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# taz.de -- M23-Rebellen im Kongo: Missus Kalaschnikow
> Sie schult Soldatinnen, beschützt ihren Chef, verhandelt für die M23:
> Fanette Umuraza ist die „Königin“ der kongolesischen Rebellenmiliz.
Bild: Fanette Umuraza, Colonel der M23-Miliz.
BUNAGANA/ KAMPALA taz | Mit der Hand am Hüftgürtel, da, wo ihre Pistole
steckt, schreitet Fanette Umuraza vor dem Rebellenchef her. Die Augen der
32-Jährigen registrieren jede Bewegung, scannen jedes Gesicht, beobachten
die Menschenmenge haargenau.
Mit einem langen Spazierstock marschiert Sultani Makenga, Chef der M23
(Bewegung des 23. März), durch die staubigen Gassen der ostkongolesischen
Grenzstadt Bunagana. Von rechts und links wird Makenga von schwer
bewaffneten Leibwächtern abgeschirmt. Hinter ihm gehen die Kommandeure des
Stabs. Und vor ihm, immer einen Schritt voraus, in knallgrüner
Camouflage-Uniform: Fanette Umuraza. Major Fanette Umuraza.
Fanette Umuraza ist in der ostkongolesischen Rebellenbewegung M23 die
unbestreitbare „Königin Nummer eins“, wie sie von ihren Kameraden genannt
wird. Die hübsche, kräftige Frau weicht dem Rebellenchef niemals von der
Seite. Wenn eines seiner drei Handys klingelt, nimmt sie ab.
Wenn Fernsehjournalisten ein Mikrofon an seiner Uniform anbringen wollen,
steckt sie es ihm an. Wenn jemand dem General zu nahe tritt, stellt sie
sich tapfer dazwischen – Makenga traut niemandem so wie Fanette Umaraza.
## Ein Leben für den Chef
Die M23-Königin zum Interview zu treffen bedarf der Geduld. Immer wieder
verschiebt sie Termine, immer wieder entschuldigt sie sich für ihren
unberechenbaren Terminkalender. „Mein Chef ist wirklich sehr beschäftigt“,
schreibt sie in einer SMS. Eins ist klar: In ihrem Leben hat sie kaum
Spielraum für eigene Entscheidungen. Wenn Rebellenchef Makenga seine
Truppen an der Front besucht, muss sie mit. Wenn die M23 Operationen gegen
andere Milizen durchführt, koordiniert sie die Befehle.
Wenn – wie im März – das Hauptquartier von Rivalen aus der eigenen
Führungsriege angegriffen wird, dann befehligt Fanette Umuraza die
Verteidigungsstellungen, während die Mitglieder des Stabs sich in
Sicherheit bringen. Als die M23-Rebellen vergangenen November Ostkongos
Millionenstadt Goma einnahmen, kämpfte sie mit ihrer Kalaschnikow an der
vordersten Frontlinie. Fanette Umuraza ist die einzige Frau in der oberen
Führungsebene der Miliz – und wird von allen hoch gelobt und respektiert.
In ihrer einzigen freien Stunde in dieser Woche sitzt sie auf der Veranda
der verwahrlosten Generalsvilla im M23-Hauptquartier hoch oben auf einem
Hügel. Unter ihr liegt Ostkongos einst prunkvolle, doch jetzt
heruntergekommene Militärakademie Rumangabo, die die Rebellen vergangenes
Jahr einnahmen und die jetzt als Kommandozentrale der M23 dient. Fanette
surft mit ihrem iPhone, das sonst neben ihrer Pistole am Hüftgürtel im
Halfter steckt, im Internet. Ihr Chef Makenga ist heute zu einer
Einsatzbesprechung an der Front und hat Fanette Umuraza im Hauptquartier
die Verantwortung übertragen.
Neben ihr auf der Veranda spielen junge Soldaten Billard, sie lachen,
albern herum, fordern sich gegenseitig heraus. Wenn Fanette das Kommando
hat, geht es schon mal lockerer zu. Ein Oberst kommt angestapft. Er scheint
aufgeregt und verärgert. Fanette hört ihm zu, legt ihm die Hand auf den
Arm, redet geduldig auf ihn ein. „Du hast recht, Schwester“, sagt er und
trollt sich davon.
