# taz.de -- HBO-Serie „Looking“: Suchendes Hinsehen | |
> Die Serie „Looking“ zeigt schwules Leben in San Francisco. Aus der | |
> Community erntet die Produktion viel Kritik. Doch die macht es sich zu | |
> einfach. | |
Bild: Schwules Leben in San Francisco - zu sehr Klischee? | |
Am Ende eines gemeinsam verbrachten Tages stehen Patrick und sein Liebhaber | |
Richie auf den Klippen von Ocean Beach, schauen über den Pazifik und | |
imaginieren San Francisco als Stadt, in der die wegen ihrer sexuellen | |
Orientierung vom Dienst suspendierten Navy-Soldaten des Zweiten Weltkriegs | |
eine neue Heimat gefunden haben. Damit sind sowohl die historischen | |
Ursprünge wie auch die visuellen Reize der Schwulenszene der Stadt in der | |
HBO-Serie „Looking“ markiert: als viel beschworenes „gay mecca“ | |
Kaliforniens, vom Meer umspült, von Wärme und Licht eingehüllt, voller | |
Verheißungen eines selbstbestimmten Lebens, das nichtheterosexuelle | |
Menschen seit den 1940ern gelockt hat. | |
San Francisco ist der Schauplatz, an dem die Serie die Bestandsaufnahme | |
heutigen schwulen Lebens wagt, indem sie den relativ undramatisch | |
verlaufenden Wegen dreier befreundeter schwuler Männer folgt. „Looking“ | |
durchmisst diesen Schauplatz wie eine vierte Hauptfigur: als Speicher | |
queerer Träume und Tragödien und als reizdichten Spielplatz, auf dem das | |
suchende Hinsehen („Looking“), das immer auch einen Modus sexueller | |
Erregung meint, alltägliche Disziplin ist. | |
Als HBO im Oktober 2013 eine neue Dramedy ankündigte, die vom Spaß und von | |
den Möglichkeiten aktueller schwuler Lebensentwürfe handeln sollte, war die | |
Aufregung groß. Es gab nur wenig Vorläufer für ein solches Projekt, das als | |
viel zu nischig für ein Massenmedium gilt: „Queer as Folk“, „The L Word�… | |
und die Sitcom „The New Normal“, die aber von NBC nach nur einer Staffel | |
begraben wurde. | |
Von HBO versprach sich die Zielgruppe größeren Mut und wurde bestätigt: | |
Trotz geringer Einschaltquoten wurde „Looking“ für eine zweite Staffel | |
verlängert, die aktuell in den USA zu sehen ist. In Deutschland lief die | |
erste Staffel im Herbst bei Sky Atlantic, am Donnerstag ist sie auf DVD | |
erschienen. | |
## Erste Kritik schon vor der Pilotfolge | |
Doch noch bevor die Pilotfolge überhaupt ausgestrahlt wurde, gab es schon | |
Kritik aus der LGBTQ-Perspektive: Der Blogger Justin Huang warf dem | |
produzierenden Sender in der Huffington Post ein „Weißwaschen“ der | |
kulturellen Diversität der queeren Szene vor. Huang nahm an, das Personal | |
der Serie bestünde ausschließlich aus weißen Männern. Dieser Vorwurf | |
verschwand auch dann nicht, als deutlich wurde, dass „Looking“ mit seinen | |
Figuren so divers ist wie kaum eine andere Serie. | |
Es geht um Patrick, einen weißen Videogame-Designer, Augustín, seinen | |
Freund aus College-Zeiten, Sohn kubanischer Eltern, und den etwa zehn Jahre | |
älteren Kellner Dom. Patricks Love-Interest der ersten Episode, Richie, hat | |
einen mexikanischen Arbeiterklassen-Hintergrund. Vorwürfe von racism, | |
classicm und agism laufen also offensichtlich ins Leere. | |
Dass sie trotzdem beim „suchenden Hinsehen“ auf „Looking“ eine Rolle | |
spielen, dass immer wieder die Erwartung deutlich wird, das eigene Leben | |
müsse in der einzigen Schwulenserie mit erzählt werden, sagt vielleicht | |
mehr über das Medienverhalten der LGBTQ-Szene aus als über die | |
Minderheitenpolitik eines Senders wie HBO. | |
## „Die Szene“ gibt es nicht | |
Es ist 2015, die Szene hat sich ausdifferenziert. Die stolze Umformulierung | |
der schwulen Identität, der Aufbau einer Szene-Infrastruktur, die | |
Lobbyarbeit für die eigene Sache sind zwar als Erzählungen der gay | |
liberation noch präsent, doch ist im gleichen Maße das Bewusstsein für die | |
„Gemachtheit“ dieser Identitäten gewachsen: Das „Wir“ ist das Ergebnis… | |
Vereinheitlichung und Ausschluss – und vollständig repräsentiert fühlt sich | |
dadurch kaum noch jemand. Wer 2015 noch behauptet, er könne „die Szene“ | |
abbilden, der irrt. | |
Im LGBTQ-Wunschkatalog wird jede Figur daran abgeglichen, ob sie den | |
aktuellen Diversitätsansprüchen entspricht: Bei „Looking“ fehlen zum | |
Beispiel weibliche, vor allem lesbische Figuren, so die Kritiker. Die | |
