| # taz.de -- Wie der Klimawandel die Natur verändert: Der späte Vogel fängt k… | |
| > Die Erderwärmung bringt das Leben von Tieren und Pflanzen aus dem Takt. | |
| > Manche sind Verlierer des Klimawandels – wie der Storch. | |
| Bild: Die Arschkarte im Klimawandel gezogen: Storch in Sachsen-Anhalt | |
| BERLIN taz | Warme Winter und heiße Frühlinge bringen das Leben von Tieren, | |
| Pflanzen, Pilzen und den anderen da draußen durcheinander. „Die | |
| biologischen Prozesse werden auseinandergerissen“, sagt Claus Bässler, der | |
| die Forschungsabteilung im Nationalpark Bayerischer Wald leitet. Käfer, | |
| Wespen oder Schwebfliegen sind so im Bayerischen Wald in den vergangenen | |
| Jahrzehnten höher gewandert, weil es in ihrem natürlichen Lebensraum zu | |
| warm wurde. Da sie ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren können, | |
| hängen sie von der Umgebungstemperatur ab. Doch immer höher zu gehen bringt | |
| dem auf Buchen spezialisierten Käfer nichts, wenn die Buche nicht über | |
| einer Höhe von 1.100 Metern hinauswächst. Der Käfer findet dann keinen | |
| geeigneten Stamm zur Eiablage mehr. | |
| „Der Klimawandel führt zu einer Reorganisation der Artengruppen“, sagt | |
| Bässler. „Unterschiedliche Arten bleiben dabei unter Umständen auf der | |
| Strecke.“ Ganz eng wird es für die Tiere und Pflanzen, die eh nur in den | |
| kühlen oberen Lagen leben. Die Bergglasschnecke liebt es kühl, wie die | |
| Ringdrossel und der weiß blühende Siebenstern. Sie könnten sich vielleicht | |
| anpassen und in kältere Regionen wandern. Doch auf dem Großen Arber, dem | |
| höchsten Berg im Bayerischen Wald, ist bei 1.455 Metern Höhe Schluss. | |
| In Deutschland werden nicht nur die Sommer heißer, das ganze Jahr über ist | |
| es wärmer. Eine Heißzeit. Viele Pflanzen passen sich an. Sie zeigen | |
| deutlich, dass die Winter kürzer werden und sich Frühjahr, Sommer und | |
| Herbst in den vergangenen 61 Jahren ausgedehnt haben. So blüht der | |
| Huflattich früher, nämlich spätestens Mitte März, und die Beeren des | |
| Holunders sind bereits Mitte August reif, nicht wie früher erst Mitte | |
| September. „Diese Veränderungen sind Ausdruck der Anpassungsfähigkeit von | |
| Pflanzen“, schreibt das Umweltbundesamt (UBA) in seinem „Monitoringbericht | |
| der Bundesregierung zur Anpassung an den Klimawandel“. Der bringe aber auch | |
| „weitergehende Folgen für die biologische Vielfalt bis hin zur Gefährdung | |
| von Tier- und Pflanzenarten“. | |
| Was das bedeutet, hat der Ökologe Bässler im Bayerischen Wald beobachtet. | |
| Da Insektenkundler dort schon seit dem 19. Jahrhundert forschen, gibt es | |
| Daten über 432 Insekten- und 57 Vogelarten aus der Zeit vor der | |
| Erderwärmung: Um 1900 war es im Bayerischen Wald durchschnittlich 1,5 Grad | |
| Celsius kälter als heute, der April war um ganze um 4 Grad kühler. Bässler | |
| hat zudem Bienen, Hummeln, Ameisen, Laufkäfer und Schwebfliegen gezählt, | |
| Drossel, Fink und Star beobachtet und seine Daten mit den historischen | |
| verglichen. Sein Fazit: „Alle Insektenarten haben ihre obere | |
| Verbreitungsgrenze deutlich nach oben verlagert.“ Auch die Vögel sind | |
| teilweise in höhere Regionen gezogen. | |
| ## Die Störfaktoren mindern | |
| Der Forscher ist erstaunt darüber, wie „resilient“, also widerstandsfähig, | |
| das System ist. Aber auch er fragt sich, wie lange die Ökosysteme in Wald | |