In diesem Hauptquartier, in dem das Testosteron deutlich spürbar in der
Luft liegt, wirkt Fanette wie eine Erdung. Ruhig und konzentriert blickt
sie ins Tal. Ihre Blicke schweifen über die dichten Baumkronen des
Dschungels und über die grünen Hügel, die sich am Horizont abzeichnen. Dort
hinten, auf den Almen der Region Masisi, hat Fanette ihre Kindheit
verbracht. Sie erzählt davon langsam, leise, stockend – als spreche sie von
einer anderen Person in einer anderen Zeit.
## Kindheit im Exil
Der Völkermord in Ostkongos Nachbarland Ruanda im Jahr 1994, als Milizen
der Hutu-Ethnie rund 800.000 Tutsi abschlachteten, hat Fanette Umurazas
Leben grundlegend umgewälzt. Die Kongolesin ist Tutsi. Als die ruandischen
Hutu aus Angst vor der Rache der ruandischen Tutsi in die Wälder des Kongo
flüchteten, mussten die Umurazas im Gegenzug aus dem Kongo fliehen, um sich
vor den marodierenden Hutu in Sicherheit zu bringen. Sie retteten sich in
ein Flüchtlingslager in Ruanda, wo es für Tutsi unter der neuen Herrschaft
sicher war.
Über die Flucht und ihre Kindheit im Exil ist Fanette Umuraza kaum etwas zu
entlocken. Sie lässt ihre Lebensgeschichte mit ihrem Studium in Ruanda
beginnen. Studiert hat sie Politikwissenschaften. Kurz nach dem Examen
schloss sie sich 2008 im Kongo dem CNDP (Nationalkongress zur
Volksverteidigung) an, einer Rebellenorganisation unter Führung von
kongolesischen Tutsi-Kommandeuren, die wie Fanette im Exil aufgewachsen
waren und damals weite Teile des Ostkongo eroberten. Das war die
Vorgängermiliz der M23.
Warum schloss sie sich den Rebellen an? Fanette Umuraza schweigt einige
Minuten, bevor sie antwortet: „Wir kongolesischen Frauen sind immer nur
Opfer. Es gibt unzählige, die während des Krieges vergewaltigt wurden.
Unser erstes und einziges Interesse ist Frieden – und dafür kämpfe ich“,
sagt sie und nickt bedächtig. „Wir Frauen müssen uns endlich wehren.“
## Hartes Überlebenstraining
Für die Rechte der Frauen griff Fanette Umuraza im Alter von 28 Jahren zur
Waffe. Sie absolvierte ein Militärtraining: lernte schießen, marschierte
Hunderte Kilometer mit ihren Kameraden durch den Dschungel, überlebte
tagelang ohne Essen, ohne Wasser. Sie war zäh – wie ihre männlichen
Kameraden und Kommandeure. So habe sie ihren Respekt gewonnen, sagt sie.
„Es hängt von uns Frauen ab zu zeigen, wozu wir fähig sind. Und ich zeige,
dass ich stolz bin, eine Frau zu sein.“ Vorsichtig lächelnd gibt sie dann
zu: „Nur wenn ich meine Tage habe, fällt mir das Marschieren etwas
schwerer.“
In der M23-Rebellenbewegung, die in dem von ihr kontrollierten Territorium
parastaatliche Strukturen etabliert hat, ist Fanette Umuraza zuständig für
GenderfFragen im „Ministerium für soziale Angelegenheiten“. Die M23 ist
eine der wenigen Rebellengruppen im Ostkongo, die Vergewaltigungen nicht
gezielt als Kriegswaffe einsetzen. Im Gegenteil: Die Miliz rekrutierte
Frauen, um Gleichberechtigung zu schaffen, sagt die Majorin. Es gebe mehr
als 50 Frauen in Uniform in den Rängen der M23. Auch Polizistinnen hat die
M23 rekrutiert.
