# taz.de -- Gregor Gysi im Inteview: „Werde vor den Nazis nicht zurückweiche… | |
> Linken-Spitzenkandidat Gregor Gysi will Flagge zeigen gegen Neonazis, die | |
> seine Büro-Scheiben einwerfen. Und das Thema Mieten, das die Linke | |
> verschlafen habe, gehe man nun bundesweit an. | |
Bild: "Wenn ausländische Delegationen kommen, bin ich gerne da und erzähle de… | |
taz: Herr Gysi, ist es nicht paradox: In Berlin regiert jetzt Rot-Schwarz, | |
und plötzlich wird Mietenpolitik gemacht, werden die Wasserbetriebe | |
rekommunalisiert, soll ein ökologisches Stadtwerk gegründet werden. Warum | |
war das mit Rot-Rot und der Linkspartei nicht möglich? | |
Gregor Gysi: Also zunächst mal: Die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe | |
hat unser Senator Harald Wolf vorbereitet. Was schwer genug war bei der SPD | |
durchzusetzen. Rot-Schwarz macht jetzt nichts anderes, als das | |
fortzusetzen. Die Mieten aber haben wir zu spät als Problem begriffen, das | |
räume ich ein. | |
Darf der Linkspartei so etwas passieren? | |
Wissen Sie, das ist auch eine Frage des Zeitgeistes. Nehmen wir noch mal | |
das Wasser: Als die EU hier gerade privatisieren wollte, gab es europaweit | |
Widerstand. Das war vor Jahren, im neoliberalen Zeitalter, gar nicht | |
denkbar. Oder die soziale Frage. Als wir in den Neunzigern den | |
flächendeckenden Mindestlohn gefordert haben, hatten wir 14 von 16 | |
Gewerkschaften gegen uns. Heute sind alle dafür, selbst die Union fängt an | |
zu wackeln. Der Zeitgeist hat sich verändert. | |
Auch bei den Mieten? | |
Auch da waren die Probleme anfangs so nicht absehbar. Da haben wir jetzt | |
aber bundespolitisch sehr gute Vorschläge unterbreitet, um diese | |
unerträglichen Steigerungen in den Griff zu bekommen. | |
In den zehn Jahren rot-roter Regierung haben sich die Wählerstimmen für die | |
Linke von 22 auf 11 Prozent halbiert. Ist die Regierungsbeteiligung Ihrer | |
Partei ein Fehler? | |
Natürlich nicht. Sollen wir den Wählern sagen: Auch wenn ihr uns in die | |
Regierung wählt, machen wir das sowieso nicht und lassen die CDU regieren? | |
Nein. Wer zur Wahl geht, muss immer zu beidem bereit sein: Opposition oder | |
Regieren. | |
Aber der Stimmenverlust ist herb. | |
Für einen Juniorpartner ist es immer schwer, Punkte zu machen. Das ist uns | |
nicht sehr gut gelungen in Berlin. Aber wir lernen. Man muss Zeichen | |
setzen. Jetzt in Brandenburg mit Rot-Rot gelingt uns das schon viel besser. | |
Sind Sie insgeheim froh, dass die Zeiten der Linken als Bittsteller unter | |
Wowereit vorbei sind? | |
Nein, natürlich nicht. Sehen Sie die Gemeinschaftsschulen: Das Beste, wie | |
ich finde, was wir als Linke in Berlin realisiert haben. Die bekommen jetzt | |
überall ein gutes Zeugnis und trotzdem unterstützt Rot-Schwarz das nur noch | |
halbherzig. Oder das Nachtflugverbot am BER, von 22 bis 6 Uhr. Würden wir | |
jetzt noch in Berlin mitregieren, könnten wir Wowereit davon vielleicht | |
überzeugen. So kann man das vergessen. | |
Wenn im September gewählt wird: Woher sollen in Berlin die Stimmen für Ihre | |
Partei eigentlich kommen? Die SPD schwenkt nach links, die Grünen holen die | |
Linksbürgerlichen, die Piraten die Jungen. | |
Erst mal glaube ich, dass die Piraten nicht in den Bundestag einziehen. Das | |
werden auch die Jungen begreifen und sagen: Bevor ich meine Stimme | |
