# taz.de -- Schutz vor Wirtschaftsspionage: Das Milliarden-Tabu | |
> Die Angst vor Rufschädigung ist groß, wenn es um Wirtschaftsspionage | |
> geht. Dabei kann eine vertrauensvolle Firmenkultur viel verbessern. | |
Bild: Kann auch gemeldet werden: die Sicherheitslücke. | |
BERLIN taz | Nicht immer sind die Indizien so erdrückend wie im Fall | |
Ferrostaal. Ausgeschrieben war ein Großauftrag in Nigeria, Ferrostaal | |
bewarb sich, es ging um ein Funküberwachungssystem. Die dortige Regierung | |
schien das Essener Unternehmen zu favorisieren, doch irgendwie kam es, dass | |
der Auftrag an einen Konkurrenten ging. Aus den USA. Doch das bessere | |
Angebot? | |
Jahre nach dem Vorfall kommt „Frontal 21“ an Papiere zu dem Verfahren und | |
macht öffentlich: von wegen das bessere Angebot. Die US-Botschaft hatte | |
sich in die Vergabe eingeschaltet und sich interne Unterlagen von | |
Ferrostaal besorgt. Die Konkurrenz kannte vom Preis des Angebots bis hin zu | |
den Zinssätzen des Kredits so ziemlich alle Details. | |
Dass deutsche Unternehmen nicht nur von chinesischer oder russischer, | |
[1][sondern auch von US-Seite ausspioniert werden], ist spätestens seit den | |
Snowden-Enthüllungen klar. Dennoch ist das Thema ein Tabu. Vor allem für | |
die Unternehmen. „Gelten ein Unternehmen oder seine Produkte bei Kunden und | |
Geschäftspartnern erst einmal als unsicher, ist das nur schwer aus der Welt | |
zu schaffen“, sagte Dieter Kempf, Präsident des Branchenverbandes Bitkom | |
unlängst bei der Vorstellung einer Studie zur Wirtschaftsspionage. Ein | |
solcher Reputationsverlust könne die Existenz eines Unternehmens gefährden. | |
Auch der Unternehmensberatung PwC zufolge verzichten Firmen meist auf eine | |
Anzeige. Wenn also nun Airbus als Reaktion auf die Berichte um | |
geheimdienstliche Spionage Anzeige erstattet, wird das eher einen anderen | |
Hintergrund haben: Schließlich war der Name des Konzerns bereits gefallen. | |
Keine Reaktion könnte hier für die Reputation negative Folgen haben. | |
## Aufklärung ist schwer | |
Ob mit oder ohne Anzeigen – die Aufklärung ist schwer. Denn wenn bei einem | |
Unternehmen etwa Unterlagen von einem Server kopiert werden, sind sie | |
erstens keineswegs verschwunden, sodass ein Verlust auffiele. Und zweitens | |
ist fraglich, ob die Firma den Angriff erkennt. Und selbst wenn tatsächlich | |
einmal eine Unregelmäßigkeit auffällt, tun Unternehmen in der Regel alles, | |
damit nichts an die Öffentlichkeit dringt. Nicht umsonst hat sich die | |
Industrie mit allen Mitteln dagegen gewehrt, dass im IT-Sicherheitsgesetz | |
eine umfangreiche Meldepflicht für Angriffe auf IT-Infrastruktur verankert | |
wird. Der Angst vor Rufschädigung ist groß. | |
„Wenn dann tatsächlich ein Schaden passiert ist, werden plötzlich ganz | |
viele Budgets frei“, sagt Caroline Krohn, Gründerin des Unternehmens | |
Wirtschaftsdiplomaten. Sie ist darauf spezialisiert, Akteure mit | |
unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen, und vermittelt so auch | |
mal Managern einen Hacker. | |
Denn es müssen nicht die Geheimdienste selbst sein, die Wirtschaftsspionage | |
betreiben. Sie sitzen zwar an der Quelle, können etwa E-Mails oder deren | |
Metadaten – also etwa die Tatsache, dass ein Unternehmen in Deutschland mit | |
der für eine Auftragsvergabe zuständigen Stelle eines anderen Staates in | |
Kontakt steht – an die Konkurrenz weitergeben. Doch ebenso können | |
Konkurrenten private Hacker beauftragen oder einen Mitarbeiter | |
einschleusen. Oder, ganz altmodisch: Einbrecher beauftragen. | |
Dementsprechend gibt es nicht einmal einigermaßen übereinstimmende Zahlen | |
dazu, wie hoch eigentlich die Schäden durch Wirtschaftsspionage sind. Von | |
11,8 Milliarden Euro Schaden jährlich für die Wirtschaft in Deutschland | |
spricht die Unternehmensberatung Corporate Trust im vergangenen Jahr – im | |
Jahr 2012 hatte sie den jährlichen Schaden noch auf 4,2 Milliarden | |
geschätzt. | |
## Das Spiel mit den Passwörtern | |
Der Branchenverband Bitkom beziffert den Schaden in der Studie vom April | |
auf jährlich 51 Milliarden Euro und betont: konservativ gerechnet. Der | |
Verband hat Unternehmen in einer repräsentativen Umfrage befragt, und | |
immerhin 28 Prozent räumten ein, dass in ihrer Firma in den vergangenen | |
zwei Jahren Computer, Smartphones oder Tablets gestohlen wurden. | |
Jedes fünfte Unternehmen registrierte Fälle von Social Engineering – eine | |
einfache und beliebte Methode des Ausspionierens. Dabei werden | |
beispielsweise Mitarbeiter per vermeintlich von der IT-Abteilung stammender | |
Mail aufgefordert, ihr Passwort zu ändern und das neue zu übermitteln. Wer | |
darauf hereinfällt, versorgt die Angreifer mit Zugangsdaten. | |
„Es gibt das Hacker-Bonmot: Es gibt die Unternehmen, die gehackt wurden, | |
und die, die es noch nicht wissen“, sagt Krohn. Es gehe aber nicht nur um | |
IT-Sicherheit: So ließen sich etwa Fensterscheiben mittels Laser abscannen | |
und so Meetings abhören. „Das eine gängige Angriffsmuster gibt es nicht.“ | |
Sie schaut daher in Unternehmen nicht nur auf Sicherheitsmaßnahmen, sondern | |
auch auf die Firmenkultur: In einer offenen, vertrauensvollen Atmosphäre, | |
in der Mitarbeiter sich eher trauten, Sicherheitslücken oder kritische | |
Punkte ihren Kollegen oder Vorgesetzten zu melden, lasse sich ein | |
Unternehmen deutlich besser gegen Spionage schützen. | |
14 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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