Nacktszenen seien prüde, die Figuren zu anschlussfähig für den bürgerlichen | |
Mainstream. „Looking“ präsentiere einen neuen „Homonormativismus“ und | |
beteilige sich an der Gentrifizierung San Franciscos, weil sie den armen, | |
farbigen, queeren Underground nicht zeige. Man merkt: die Kritiker sind im | |
Wesentlichen mit dem beschäftigt, was in „Looking“ nicht zu sehen ist. Was | |
aber ist in „Looking“ zu sehen? | |
Die Serie ist ein Versuch, schwules Leben erzählerisch zu konkretisieren. | |
Patrick, Augustín und Dom sind damit beschäftigt, ihre Sehnsüchte zu | |
verfolgen, ihre immer wieder zerbrechenden Träume neu auszurichten, mit | |
ihren eigenen Vorurteilen umzugehen, diese Stadt zu durchmessen, die ihnen | |
ein freies, selbstbestimmtes Leben verspricht. Sie sind keine neoliberal | |
eingestimmten Selbstverwirklicher, denen das schnell ausgesprochene | |
Hipster-Label passen würde. Sie sind Männer mit Fehlern und Schwächen. | |
„Looking“ stellt sich mit dem Engagement von Michael Lannan (Regieassistent | |
bei Filmen von Travis Mathews) und Andrew Haigh („Weekend“) in die Reihe | |
aktueller Independent-Filme, die Ben Walters im Guardian als „New Wave | |
Queer Cinema“ bezeichnet hat. Er meinte damit ein sich auf Beobachtung und | |
Detailzeichnung konzentrierendes Kino, in dem die großen Identitätsfragen | |
homosexueller Lebensentwürfe nur noch situativ ins Spiel kommen – als | |
Ablagerungen in Ideen, Körpern und Städten, wo sie sich mit anderen urbanen | |
Erzählfäden verbinden. | |
## Die Kritik geht nicht damit um, was wirklich im Bild ist | |
Vorwürfe gegenüber diesem Kino, es sei unpolitisch, weiß, schwul und | |
Mittelklasse, es würde keine Utopien entwerfen, werden nun auch gegen | |
„Looking“ erhoben. Diese Kritik ist wenig analytisch, da sie kaum mit dem | |
umgeht, was tatsächlich im Bild ist. Vielmehr ist sie eine Art von | |
„Monitoring“‘: In der Erwartung dessen, was gezeigt werden müsste, wird | |
aufgelistet, was fehlt. Einem Kunstwerk wird die Kraft zur Repräsentation | |
abgesprochen, als sei das sein wesentliches Projekt. Dieses Verfahren ist | |
so einfach wie kunstfeindlich. Es spricht daraus eine tiefe Skepsis | |
gegenüber einem visuellen Medium, eine Unlust am Bild, die man allenfalls | |
aus der Erfahrung heraus rechtfertigen könnte, jahrzehntelang entweder | |
unsichtbar gemacht oder mit fremden, „falschen“, Bildern überzeichnet | |
worden zu sein. | |
„Looking“ macht demgegenüber das suchende Hinsehen zum Programm, was | |
wiederum einiges mit einer schwulen Aufmerksamkeitspolitik zu tun hat – dem | |
erregten Ausmachen möglicher Sexual- und Lebenspartner auf Datingportalen | |
und im öffentlichen Raum wie dem Sich-zu-erkennen-Geben als Suchender. In | |
den wie improvisiert wirkenden Dialogen von Patrick, Augustín und Dom wird | |
die Ausdrucksunsicherheit und Sehnsucht nach einer passenden Form selbst | |
zum Thema. Auch Körper sind Erzählfiguren: Es ist sehr genau ausgearbeitet, | |
wer in „Looking“ wie mit wem schläft. | |
Die von den Kritikern vermissten Reflexionen über race, class und age | |
laufen in einzelnen, präzise gesetzten Bildern zusammen. Dass Patrick nackt | |
vor einem Spiegel steht und den ihm von Richie um den Hals gelegten | |
Glücksbringer betrachtet, dessen Name und kulturelle Bedeutung ihm fremd | |
sind, ist genauso vielsagend wie der mehrfache Hinweis, dass Patrick als | |
gebildeter weißer US-Großstadtbewohner kein Spanisch spricht. | |
Während sich die aktuellen großen Filmerzählungen aus dem LGBTQ-Spektrum | |
zwischen „Brokeback Mountain“, „Milk“, „Liberace“ und „Pride“ f… | |
ausschließlich den so gut scharfzustellenden Identitätsfragen der | |
Vergangenheit zuwenden, versucht eine kleine HBO-Serie, alltägliches | |
queeres Leben in all seiner konkreten Unschärfe in den Blick zu bekommen. | |
Das könnte man erst mal würdigen. Vielleicht ist die Kritik daran auch eine | |
an der fehlenden Übersichtlichkeit schwuler Entwürfe: Wenn Diskriminierung, | |
Zensur, Aids und Coming-out als Parameter der Existenz wegfallen – was sind | |
wir dann noch? | |
28 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Künemund | |
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