| # taz.de -- Zukunft des Gazastreifens: Träume von rechts | |
| > Zwei israelische Minister wollen einen Großteil der Gaza-Bevölkerung in | |
| > den Kongo umsiedeln. Im Gazastreifen sollen Juden leben. | |
| Bild: Vertriebene Palästinenser laufen am Silvesterabend mit Taschenlampen dur… | |
| Berlin/Kampala taz | Wie soll es nach dem Krieg mit dem Gazastreifen | |
| weitergehen? Eine offizielle Antwort auf diese Frage hat die israelische | |
| Regierung noch immer nicht gegeben. Doch Überlegungen zu einer Umsiedlung | |
| oder Vertreibung der Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen werden | |
| immer dominanter. | |
| Äußerungen der zwei rechtsextremen Hardliner Itamar Ben Gvir und Bezalel | |
| Smotrich sorgten zuletzt für einen Aufschrei in der internationalen | |
| Öffentlichkeit: Der Krieg biete eine „Gelegenheit, sich auf die Migration | |
| der Bewohner des Gazastreifens zu konzentrieren“, sagte der Minister für | |
| Nationale Sicherheit, Ben Gvir, am Montag. Am Tag zuvor hatte | |
| Finanzminister Smotrich im Radiosender der israelischen Armee gefordert, | |
| dass rund 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens „beseitigt“ werden | |
| sollten: „Wenn es 100.000 oder 200.000 Araber in Gaza gibt und nicht 2 | |
| Millionen, sieht der ganze Diskurs über den Tag danach anders aus“, sagte | |
| er. | |
| Die jüngste Idee Israels scheint nun: Palästinenser*innen aus dem | |
| Gazastreifen in die Demokratische Republik Kongo zu transferieren. Der | |
| Internetzeitung Sman Israel zufolge führe die Regierungskoalition um | |
| Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Geheimgespräche mit dem Land zur | |
| Aufnahme von Tausenden von palästinensischen Migrant*innen aus dem | |
| Gazastreifen. Ein hochrangiger israelischer Beamter, der anonym bleiben | |
| wollte, [1][dementierte dies laut Internetzeitung Times of Israel jedoch am | |
| Mittwoch]. Die Pläne seien eine „unbegründete Illusion“. | |
| Die Idee, in Israel unbeliebte Menschen nach Afrika abzuschieben, ist nicht | |
| neu. Bereits 2015 hatte Netanjahus Regierung mit Ruanda und Uganda einen | |
| geheimen Deal aufgesetzt, afrikanische Flüchtlinge zurück in afrikanische | |
| Länder zu fliegen. Abertausende Geflüchtete, die meisten aus Eritrea, | |
| wurden damals in Tel Aviv mit falschen Versprechen in Flugzeuge nach Afrika | |
| gesetzt. Umgekehrt landeten zahlreiche ruandische und ugandische Militär- | |
| und Geheimdienstmitarbeiter in Israel, um dort an Trainings für | |
| Überwachungstechnologien teilzunehmen. [2][Diese Abschiebungen wurden 2018 | |
| nach heftiger Kritik eingestellt]. | |
| ## USA und Deutschland weisen Pläne zurück | |
| Die Beziehungen zwischen Israel und der Demokratischen Republik Kongo haben | |
| sich jüngst positiv entwickelt. Der israelische Oligarch Dan Gertler gilt | |
| als einer der einflussreichsten, ausländischen Geschäftsmänner im Kongo. In | |
| Kongos Hauptstadt Kinshasa lebt die größte jüdische Gemeinde Afrikas mit | |
| einem israelischen Rabbi. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu traf | |
| im September vergangenen Jahres Kongos Präsident Félix Tshisekedi in New | |
| York am Rande des Treffens der UN-Generalversammlung. Die beiden | |
| vereinbarten die Intensivierungen der Beziehungen, vor allem in den | |
| Bereichen militärische Sicherheit. | |
| Forderungen wie die von Smotrich und Ben Gvir sind keine offizielle | |
| Regierungsposition. Doch sie kommen von Personen auf wichtigen | |
| Ministerämtern, und selbst Netanjahu sagte am Montag bei einer | |
| Fraktionssitzung seiner Likud-Partei, dass er daran arbeite, die | |
| „freiwillige Migration“ von Menschen aus Gaza in andere Länder zu | |
| bewerkstelligen. | |
| Der Sprecher der israelischen Friedensorganisation Peace Now, Mauricio | |
| Lapchik, sagte der taz, dass Äußerungen wie die von Smotrich und Ben Gvir | |
| „absolut ernst zu nehmen“ seien. Die USA und einige europäische Länder | |
| wiesen die Äußerungen harsch zurück. Washington bezeichnete die Rhetorik | |
| der zwei rechtsextremen Minister als „aufrührerisch und unverantwortlich“. | |
| Die israelische Regierung, einschließlich des Ministerpräsidenten, habe das | |
| Weiße Haus wiederholt und konsequent darauf hingewiesen, dass derartige | |
| Äußerungen nicht die Politik der israelischen Regierung widerspiegeln: „Sie | |
| sollten sofort aufhören.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin zog | |
| am Mittwoch mit Kritik nach: „Wir weisen die Äußerungen der beiden Minister | |
