| # taz.de -- Verfassungsschutz mauert bei NSU-Mord: „Dann haben wir eine Staat… | |
| > Thomas Bliwier, Anwalt der Familie Yozgat, ist überzeugt, dass | |
| > Verfassungsschützer Andreas Temme den NSU-Mord in Kassel beobachtete. | |
| Bild: Der Verfassungsschützer Andreas Temme auf dem Weg zum Untersuchungsaussc… | |
| taz: Herr Bliwier, der Fall Kassel gehört bis heute zu den mysteriösesten | |
| der NSU-Mordserie. Glauben Sie, es wird sich noch auflösen lassen, warum | |
| der Verfassungsschützer Andreas Temme bei der Tat vor Ort war? | |
| Thomas Bliwier: Ich bin der festen Überzeugung, dass man das kann. Aber | |
| nur, wenn Temme endlich die Rückendeckung beim Verfassungsschutz entzogen | |
| wird und wir lückenlos alle behördeninternen Akten zu dem Fall auf den | |
| Tisch bekommen. | |
| Temme wurde mehrfach im NSU-Prozess in München befragt, vor dem | |
| Untersuchungsausschuss im Bundestag, am Montag auch im Ausschuss in Hessen. | |
| Was hat das Neues ans Licht gebracht? | |
| Die Befragungen nichts. Das Neue aber ist, dass wir die Telefonüberwachung | |
| von Temme, die nach dem Mord an Halit Yozgat angeordnet wurde, ausgewertet | |
| haben. Insgesamt 2.000 Gespräche. Das hatte bis dahin noch niemand gemacht. | |
| Warum eigentlich nicht? | |
| Ich will der Kasseler Polizei da überhaupt keine Vorwürfe machen. Ich | |
| glaube, durch die Sperrerklärung des damaligen Innenministers Volker | |
| Bouffier und das Mauern des Verfassungsschutzes hat man irgendwann die Lust | |
| verloren, immer gegen die Wand zu laufen. | |
| Was, meinen Sie, hat Temme wirklich am 6. April 2006 im Internetcafé | |
| gemacht? | |
| Ich bin der festen Überzeugung, dass er dienstlich da war. Dass die ganze | |
| Geschichte mit dem privaten Chatten in einem Datingportal nicht stimmt. | |
| Aber die Seitenaufrufe lassen sich ja nachvollziehen. | |
| Es mag ja sein, dass Herr Temme auch auf diesen Seiten unterwegs war, das | |
| kann aber auch ein Teil einer Legende gewesen sein. Ich bin zudem der | |
| festen Überzeugung, dass Temme vorher Hinweise hatte, dass da was passiert, | |
| und deshalb hingefahren ist. Und ich bin der festen Überzeugung, dass er | |
| die Tat beobachtet hat. Diesen letzten Punkt haben wir auch schon bewiesen. | |
| Inwiefern? | |
| Weil er am Montag nach der Tat bereits im Verfassungsschutz davon geredet | |
| hat, dass die Ceska als Waffe benutzt worden war, was bis dahin die Polizei | |
| noch gar nicht bekannt gegeben hatte. | |
| Wenn Temme wirklich vorab informiert war, warum sollte er an den Tatort | |
| gehen und sich in Gefahr bringen, statt die Polizei zu alarmieren? | |
| Möglicherweise hat sich der Verfassungsschutz vorgestellt, dass man das in | |
| Eigenregie aufklärt oder verhindert, ich weiß es nicht. Wir haben die | |
| Verfassungsschutzakten ja nicht. Aber wenn eine Behörde derart mauert, dann | |
| hat sie dafür einen Grund. Wenn rauskommt, dass Temme dienstlich vor Ort | |
| war und unter den Augen des Verfassungsschutzes ein Mord passiert, dann | |
| haben wir eine Staatskrise. | |
| Und deshalb schweigt das Amt und deckt die Mörder? | |
| Ja, aus reinem Selbstschutz. Einen Mord geschehen zu lassen, das kann man | |
| keinem erklären. Da geht es nur noch darum, sich selbst zu retten. Dann ist | |
| es dem Amt egal, ob die Täter entkommen. | |
| Von wem sollen die Hinweise auf die Tat denn gekommen sein? | |
| Von Temmes Quellen. Er hatte mit seinem V-Mann Benjamin G., einem Neonazi, | |
| vor der Tat zehn Minuten telefoniert. Hinterher behauptete er, es sei um | |
| Absprachen für eine Verabredung gegangen. Aber das dauert doch keine zehn | |
| Minuten. Eine reine Schutzbehauptung. | |
| Benjamin G. hat vor Ermittlern stets bestritten, Kenntnis von der Mordserie | |
| zu haben. Und in der rechten Szene war er eher ein Mitläufer. | |
| Dafür, dass er angeblich keine Informationen hatte, ist er jedenfalls nicht | |
| unerheblich bezahlt worden. | |
| Wenn Ihre These stimmt, hieße das, es gab an den Tatorten Eingeweihte, die | |
| von den NSU-Mordplänen wussten. | |
| Ich gehe davon aus, dass der NSU mindestens in Kassel lokale Unterstützer | |
| hatte. Inwieweit die konkret von den Taten Bescheid wussten, ist noch | |
| ungeklärt. | |
| Das würde einen ganz neuen Blick auf den NSU bedeuten. Die | |
| Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der NSU ein streng abgeschirmtes | |
| Trio war. | |
| Diese These stimmt eben nicht. Und deshalb muss dieser Punkt im Münchner | |
| Prozess rückhaltlos und vollständig aufgeklärt werden. | |
| 12 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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