# taz.de -- Was für ein beschissenes Jahr: Am besten, Sie ertränken den Dry J… | |
> Jeder Fünfte will eine rechtsextreme Partei wählen, der mächtigste Mann | |
> der Welt macht Jagd auf Minderheiten. Wie soll man diesen Horror | |
> verkraften? | |
Bild: Trocken, Halbtrocken oder Lieblich? Alles egal so lange es nicht braun ist | |
Wenn ich Leser dieser Kolumne wäre und nicht Autor, würde ich an dieser | |
Stelle aufhören. Legen Sie mich weg, schauen Sie aus dem Fenster, schauen | |
Sie Ihre Liebsten an, vielleicht sitzen die gerade neben Ihnen. Ich | |
schreibe hier weiter, bis die Spalte voll ist, so wie alle nun schon drei | |
Wochen lang einfach immer weitermachen in diesem beschissenen Jahr, jeden | |
Tag. | |
Meine letzte Kolumne wagte [1][einen optimistischen Jahresausblick], und | |
eine Kollegin sagte, ich solle doch wieder was Lustiges schreiben, aber | |
lustig ist gerade aus, wird hoffentlich bald wieder geliefert. In | |
Deutschland will laut Umfragen jeder Fünfte eine rechtsextreme Partei | |
wählen. Der mächtigste Mann der Welt macht Jagd auf Minderheiten und | |
begnadigt Menschen, die den demokratischen Staat kaputt machen wollen, dem | |
er vorsteht. In Deutschland ersticht ein psychisch kranker Geflüchteter ein | |
Kind im Park. | |
Wie soll man diesen Horror verkraften? In der Redaktion sprechen | |
KollegInnen darüber, weniger Nachrichten konsumieren zu wollen – außer | |
natürlich [2][tolle] [3][Texte] [4][in] [5][der] [6][taz]. Guter | |
Journalismus ist immer noch die beste Medizin und macht die Welt etwas | |
erträglicher. Was noch? Mut hilft. [7][Wie die Bischöfin von Washington ihn | |
gezeigt hat], die Trump in ihrem Gottesdienst ins Gewissen redete. Und | |
Zusammentun hilft. In ganz Deutschland wird wieder für eine offene | |
Gesellschaft demonstriert. An diesem Wochenende finden überall Demos statt, | |
[8][auf taz.de steht, wo und wann]. | |
Ansonsten kann ich empfehlen, alle guten Vorsätze über Bord zu werfen, den | |
Dry January in trockenem Sekt zu ertränken, mit Freunden zu tanzen und | |
Schokolade zu essen. In der Redaktion ist keine Tafel vor mir sicher. | |
## Die Linksliberalen sind traurig und hilflos | |
Das Einzige, was sich wirklich zu fasten lohnt, ist das Internet. Seit auch | |
[9][Mark Zuckerberg offiziell zu den Bösen gehört], kann man sich dabei | |
sogar moralisch überlegen fühlen. Mir reicht die Weltlage, ich muss mir | |
nicht auch noch schöne Fotos von erfolgreichen KollegInnen anschauen, wenn | |
ich schlechte Laune haben will. | |
Da ich das Internet weitgehend faste, besteht die einzige Politik, die ich | |
ungefiltert in kleinen Happen zu mir nehmen muss, aus den Wahlplakaten am | |
Straßenrand auf meinem Weg zur Arbeit. Hier ist Augenverschließen vor der | |
Wirklichkeit keine Option, sonst Fahrradunfall. | |
Kein Plakat dieses Wahlkampfs fasst dabei die Traurigkeit und strategische | |
Hilflosigkeit der Linksliberalen so gut zusammen wie das von Bundeskanzler | |
Olaf Scholz, der vor einer wehenden Deutschlandfahne steht und uns stumm | |
zuruft: „Mehr für dich. Besser für Deutschland.“ Präziser kann man den | |
nationalen Egoismus, der die Sozialdemokratie nach drei Jahren Ampel und | |
Zeitenwende ersetzt hat, nicht zusammenfassen. | |
Im letzten Wahlkampf, so schien es, hatte Olaf Scholz noch seine Kritische | |
Theorie der Anerkennung gelesen. „Respekt“ war das Stichwort, das ihn ins | |
Kanzleramt trug. Heute bekommen wir von der SPD nur eine billige, | |
patriotische Kopie des liberalen Mantras: Wenn jeder an sich denkt, ist an | |
alle gedacht. Man fragt sich, ob Lars Klingbeil, der ja als Mastermind des | |
SPD-Wahlsiegs von 2021 gilt, eine extraschlechte Kampagne in Auftrag | |
gegeben hat, um Olaf Scholz endlich los zu sein. | |
## Auch Robert Habeck guckt gequält | |
Das andere Plakat, das in diesem dunklen Januar noch eine Weile hängen | |
bleibt, wenn man längst daran vorbeigefahren ist, kommt von den Grünen. | |
„Zuversicht“ steht darauf. Dazu schaut einen Robert Habeck an. Er guckt | |
nicht besonders zuversichtlich. Und dieses leicht Gequälte in seinem Blick, | |
das trifft mich irgendwie durch die dicke Winterjacke. Mit Habecks Pathos | |
kann ich nichts anfangen, aber mit jemandem, der gequält lächeln muss, wenn | |
alles beschissen ist, schon. | |
24 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
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