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# taz.de -- Wirtschaftsspionage in Deutschland: Und dann kommt der „Innentät…
> Ausgerechnet ein Geheimdienstchef will Firmen vor Spionage warnen. Dabei
> verwischt er rhetorisch die Grenze zwischen Verräter und Whistleblower.
Bild: Eindeutig ein „Außentäter“.
BERLIN taz | Der kleine runde Plastikstehtisch in der Lobby des
Steigenberger Hotels, direkt am Berliner Hauptbahnhof, wirkt ein wenig
fehlplatziert. Die Gummibärchentüten der Deutschen Telekom passen so gerade
noch darauf. Ein paar Flyer, Farbton Magenta, liegen auf dem Tisch. Und
dann eben diese aufgebrochene Mehrfachsteckdose. Elektroschrott?
Nein. Diese Steckdose ist brandgefährlich, soll die Mini-Installation der
Deutschen Telekom sagen. Schauen Sie nur genau hin. Sie sehen nichts? Eben.
Die Wanzen sind da. Der Feind hört mit.
Anderthalb Jahre ist es nun her, dass mit den Enthüllungen über das Ausmaß
der Überwachung durch internationale Geheimdienste auch in Deutschland
erste Unternehmen verwundert aufschreckten. Denn aus den Dokumenten des
Whistleblowers Edward Snowden wurde deutlich, dass nicht nur für China und
Russland, sondern auch für die USA Industriespionage in Europa zum
Alltagsgeschäft gehört.
Weil die Telekom – immerhin Betreiberin einer gigantischen
Telekommunikationsinfrastruktur in Deutschland – durch den drohenden
Vertrauensverlust in ihre Netze viel zu verlieren hatte, machte das
Unternehmen aus der Not eine Tugend. Es setzte sich an die Spitze der
Empörten, entwickelte zahlreiche Sicherheitsprodukte, propagierte
massentaugliche Verschlüsselungssysteme und gibt sich seither als
Antreiberin einer Entwicklung, die in vielen deutschen Unternehmen noch
aussteht: Zuverlässige und ganzheitliche Sicherheitssysteme zu etablieren.
Für Technik, Made in Germany, kann das auch ein Wachstumsmarkt sein.
## Hat der BND deutsche Firmen verraten?
Mittwochmorgen in Berlin. Mit ihrem Flyer auf dem kleinen Stehtisch in der
Hotellobby wirbt die Telekom heute für ihre Serviceangebote in Sachen
Lauschabwehr. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Verein „Allianz
für Sicherheit in der Wirtschaft“, ein Zusammenschluss von Unternehmen,
haben eingeladen, weil sie auf eine Gefahr aufmerksam machen wollen, die
gerade in den jüngsten Tagen wieder besonders präsent ist:
Wirtschaftsspionage.
Gerade erst war der Bundesnachrichtendienst massiv in die Kritik geraten
als bekannt wurde, dass sich die Behörde daran beteiligt haben soll, für
die NSA europäische Unternehmen, aber auch politische Institutionen zu
bespitzeln. Es ist eine Affäre mit Strahlkraft: Selbst der Bundesverband
der deutschen Industrie wandte sich öffentlich und empört an die
Bundesregierung. Die Aufarbeitung der Affäre dauert an.
Und so ist es nicht ganz frei von Ironie, dass heute der Chef des
Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, vor Unternehmen und
Journalisten tritt und sagt: „Die Nachrichtendienste und alle Behörden in
diesem Lande sind auch dazu da, deutsche Unternehmen zu schützen.“ Geht es
nach Maaßen, dann gibt es für deutsche Geheimdienste derzeit keinen Grund,
ihre Arbeit zu überdenken. Die im Raum stehenden Vorwürfe in der BND-Affäre
seien Mutmaßungen. Erkenntnisse, wonach westliche Geheimdienste
Industriespionage in Deutschland betrieben, lägen weiterhin nicht vor, sagt
Maaßen.
