzutage ohne den Umweg einer Deckerzählung artikulieren lässt. Alan | |
Ball selbst hat das getan, als er in „Six Feet Under“ der Figur des | |
schwulen David Fisher und dessen Dilemmata großen Raum gab. | |
Das Interessante am Fantasy-Universum von „True Blood“ ist nicht so sehr | |
die Frage, worauf es sich übertragen lässt, als vielmehr die Gefräßigkeit, | |
mit der die Serie sich ein gesellschaftspolitisches Äußeres einverleibt und | |
sich dadurch am Leben erhält; die Unverfrorenheit, mit der sie | |
Übertragbarkeit in jedem Atemzug evoziert, ohne sie doch ganz ernst zu | |
nehmen. „True Blood“ hat etwas, was Susan Sontag einmal so beschrieb: „a | |
sensibility that, among other things, converts the serious into the | |
frivolous.“ | |
Während Sontag dieses für Camp charakteristische Gespür als apolitisch | |
begreift, macht die Serie gerade mit und aus dem Frivolen Politik. | |
26 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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