| # taz.de -- Krieg im Gazastreifen: Umstrittene Zukunftsszenarien | |
| > Die israelische Regierung spricht in einem Dokument von einer Umsiedlung | |
| > der Menschen aus Gaza auf die Sinai-Halbinsel. Das wird scharf | |
| > kritisiert. | |
| Bild: Suche nach Überlebenden: Palästinensische Rettungskräfte in Gaza-Stadt… | |
| Berlin taz | Die israelische Regierung hat in einem internen Dokument ein | |
| Szenario durchgespielt, das an Traumata in der palästinensischen | |
| Bevölkerung rührt und auch international auf viel Ablehnung stößt. In dem | |
| Dokument wird diskutiert, wie die mehr als zwei Millionen | |
| Palästinenser*innen im Gazastreifen auf der ägyptischen | |
| Sinai-Halbinsel angesiedelt werden könnten. Für Ägypten ist dies ein | |
| Angstszenario. | |
| Das zehnseitige Dokument wurde zuerst von dem israelischen | |
| Nachrichtenportal [1][Sicha Mekomit] veröffentlicht. Verfasst wurde es | |
| israelischen Medienberichten zufolge im Auftrag des | |
| Geheimdienstministeriums. Es ist auf den 13. Oktober datiert, also wenige | |
| Tage nach dem Großangriff der Hamas auf israelische Zivilist*innen. Das | |
| Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigte die Existenz des | |
| Dokuments am Montag, spielte seine Bedeutung aber herunter. Es handele sich | |
| um ein Arbeitsdokument, „wie es auf allen Ebenen der Regierung und ihrer | |
| Sicherheitsorgane verfasst wird“. | |
| Da die Umsetzbarkeit fragwürdig ist, kann man tatsächlich davon ausgehen, | |
| dass es sich nur um grobe Überlegungen handelt. Die Verfasser*innen | |
| schlagen vor, die Zivilbevölkerung Gazas offenbar noch während der | |
| Kriegshandlungen in Zeltstädten auf der Sinai-Halbinsel anzusiedeln und | |
| später dauerhafte Städte und einen nicht näher definierten humanitären | |
| Korridor zu errichten. | |
| Zentral scheint die Errichtung einer Sicherheitszone zu sein, die die | |
| Palästinenser*innen auf dem Sinai von Israel fernhalten würde. Die | |
| derzeit noch in Gaza herrschende Hamas, die Unterstützung in der | |
| Bevölkerung genießt, hat die Vernichtung Israels zum Ziel. Israel will die | |
| Terrororganisation komplett zerstören, hat aber noch keine konkreten Pläne | |
| für Gaza nach einem Sturz der Hamas vorgestellt. | |
| ## Erinnerung an ein Trauma | |
| Die Reaktionen auf das geleakte Dokument ließen nicht lange auf sich | |
| warten: Eine Massenvertreibung wäre „gleichbedeutend mit der Ausrufung | |
| eines neuen Kriegs“, sagte Nabil Abu Rudeineh, Sprecher des | |
| palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, der [2][Nachrichtenagentur AP]. | |
| „Wir sind gegen einen Transfer an irgendeinen Ort und betrachten dies als | |
| rote Linie. Was 1948 geschehen ist, darf sich nicht wiederholen.“ | |
| Schon vor Bekanntwerden des Papiers und seit Beginn der Bombardierung Gazas | |
| infolge des Hamas-Massakers hatte sich unter Palästinenser*innen | |
| [3][das Narrativ verbreitet, dass sich die „Nakba“ (Katastrophe) von 1948 | |
| wiederholen könnte]. So bezeichnen Araber*innen die Flucht und Vertreibung | |
| von rund 750.000 Menschen im Zuge der Staatsgründung Israels. Überlegungen | |
| über einen Bevölkerungstransfer erinnern in der palästinensischen | |
| Gesellschaft an ein Trauma, das in vielen Familien über Generationen hinweg | |
| weitergegeben wurde. | |
| Ägypten reagierte zunächst nicht auf das Arbeitspapier. Kairo lehnt eine | |