verschenke, wähle ich lieber die Linke. Die Grünen sind die Partei der | |
Besserverdiener, das hat mit uns nicht viel zu tun. Und die SPD: So links | |
ist die in Berlin unter Wowereit und an der Seite der CDU nun auch nicht. | |
Zumal sich die Berliner Linke jetzt in der Opposition auch wieder | |
verändert. | |
Inwiefern? | |
Sie agiert jetzt freier. Die waren früher nicht gegen meine Standpunkte, | |
aber kleine Differenzen gab es schon. Zum Beispiel beim Flughafen. Wenn man | |
da den Wirtschaftssenator stellt, muss man immer noch dies oder das | |
berücksichtigen. Jetzt ändern sich nicht die Meinungen. Aber sie können | |
viel offensiver für unsere Anliegen streiten. | |
Ihr Slogan zur Wahl ist „100 Prozent sozial“. Warum ist die Linke in | |
Berlin, der Hauptstadt der Prekären, nicht stärker? | |
Es gibt viele aus den ärmeren Schichten, die die Hoffnung aufgegeben haben. | |
Sie denken: Die Linke wird im Bund nicht regieren, also was ändern wir | |
dann? Das motiviert sie nicht zum Wählen. Da müssen wir einen Zugang finden | |
und ihnen erklären, dass man eine Gesellschaft verändert, in dem man den | |
Zeitgeist verändert. Dann ändern sich auch die Parteien, und dann ändert | |
sich auch die Politik. Das zu erklären ist schwer, und deshalb wünsche ich | |
mir auch einen leidenschaftlichen Wahlkampf. | |
Für die Linkspartei ist Berlin auch ein Spiegelbild des Bundes: im Osten | |
Volks-, im Westen Kleinstpartei. | |
Warum denn Kleinst? Wie viel Prozent hatten wir in Westberlin bei der | |
letzten Bundestagswahl, wissen Sie das noch zufällig? | |
Ich habe vorher nachgeguckt: 10 Prozent. In Ostberlin waren es aber 33 | |
Prozent. | |
Sehen Sie, dann waren wir in Westberlin doch besser als im Durchschnitt der | |
alten Bundesländer! Trotzdem sind wir hier jahrelang als Ostberliner Partei | |
empfunden worden und nicht als Berliner Partei. Das ist ein Problem. Im | |
Westen gibt es immer noch dieses Misstrauen gegen uns wegen unserer | |
Herkunft. Das muss man abbauen. Das ist aber schwieriger, als ich es mir | |
vorgestellt habe. | |
Wie wollen Sie das abbauen? | |
Indem wir in Fragen der Freiheit, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | |
ganz besonders genau sind. | |
Um Ihren Wahlkreis müssen Sie sich dagegen nicht sorgen: 44 Prozent haben | |
Sie letztes Mal geholt, das dürfte ein Selbstläufer werden. | |
Na, na, na! Nie Arroganz an den Tag legen. Niemals werden Sie das bei mir | |
erleben. Ich nehme den Wahlkampf sehr ernst. Und ich will natürlich ein | |
Zeugnis haben von den Treptow-Köpenickern, hoffentlich ein gutes. | |
Was war das Wichtigste, das Sie für den Bezirk erreicht haben? | |
Mir fällt es immer schwer zu sagen, ich allein habe dies oder das erreicht. | |
Aber ich habe alles unterstützt, damit der zweite Standort der Hochschule | |
für Wirtschaft und Technik jetzt auch in Treptow aufgemacht hat. Dadurch | |
haben wir dort jetzt 3.000 Studierende. Ich unterstütze die Kulturszene und | |
moderiere regelmäßig im Stadttheater Köpenick ein Gespräch mit einem Gast. | |
Und wenn ausländische Delegationen in den Bezirk kommen, bin ich gerne da | |
und versuche, denen was zu erzählen. | |
Und was erzählen Sie denen über den Bezirk? | |
Dass er der schönste Berlins ist, aber auch der widersprüchlichste. Hier | |
gibt es viele Hartz-IV-Empfänger, aber auch richtig Gutverdienende, hier | |
gibt es Prekäre, Wissenschaftler, die Nazis von der NPD-Zentrale und | |
