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# taz.de -- Nach dem Erdbeben in Nepal: Der Fluss grau von Asche
> Tag und Nacht arbeiten die Krematorien in Kathmandu. Die Zahl der Opfer
> des Bebens steigt immer weiter, derzeit sind über 6.000 bestätigt.
Bild: Unablässig brennen die Feuer im Krematorium.
KATHMANDU taz | „Warum! Warum!“, schreit Khusbu. Dann versagt der Frau die
Stimme. Tränen laufen ihr Gesicht herunter. Starr blickt sie auf den
Scheiterhaufen vor ihr. Der kleine Leichnam ihres Sohnes geht darin gerade
in Flammen auf.
Beißender Geruch von verbrannten Fleisch und menschlicher Verwesung liegt
in der Luft, durchmischt mit zartem Rosenduft. Wieder schreit Khusbu laut
auf, reckt die Armen in den Himmel und wirft sich vor dem Scheiterhaufen zu
Boden. Verwandte und Freunde versuchen, die Frau zu beruhigen. Auch sie
haben Tränen in den Augen.
Khusbu und ihre Verwandten sitzen auf einer kleinen Steinbank am Ufer des
Bagmati-Flusses in Nepals Hauptstadt Kathmandu. Hier befindet sich das
größte Krematorium der Stadt. An normalen Tagen werden hier rund 30 Tote
verbrannt. Doch seit dem verheerenden Beben am vergangenen Samstag herrscht
Hochbetrieb.
Denn auch knapp eine Woche nach dem schweren Erdbeben in Nepal steigt die
Zahl der Toten täglich weiter. Offiziellen Angaben zufolge sind mindestens
6.200 Menschen ums Leben gekommen. Doch noch haben die Helfer nur wenige
Informationen aus den entfernten Regionen des Landes. Man muss mit vielen
weiteren Toten rechnen. Nepals Premierminister Koirala befürchtet mehr als
10.000 Tote, der Chef der nepalischen Armee gar mehr als 15.000.
## Unablässig dichter Rauch
Tag und Nacht werden seither am Bagmati-Fluss die Leichen der Opfer
verbrannt. Wie Khusbu wickeln die Hinterbliebenen ihre Toten in
orange-goldene Tücher, auf einer schmalen Metalltrage bringen sie sie ins
Krematorium. Dort gibt es zehn rituelle Verbrennungsstellen. Sie ragen
dicht an den Fluss heran, auf allen brennt es lichterloh. Unablässig steigt
dichter Rauch in den Himmel auf.
Gagan arbeitet seit 25 Jahren in dem Krematorium, er überwacht und pflegt
die Totenfeuer am Fluss. Bis auf einen schmalen Zopf hat er seine Haare
abrasiert, um die Hüften trägt er einen weißen Wickelrock. Seine dünnen
Arme und Beine wirken erschöpft.
Seit dem verheerenden Beben arbeiten Gagan und seine Kollegen in 16- bis
18-Stunden-Schichten. Doch selbst das reiche nicht aus, erzählt er. „Es
sind so viele Tote. Immer mehr. Jeder muss jetzt mithelfen, auch die
Familien.“ Gagan legt die Hände aufs Gesicht, seine Augen tränen, vom
Feuer, vom beißenden Geruch, vielleicht auch aus Trauer und Mitgefühl für
die vielen Toten. Gagan geht in die Hocke und starrt geradeaus auf den
Fluss. Dann zieht er noch kurz zwei-, dreimal an seiner Zigarette, bevor er
sich aufmacht zur nächsten Feuerstelle.
## Kostenloses Holz
Dort trägt Bishal vorsichtig eine kleine Kerze in der Hand. Langsam
umrundet er damit einen Leichnam, der vor ihm liegt. Fünf Mal, im
Uhrzeigersinn. Das Ritual gilt als Sinnbild für die fünf Elemente. Wenige
Schritte entfernt sitzen Mutter und Vater Bishals, einige Freunde und
Verwandte. Einige schreien vor Wut und Entsetzen, die meisten trauern
still. Es sind zehn Menschen, die Bishal in dieser schweren Stunde zur
Seite stehen.
Sie selbst waren vielleicht gestern oder erst heute Morgen hier, um selbst
einen ihrer Familie auf seine letzte Reise zu schicken. Einige helfen
Gagan, Holz unter den toten Körper zu packen. Seit dem Erdbeben vergibt die
Regierung das Holz gratis. Sie hat Massenverbrennungen angeordnet, um
Seuchen zu vermeiden. Knapp drei Stunden wird es dauern, bis der Körper von
Bishals Verwandtem verbrannt ist. Anschließend wird die Familie die Asche
in den Fluss kippen. Das Wasser hat sich in den vergangenen Tagen grau
gefärbt, vereinzelt schwimmen Girlanden aus Ringelblumen auf der
Oberfläche.
Ist die Asche eines Verstorbenen in den Fluss gekehrt, wird Gagan schnell
ein paar Mal an seiner Zigarette ziehen. Viel Zeit hat er nicht, es wartet
schon der nächste Leichnam.
1 May 2015
## AUTOREN
Michael Radunski
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