| auf das Schärfste zurück. Sie sind weder sinnvoll noch hilfreich.“ | |
| Äußerungen dieser Art sind allerdings nicht neu. [3][Kurz nach dem Massaker | |
| der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober und dem Beginn des Gaza-Krieges | |
| machte ein Dokument die Runde,] in dem eine der für den Gazastreifen | |
| vorgesehenen Lösungen die Umsiedlung der Zivilbevölkerung des | |
| Gazastreifens auf die ägyptische Sinai-Halbinsel vorsah. Die | |
| Zivilbevölkerung solle in Zeltstädte im nördlichen Sinai transportiert | |
| werden, wo später dauerhafte Städte gebaut werden sollten. Eine | |
| Sicherheitszone solle die Palästinenser*innen auf dem Sinai von | |
| Israel fernhalten. Das Dokument war vom Geheimdienstministerium | |
| zusammengestellt worden. Regierungsvertreter*innen spielten das | |
| Dokument herunter. Es handele sich um „erste Überlegungen“ zu diesem Thema, | |
| hieß es aus dem Büro des Ministerpräsidenten. | |
| ## Der Traum eines neuen „Gusch Katif“ | |
| Seit Kriegsbeginn hört man jedoch fast täglich derartige Äußerungen von | |
| Regierungsmitgliedern – nicht nur von den zwei prominentesten unter den | |
| Rechtsextremen, Ben Gvir und Smotrich. Mitte November schockierte | |
| Landwirtschaftsminister Avi Dichter die internationale Öffentlichkeit mit | |
| den Worten: „Wir führen jetzt die Gaza-Nakba aus.“ Viele koppeln die | |
| Überlegungen zu einer Vertreibung oder einem „freiwilligen Transfer“ an | |
| eine Besiedlung des Gazastreifens mit jüdischen Israelis. Bildungsminister | |
| Joaw Kisch etwa sagte Anfang November: „Wir können die Besiedlung im | |
| Gazastreifen auf jeden Fall wiederherstellen, nichts ist heilig.“ | |
| Lapchik betont, dass der Traum extrem rechter Regierungsmitglieder und | |
| anderer radikalideologischer Siedler*innen, den Gazastreifen seitens | |
| Israels zu besiedeln, nicht erst mit dem 7. Oktober revitalisiert wurde. | |
| Die Ministerin für Siedlungen und nationale Missionen Orit Strock | |
| beispielsweise sagte bereits im März, sie sei davon überzeugt, dass die | |
| „Sünde“ des Abzugs aus dem Gazastreifen eines Tages aufgehoben werde und | |
| der Gazastreifen über kurz oder lang jüdisch besiedelt werde. | |
| Seit dem 7. Oktober fällt der Ausdruck „Gusch Katif“ immer öfter – dies… | |
| Block von ehemaligen israelischen Siedlungen im Süden des Gazastreifens. | |
| 2005 wurden sämtliche Siedlungen im Gazastreifen einseitig geräumt. Die | |
| Bilder von den Soldat*innen, die ihre Landsleute aus ihren Häusern trugen | |
| und in Tränen ausbrachen, von Bulldozern, die Häuser zerstörten, gingen um | |
| die Welt. Doch für die radikalideologische Siedlerbewegung blieb es ein | |
| Traum, Gusch Katif wiederaufzubauen. Jetzt scheint ihnen die Zeit gekommen. | |
| Allerdings habe sich seit dem 7. Oktober, warnt Lapchik, nicht nur der | |
| Diskurs am rechten Rand, sondern auch der allgemeine Diskurs extrem | |
| verschärft. Schock und Schmerz über das brutale Massaker und die | |
| Geiselnahmen sitzen noch immer tief in der israelischen Gesellschaft – eine | |
| der Reaktionen darauf ist der Gebrauch gewaltvoller Sprache. Ein Beispiel: | |
| Mitte Oktober sagte der israelische Popsänger Lior Narkis bei einem Konzert | |
| vor israelischen Soldat*innen, Israel solle „in Gaza einmarschieren und sie | |
| bei lebendigem Leib abschlachten, sie verbrennen, so wie sie ein Kind im | |
| Ofen verbrannt haben. Ich bin jetzt bereit, dort hineinzugehen.“ | |
| Lapchik warnt vor einer Normalisierung eines solchen Diskurses. Der | |
| israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard verfasste Ende Dezember | |
| einen Brief an den Generalstaatsanwalt und die Staatsanwälte. Sfard und | |
| andere prominente Israelis fordern die Staatsanwälte dazu auf, die | |
| Normalisierung einer Sprache zu stoppen, die sowohl gegen israelisches als | |
| auch gegen internationales Recht verstößt: „Zum ersten Mal, seit wir uns | |
| erinnern können, ist der ausdrückliche Aufruf, grausame Verbrechen gegen | |
| Millionen von Zivilisten zu begehen, zu einem legitimen und normalen Teil | |
| des israelischen Diskurses geworden.“ | |
| 5 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.timesofisrael.com/israel-in-talks-with-congo-and-other-countrie… | |
| [2] /Ausweisung-nach-Uganda-und-Ruanda/!5498832 | |
| [3] /Krieg-im-Gazastreifen/!5966908 | |
| ## AUTOREN | |
| Judith Poppe | |
| Simone Schlindwein | |
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