| Ansiedlung von Palästinenser*innen in Ägypten jedoch strikt ab. | |
| Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte sich zwei Jahre nach der Revolution | |
| von 2011 gegen eine von der islamistischen Muslimbruderschaft geführte | |
| Regierung an die Macht geputscht. Seitdem geht er rigoros gegen | |
| Dissident*innen vor, vor allem gegen die Muslimbruderschaft. | |
| Die Hamas ist einst aus der Islamistenorganisation hervorgegangen. Dass | |
| unter Geflüchteten aus Gaza auch Sympathisant*innen der Hamas und | |
| Muslimbruderschaft wären, wäre nicht zu vermeiden. Kairo kommuniziert diese | |
| Sorge allerdings nicht offen, sondern schiebt das Argument vor, dass eine | |
| Aufnahme von Menschen aus Gaza der nationalen palästinensischen Sache | |
| abträglich sein würde. | |
| Bemerkenswert an dem Arbeitspapier sind die Anmerkungen zu einer Umsetzung | |
| des Plans: Die Verfasser*innen räumen ein, dass der Vorschlag | |
| international nicht auf Akzeptanz stoßen werde. Aber: „Nach unserer | |
| Einschätzung würden die Kämpfe nach der Evakuierung der Bevölkerung zu | |
| weniger Opfern unter der Zivilbevölkerung führen, als dies bei einem | |
| Verbleib der Bevölkerung zu erwarten wäre.“ Offenbar sehen sich die | |
| Verfasser*innen in einem Dilemma zwischen Vertreibung und hohen zivilen | |
| Opferzahlen. | |
| Weiteres Szenario mit der PA | |
| Neben dem Ägypten-Plan wird in dem Papier ein weiteres Szenario erwähnt. | |
| Demnach könnte die im Westjordanland herrschende Palästinensische | |
| Autonomiebehörde (PA) nach einem Sturz der Hamas auch im Gazastreifen | |
| regieren. Dies wird jedoch verworfen, da die Verfasser*innen die PA | |
| nicht für fähig und gewillt halten, Angriffe auf Israel zu verhindern. Ein | |
| Machttransfer an die PA würde einen „Sieg der palästinensischen | |
| Nationalbewegung“ darstellen, „einen Sieg, der Tausende von israelischen | |
| Zivilisten und Soldaten das Leben kosten wird“. | |
| Kürzlich hatte auch der Regierungschef der PA, Mohammad Schtajjeh, sich | |
| [4][dagegen ausgesprochen, dass die PA in absehbarer Zukunft Gaza regiert]. | |
| Dies komme nicht infrage, solange es keine politische Lösung für das | |
| Westjordanland und einen eigenen palästinensischen Staat gebe, so Schtajjeh | |
| gegenüber dem Guardian. | |
| Aus palästinensischer Sicht dürften die Berichte über das Arbeitspapier | |
| auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Westjordanland gelesen | |
| werden. Dort vollzieht sich seit Langem ein Paradigmenwechsel, der sich im | |
| Dezember auch im Koalitionsvertrag der israelischen Regierung niederschlug. | |
| Darin reklamiert sie ein „exklusives Recht“ des jüdischen Volkes auf das | |
| gesamte Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer. Netanjahu hatte zuvor | |
| bereits eine Annexion des Westjordanlands versprochen, dies allerdings nie | |
| umgesetzt. | |
| 31 Oct 2023 | |
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| [1] https://www.mekomit.co.il/%D7%94%D7%9E%D7%A1%D7%9E%D7%9A-%D7%94%D7%9E%D7%9C… | |
| [2] https://apnews.com/article/israel-gaza-population-transfer-hamas-egypt-pale… | |
| [3] /Krieg-im-Nahen-Osten/!5963392 | |
| [4] /Palaestinensische-Autonomiebehoerde/!5970103 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hagmann | |
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