| # taz.de -- Zwischen Konfliktpartei und Vermittler: Moskaus doppeltes Spiel | |
| > Gegen die Ukraine zieht Russland seine Truppen zusammen, zwischen | |
| > Armenien und Aserbaidschan vermittelt es. Dahinter steckt eine Strategie. | |
| Bild: Zeremonie russischer Friedenstruppen für ein Jahr Waffenruhe in Aserbaid… | |
| Moskau taz | Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – für den russischen | |
| Präsidenten Wladimir Putin die „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“… | |
| haben sich ihre Nachfolgestaaten unterschiedlich entwickelt. Aus dem | |
| Einfluss Russlands, ob freiwillig oder aufgezwungen, können sich einige von | |
| ihnen bis heute nicht befreien. Das nutzt der Kreml aus, um durch seine | |
| „besonderen Interessensphären“ sein geopolitisches Gewicht zu stärken und | |
| dadurch sein immer noch wichtigstes Ziel zu verfolgen: mit den USA auf | |
| Augenhöhe wahrgenommen zu werden. | |
| Belarus, die Ukraine, Aserbaidschan, Armenien: Die Sorgen bei den | |
| westlichen Regierungen sind derzeit wieder groß. Dass der Westen das | |
| russische Bedrohungsszenario vor allem in der Ukraine als solches | |
| wahrnimmt, kommt Moskau zupass. Denn es setzt seit jeher auf Angst, um sich | |
| dadurch Respekt zu verschaffen. Wenn sich die Konflikte zuspitzen, bietet | |
| sich Russland, oft gleichzeitig auch Konfliktpartei, gern als Vermittler an | |
| und hat damit eine schwer zu durchschauende Doppelrolle. | |
| Während sich der Kreml schleichend den Osten der Ukraine einverleibt und | |
| Fakten schafft, ganz ohne die Truppen, die es – wie bereits im Frühjahr – | |
| an der Grenze zur Ukraine zusammenzieht, vermittelt es ein Jahr nach dem | |
| aserbaidschanisch-armenischen Krieg nach einem Hilferuf der Armenier einen | |
| Waffenstillstand zwischen Baku und Jerewan. Russland ist Schutzmacht in | |
| Bergkarabach, seine 2.000 Soldaten sollen die neu gezogene Kontaktlinie | |
| kontrollieren. [1][Russische Friedenstruppen in Armenien] sind ein | |
| Instrument Moskaus, um seinen regionalen Einfluss zu festigen. | |
| Weil der Kreml seiner eigenen Bevölkerung wenig Angebote machen kann, | |
| pflegt die Machtelite die erprobten Mythen: Das Übel kommt aus dem Westen, | |
| Russland ist gezwungen, sich vor seinen Feinden zu schützen. Dadurch | |
| maskiert die Führung die inneren Konflikte im Land, den Bruch in der | |
| Gesellschaft, die täglichen Kämpfe zwischen Konservativen und Liberalen. | |
| Putin verfolgt seine Innen- wie Außenpolitik nach der künstlich | |
| erschaffenen Formel: „Wir sind nach innen geeint und von außen höchst | |
| bedroht“. | |
| ## Stetige Drohgebärden in Richtung Kiew | |
| Einer, der sich ebenfalls mit solchen Mitteln an der Macht zu halten | |
| versucht, ist Alexander Lukaschenko, der Diktator, der an der | |
| [2][EU-Ostgrenze derzeit ein perfides Machtspiel mit Geflüchteten | |
| inszeniert] – mit Hilfe aus Moskau, weil Moskau den Machthaber in Minsk | |
| hält – um Belarus noch näher an sich zu binden. Selbstredend zu russischen | |
| Bedingungen. Lukaschenko sieht sein Land als Pufferzone für mögliche | |
| Angriffe aus dem Westen gegen Russland. Die Krise vor den Toren Europas | |
| liegt auch im Interesse des Kremls: Er kann die europäische Uneinigkeit | |
| geradezu exemplarisch vorführen – und bietet sich auch hier als möglicher | |
| Vermittler an. Währenddessen droht Lukaschenko mit Russland als Atommacht. | |
| Einerseits bekräftigt er damit die russische Bedrohung für den Westen, | |
| andererseits zeigt er dadurch auch, wie völlig abhängig sein Regime von | |
| Moskau ist. | |
| Die größte Angst der russischen Führung ist der Verlust des Einflusses auf | |
| Gebiete, die sie als kulturell nah oder gar gleich ansieht. Darin mündet | |
| auch die Enttäuschung des Kremls über den Weg der Ukraine, immer mehr | |
| Verbindungen mit dem Westen eingehen zu wollen. Dafür bestraft sie Kiew mit | |
| dem Einsatz ihrer Militärstärke und den stetigen Drohgebärden. Gespräche | |
| mit seinem westlichen Nachbarn hält Moskau für überflüssig. Dmitri | |
| Medwedew, der einstige Präsident des Landes und jetzige Vizechef im | |
| russischen Sicherheitsrat, hatte erst im Oktober in seinem programmatischen | |
| Artikel die ukrainische Führung als wurzellos und unselbstständig | |
| bezeichnet. Putin hatte der Ukraine bereits zuvor in einem historischen | |
| Essay faktisch die Staatlichkeit abgesprochen. Es sei der Westen, der das | |
| Land als eine Art „Anti-Russland“ regiere. | |
| In russischen Militärkreisen ist die Angst, von der Nato angegriffen zu | |
| werden, tatsächlich real. So hat Moskau seine Truppenstärke nach dem | |
| gemeinsamen militärischen Großmanöver Sapad („Westen“) zwischen Russland | |
| und Belarus im September offenbar nur noch erhöht. Die „Auffälligkeiten“ | |
| bei den Truppenbewegungen stützen sich vor allem auf Satellitenaufnahmen | |
| und Videos, die russische Militärzüge und mit Panzern und Raketen beladene | |
| Lastwagenkonvois zeigen, und die seit Wochen in den sozialen Netzwerken | |
| kursieren. Der Kreml agiert dabei intransparent und lässt von Kremlsprecher | |
| Dmitri Peskow verlautbaren: „Militärbewegungen auf dem Gebiet der | |
| Russischen Föderation sind ausschließlich unsere Sache“. | |
| Doch Moskau weiß auch ohne militärisches Eingreifen, wie es die | |
| Separatistengebiete im Osten der Ukraine an sich bindet: Es verteilt dort | |
| russische Pässe, es führt Rubel als Währung ein, es erlaubt nun auch den | |
| freien Import von Waren aus dem Donbass. | |
| 17 Nov 2021 | |
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| Inna Hartwich | |
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