| und Moor, am Fluss und in der Wiese es noch aushalten, dass es heißer, | |
| trockener, stürmischer wird. „Naturnahe Bedingungen und gesunde | |
| Populationen können dem Klimawandel eher trotzen“, sagt Bässler. Für ihn | |
| und andere Naturwissenschaftler steht fest, dass Menschen die Störfaktoren | |
| mindern müssen. Weniger Dünger und Pestizide, weniger Landwirtschaft und | |
| keine weitere Vernichtung von Lebensräumen. „Wir brauchen die | |
| grundsätzliche Bereitschaft, die Natur mitzudenken“, sagt Hans-Günther | |
| Bauer, Ornithologe am Max-Planck-Institut in der Vogelwarte Radolfzell. | |
| Es werde immer wichtiger, „wertvolle Gebiete als Rückzugsräume“ | |
| auszuweisen, um „den Fortbestand heimischer und oftmals gefährdeter Tier- | |
| und Pflanzenpopulationen“ zu gewährleisten, schreibt das UBA in seinem | |
| Bericht zur Anpassung an den Klimawandel. Das Amt sieht also ernste | |
| Gefahren durch den Klimawandel für Fauna und Flora – und fordert deshalb | |
| ein Umdenken im Naturschutz. Denn: Die Klimaveränderungen brächten | |
| „dynamische Entwicklungen, die eine Anpassung der Ziele und des Managements | |
| in Schutzgebieten erforderlich machen“. Das bedeutet auch, Tiere und | |
| Pflanzen in Ruhe das machen zu lassen, was sie wollen. Auf gut Deutsch: | |
| Wildnis. Die Bundesregierung hat daher 2007 beschlossen, bis zum Jahr 2020 | |
| auf 2 Prozent der Fläche Deutschlands Wildnisgebiete zu schaffen. Momentan | |
| ist man aber erst, je nach Sichtweise, bei 0,7 oder 1,2 Prozent. | |
| Auf die Evolution, also die genetische Anpassung, können Tiere und Pflanzen | |
| nicht warten. Dabei beeinflusst der Klimawandel die Evolution, greift also | |
| in die genetische Auswahl ein. Der Biologe Patrik Karell von der | |
| Universität Helsinki hat das bei Waldkäuzen in Finnland nachgewiesen. In | |
| schneereichen Wintern hatte es der braun gefiederte Waldkauz schwer. Sein | |
| Immunsystem ist nicht besonders stark, er muss viel fressen, um den Körper | |
| warm zu halten. Besser geht es der Art in grauen Federn. Der grau | |
| gefiederte Waldkauz ist genetisch mit starkem Immunsystem und robustem | |
| Körper ausgestattet. In schneereichen Wintern in Finnland sterben deshalb | |
| viele braun gefiederte Waldkäuze. | |
| Der Klimawandel hat die natürliche Auswahl unter Waldkäuzen verändert. Der | |
| braun gefiederte Waldkauz ist quasi ein Gewinner des Klimawandels, denn nun | |
| kommen auch die braunen durch den warmen Winter. Die Hälfte der Waldkäuze | |
| in Finnland hat mittlerweile braune Federn – vor 50 Jahren waren nur ein | |
| Drittel der finnischen Waldkäuze braun gefiedert. „Der Klimawandel | |
| verändert die natürliche Selektion in einer wildlebenden Population“, | |
| schreibt Patrik Karell in der Zeitschrift Nature Communications. | |
| ## Arten sterben aus | |
| Anders als in den vergangenen Millionen Jahren wird die Vielfalt der Arten | |
| in einer sich wandelnden Welt nicht zunehmen. Die biologische Vielfalt wird | |
| kleiner, denn Arten sterben aus, und der Genpool der Überlebenden | |
| verringert sich. Bei den Waldkäuzen verschwinden eventuell die grau | |
| gefiederten Tiere – aber ob die braunen Waldkäuze besser an warme Winter | |
| angepasst sind, muss sich zeigen. Und was passiert mit der Art, wenn wieder | |
| drei Winter hintereinander eisig und lang sind? Der Klimawandel lässt keine | |