## Angst vor dem „Innentäter“
Woran es dagegen in Deutschland zu mangeln scheint: An ausreichender
Sensibilität in den Unternehmen. Zwar wendeten sich immer wieder deutsche
Unternehmen vertrauensvoll an den Verfassungsschutz, um von Spionagefällen
im eigenen Hause zu berichten. Gleichzeitig gibt es kaum verlässliche
Zahlen über das mögliche Ausmaß der Industriespionage in Deutschland. „Aus
unserer Wahrnehmung ist das Problem sehr groß“, sagt Maaßen.
Seine Behörde will daher Unternehmen sensibilisieren, wesentlich
weitsichtiger mit möglichen Angriffen auf die eigenen Strukturen umzugehen.
Bei der Tagung geht es heute allerdings weniger darum, welche konkreten
Hilfsangebote deutsche Behörden den Unternehmen anbieten, sondern um einen
gemeinsamen Feind von Staat und Wirtschaft: den Verräter. Es scheint, als
sei dafür nun, endlich, ein neuer Begriff gefunden. Er lautet „Innentäter“
und bezeichnet den Feind im eigenen Haus, den Mitarbeiter, der Geheimnisse
verrät. Bislang schreiben die Veranstalter diesen Begriff noch in
Anführungsstrichen. Warum, dazu kommen wir später.
Tatsächlich gibt es viel Anlass darüber nachzudenken, wie sich Behörden und
Unternehmen vor menschlichen Spionen schützen können. Im Juli 2014 hatte
die Bundesanwaltschaft einen BND-Mitarbeiter festgenommen, der sensible
Informationen aus dem BND gegen Geldzahlungen direkt an US-Agenten
weiterverkauft haben soll. Doppelagenten in den eigenen Reihen – für
Nachrichtendienste ist dies nichts Neues.
## Klingt nach Verräter
Doch angesichts jüngster Enthüllungen scheint nach und nach in den
Unternehmen das Bewusstsein dafür zu wachsen, dass auch die eigenen
Mitarbeiter eine Gefahr darstellen können. Und so geht es bei dieser Tagung
auch darum, wie Unternehmen künftige Mitarbeiter bereits durchleuchten
können, bevor diese überhaupt in sicherheitsrelevante Positionen geraten.
Ein Redner, dessen Firma sogenannte „Criminal Checks“ für Unternehmen
durchführt, sagt: „Das kann Führungskräfte betreffen und
IT-Administratoren, aber auch Reinigungskräfte, die mit Generalschlüsseln
herumlaufen.“
Die „Innentäter“ können überall sein.
Interessant wird nun zu beobachten sein, ob sich der Terminus künftig auch
in der öffentlichen Debatte wiederfinden wird. Mit „Innentäter“ kann
schließlich ebenso gemeint sein: Der Whistleblower. Es ist kein Geheimnis,
dass US-Behörden etwa in Edward Snowden keinesfalls einen Helden sehen,
sondern schlicht einen Straftäter. Geht es nach der deutschen
Bundesregierung, würde Snowden sicher eher in einem US-amerikanischen
Gefängnis landen, als in deutschem Asyl.
Gleichzeitig hatten, befeuert von den Snowden-Leaks, auch in Deutschland
immer wieder Bürgerrechtler, Journalisten und Politiker gehofft, es könnten
sich Whistleblower finden, die umfassend über die nun erst nach und nach
bekannter werdenden Spionagepraxen deutscher Geheimdienste berichten
könnten. Erst am Dienstag sorgte die Whistleblower-Organisation Wikileaks
wieder für Schlagzeilen als sie Protokolle aus dem
NSA-Untersuchungsausschuss veröffentlichte.
Nun: Die Debatte über einen besseren Schutz von Whistleblowern ist in
Deutschland nicht wirklich vorangekommen. Eine Frage, die sich in dieser
Debatte auch Forscher noch heute stellen, ist die Frage, ob es ein
deutsches Wort für Whistleblower gibt. Einen Vorschlag, wie man
Whistleblower künftig nennen könnte, hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz nun auf den Tisch gelegt: „Innentäter“. Es ist kein sehr
schmeichelhaftes Wort. Es bezeichnet Verräter.
13 May 2015
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Verfassungsschutz
Wirtschaftsspionage
Whistleblower
NSA-Affäre
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