Intellektuelle. Alle Widersprüche dieser Stadt sind in Treptow-Köpenick | |
zusammengefasst. | |
Angenommen, Sie gewinnen den Wahlkreis wieder: Was ist das Dringlichste, | |
das Sie dort erreichen wollen? | |
Ich will noch zu Lebzeiten die Eröffnung des Flughafens erleben. Und zwar | |
so, dass wir sagen können, wir haben den höchstmöglichen Lärmschutz für die | |
Bevölkerung, wir haben den Müggelsee gerettet und wir haben ein | |
Nachtflugverbot. Und wenn mir jemand sagt, dann rechnet sich der Flughafen | |
nicht richtig, dann sage ich: Die Gesundheit des Menschen ist in Artikel 2 | |
des Grundgesetzes geschützt. Und da steht nicht drin, es sei denn, | |
wirtschaftliche Interessen sprechen dagegen. | |
Wird auch Rechtsextremismus ein Thema sein? Ihr Büro liegt in Schöneweide, | |
in der Brückenstraße, wo Neonazis gleich mehrere Läden und Wohnungen | |
gemietet haben. Immer wieder werden die Scheiben Ihres Büros eingeworfen. | |
Die Nazis wollen natürlich, dass ich dort wegziehe, das wäre ihr Triumph. | |
Aber Sie werden verstehen, dass ich ihnen den nicht gönnen werde. | |
Warum ist es so schwer, der Rechtsextremen in Schöneweide Herr zu werden? | |
Weil der Bezirk so gut wie keine Möglichkeiten hat, in Vermietungsprozesse | |
einzugreifen. Ich spreche aber regelmäßig mit dem Bezirksbürgermeister, wie | |
wir diese Konzentration aufbrechen können. Das Wichtigste ist: Man darf | |
nicht vor den Nazis zurückweichen, diese Auseinandersetzung muss ich auch | |
führen, volle Kante. | |
Wo sehen Sie Ihre Rolle nach der Wahl? Weiter Fraktionschef der Linken im | |
Bundestag? | |
Das entscheidet alles die Fraktion. Darüber unterhalten wir uns nach der | |
Wahl. Ich bin da aber völlig sorgenfrei. | |
Sie haben keine persönlichen Ambitionen? | |
Klar habe ich Vorstellungen. Aber die werde ich jetzt nicht mit der taz | |
erörtern. Aber wissen Sie, ich bin ja Spitzenkandidat. Und in dieser | |
Position muss man bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. | |
Sie sind jetzt 65 Jahre alt: Zeit, langsam an den Abschied aus der Politik | |
zu denken? | |
Man kann noch mit 90 im Bundestag vor sich hin dödeln, ohne dass es weiter | |
auffällt. Aber im Ernst: Man kann in der Politik auch zu früh gehen. Lothar | |
Bisky und ich sind schon einmal zu früh gegangen, 2000. Das hat ein | |
ziemliches Chaos in unserer Partei ausgelöst. Aber ich werde bestimmt auch | |
nicht zu spät gehen. | |
Wann wäre denn zu spät? | |
Also hören Sie mal zu, noch bin ich doch vollkommen fit. | |
Sie waren mal kurz Berliner Wirtschaftssenator. Ist für Sie denkbar, am | |
Ende noch mal in die Landespolitik zurückkehren? | |
Als Regierender Bürgermeister vielleicht? Nein, das ist vorbei. Aber wissen | |
Sie, was mich reizen würde? Weiß ich gar nicht, ob ich das sagen kann. | |
Nur zu. | |
Also wenn ich richtig Englisch spräche, dann würde ich noch mal an Brüssel | |
denken. Das Europäische Parlament, das fände ich reizvoll. Aber mit meinem | |
Englisch geht das nicht. | |
Das kann man lernen. | |
Mir wird auch gesagt, da wird alles übersetzt. Aber ich könnte trotzdem | |
nicht individuelle Gespräche führen, und das würde mich lähmen. | |
Klingt alles, als könnte sich Ihr Abschied aus der Politik noch hinziehen. | |
Da könnten Sie recht haben. | |
16 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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