| Zeit, sich evolutionär anzupassen, also andere Hufe, Nasen, Mägen, Felle zu | |
| entwickeln, um in der neuen Welt klarzukommen. Die Tiere verändern ihr | |
| Verhalten. | |
| Auch die Weißwangengans ist betroffen: Branta leucopsis rast mittlerweile | |
| in ihr Brutgebiet in der Arktis, um rechtzeitig zum größten Nahrungsangebot | |
| und den besten Brutbedingungen dort zu sein. 13 Tage haben die Gänse auf | |
| ihrem 3.000 Kilometer langen Zug vom Winterquartier an der Nordsee in die | |
| arktische Tundra inzwischen eingespart. Sie ruhen sich auf der Reise | |
| weniger aus und kommen erschöpft an. Doch die Eier der Weißwangengans sind | |
| nicht so schnell wie die Gans. Sie kommen im alten Rhythmus, als das Eis | |
| der Arktis noch nicht schmolz. Aber die Tiere sind noch ausgelaugt: Sie | |
| haben sich weder Körpervorräte für die Zeit der Eiproduktion und des | |
| Brütens angelegt noch Reserven für den kräftezehrenden Weiterzug | |
| angefressen. „Ob es den Gänsen gelingen wird, ihr Zugverhalten den | |
| klimatischen Bedingungen anzupassen, ist die zentrale Frage“, warnen | |
| niederländische Forscher in der Zeitschrift Current Biology. | |
| „Die Langstreckenzieher mit riesigen Distanzen haben die Arschkarte“, sagt | |
| auch der Ornithologe Bauer vom Max-Planck-Institut in Radolfzell. „Ihr | |
| Leben ist desynchronisiert.“ Kuckuck, Storch, Wiesenweihe, Gartenrotschwanz | |
| und Fitis fliegen Tausende Kilometer zwischen ihren Brutgebieten in Europa | |
| und den Winterquartieren in Afrika südlich der Sahara. In ewigen Zeiten | |
| haben sie ihren Abflug in Senegal oder Südafrika an den Lebenszyklus der | |
| Raupen und Frösche in Deutschland oder Spanien angepasst. Sie landeten | |
| rechtzeitig wieder im Busch und auf dem Nest des Vorjahres, um ihre Jungen | |
| dann groß zu ziehen, wenn die meisten Insekten und Frösche unterwegs sind, | |
| mit denen sie den Nachwuchs füttern können. | |
| Der Klimawandel bringt die Harmonie von Fressen und Füttern durcheinander. | |
| In milden Wintern und Frühjahren treiben Bäume, Büsche und Kräuter früher | |
| aus. Sie haben drei, vier Wochen früher Blätter und Blüten. Käfer, | |
| Schmetterlinge und andere Insekten legen entsprechend früher ihre Eier, die | |
| Raupen krabbeln eher – und wenn dann die Baumpieper, Gartenrotschwänze und | |
| anderen Singvögel aus Afrika ankommen, sind die meisten Raupen schon | |
| verputzt. Ohne Insekten können sie ihre Jungen nicht groß ziehen. Dabei | |
| kommen die Vögel schon Tage früher nach Europa. „Mismatch“ nennen das die | |
| Wissenschaftler – die ökologischen Prozesse laufen nicht mehr zusammen. | |
| „Das Problem sind die Peaks“, sagt Vogelkundler Bauer. Extreme Hitze, | |
| Dürre, Sturm, dann Hagel, der kurz vor Ausflug der Jungvögel im Juni die | |
| ganze Brut vernichtet. Wenn die Temperatur linear ansteige, könnten sich | |
| Tiere und Pflanzen eher anpassen. Die Mönchsgrasmücke hat sich schon | |
| adaptiert. Eigentlich überwintert sie in Spanien oder im Westen | |
| Frankreichs. Ihr wehmütiges Flöten ertönt seit rund zwanzig Jahren aber | |
| auch im Süden Englands. Der Vogel bleibt im Winter jetzt einfach auf der | |
| Insel. Die Briten machen es ihm allerdings auch leicht: Sie füttern. | |
| Reichlich. | |
| 31 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Fokken | |
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