Fanette Umuraza ist für die Schulung dieser Rebellinnen zuständig. Die
stärkste Waffe der Frauen sei, sagt sie, „Dinge mit einer enormen
Ernsthaftigkeit bis zum Ende durchziehen zu können“. Als sie ihre Vorbilder
erwähnt, lächelt sie das erste Mal: die französische Revolutionärin Jeanne
d’Arc und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
„Ich werde oft gefragt, warum ich mit 32 Jahren noch nicht verheiratet bin
und Kinder habe“, sagt sie mit einem leicht verlegenen Lächeln. Doch sofort
bilden sich Kummerfalten auf ihrer Stirn. Schweigend blickt sie in die
Ferne, auf die Hügel ihrer Heimatregion Masisi, wo sich bis heute täglich
Milizen bekriegen, darunter auch die Täter des Völkermordes 1994. „Wenn
hier endlich Frieden herrscht, will ich mindestens vier Kinder haben.“
## Frauenförderung
Mittlerweile bekleidet Fanette Umuraza den Rang eines Majors und wird von
ihren Untergebenen mit Hackenschlag und Salut begrüßt. Dass sie es in der
Hierarchie der Rebellenorganisation so weit nach oben geschafft hat, liegt
nicht nur an ihr, sagt sie. Ihr Chef habe sie stets gefördert. „Menschen
mit Bildung wissen um die Schlüsselstellung der Frau in der Gesellschaft“,
erklärt die Majorin. Im Nachbarland Ruanda seien es nach dem mehrjährigen
Bürgerkrieg und dem Völkermord 1994 auch die Frauen gewesen, die den Staat
wiederaufgebaut und die Versöhnung vorangetrieben hätten.
Diese Anerkennung der Rolle der Frau gibt es im Kongo ihrer Meinung nach
sonst nicht. Als Beispiel führt Fanette Umuraza die Regierungsarmee an, in
der zwar Frauen dienten, diese aber „sexuell ausgebeutet“ würden. Als sich
der CNDP nach einem Friedensabkommen mit Kongos Regierung 2009 in die Armee
integrierte, zog es die Rebellin vor, ihre Uniform abzulegen, statt in der
Armee „wie ein Stück Vieh“ behandelt zu werden. Vier Jahre lang managte
Umuraza in Ostkongos Millionenstadt Goma einen kleinen Laden: Sie verkaufte
Käse und Milch aus ihrer Heimatregion Masisi. Als ehemalige CNDP-Offiziere
letztes Jahr aufgrund der schlechten Lebensbedingungen aus der Armee
desertierten und die M23 gründeten, war Fanette Umuraza sofort zur Stelle:
an der Seite des neuen Militärchefs Makenga. Bereits im CNDP war sie die
rechte Hand des charismatischen Führers Laurent Nkunda gewesen, Makengas
Vorgänger, der bis heute in Ruanda unter Hausarrest steht.
## Internationales Parkett
Mit frisch lackierten, knallroten Fingernägeln, schwarzen Leggings und
einem schwarzweiß gemusterten Kleid sitzt Fanette Umuraza an diesem Tag im
Ledersessel einer Hotellobby in Ugandas Hauptstadt Kampala. Dass sie in
ihrem Alltagsleben eine Waffe trägt, ist in diesem Outfit kaum vorstellbar.
Sie gehört zu einer Delegation der M23, die mit der kongolesischen
Regierung verhandelt. Anstelle von General Makenga vertritt Fanette Umuraza
die Interessen des militärischen Flügels. Durch die Eroberung von Goma im
November gewann die M23 politisches Gewicht. Danach debattieren
M23-Politiker und Regierungsvertreter auf neutralem Terrain über die
nächsten Schritte.
Doch vereinbart wurde bisher nichts Konkretes. Es scheint, als versuche die
Regierung Zeit zu gewinnen, um sich aus dem Ausland militärische
Unterstützung zu sichern. Fanette Umuraza surft per iPhone im Internet,
chattet via Facebook. Zugleich hört sie aufmerksam zu. Sie ist keine, die
sich einmischt oder in den Vordergrund drängt. Doch jeder in der Delegation
weiß, dass sie das Sprachrohr des Militärchefs ist. Regelmäßig wird sie
nach ihrer Meinung gefragt.
So auch zu der Frage, was wohl geschieht, wenn die Verhandlungen scheitern.
„Was sagst du dazu, Major?“, wendet sich Delegationsleiter René Abandi an
Fanette Umuraza. „Wir werden Goma wieder einnehmen“, sagt sie und nickt,
ohne auch nur die Miene zu verziehen. Wie eine Königin.
16 May 2013
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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