# taz.de -- Vor Abstimmung auf Parteitag: Agrogentechniker lobbyieren Grüne | |
> Vor dem Parteitag werben ForscherInnen für neue Methoden zur Veränderung | |
> von Pflanzen. Die Wissenschaft sei sich da aber uneins, so Kritiker. | |
Bild: Harald Ebner, Gentechnik-Experte der Grünen, am Donnerstag im Bundestag | |
Berlin taz | Führende WissenschaftlerInnen der [1][Agrogentechnik] haben | |
die Grünen [2][vor dem Parteitag am Wochenende] um Unterstützung für ihre | |
Forschungsdisziplin gebeten. Es kursierten „viele Falschinformationen, von | |
vermeintlichen gesundheitlichen und ökologischen Risiken bis hin zu | |
angeblichen wirtschaftlichen Nachteilen im Globalen Süden“, heißt es in | |
einem offenen Brief, den rund 150 Genetiker, Pflanzenphysiologen und andere | |
Forscher unterschrieben haben. | |
Darunter sind Professoren wie Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für | |
Entwicklungsbiologie, Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie | |
und Urs Niggli, bis vor Kurzem Chef des Forschungsinstituts für | |
biologischen Landbau. Der Brief sei an die Kreisverbände der Grünen | |
gegangen, so der Initiator, der Verein Progressive Agrarwende. Die Partei | |
will bei ihrer Konferenz darüber entscheiden, ob sie ihre bisherige | |
grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik aufweicht. | |
„Immer wieder wird versucht, mit Verweis auf Behauptungen von NGOs und | |
wirtschaftlichen Interessenverbänden den wissenschaftlichen Konsens infrage | |
zu stellen“, schreiben die Autoren. Sie verlangen von den Grünen eine | |
„faktenbasierte Sichtweise auf die neuen gentechnischen Verfahren“ wie | |
Crispr, die präziser als ältere Methoden sind. Es sollte nicht verhindert | |
werden, gentechnisch veränderte Pflanzen in der Umwelt freizusetzen. | |
Der Text suggeriert, der Weltklimarat IPCC sehe Gentechnik als Teil einer | |
Strategie zur Bewältigung der Erderhitzung, zum Beispiel durch Entwicklung | |
von Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen. Man habe zwar mit neuer | |
Gentechnik aussichtsreiche Impfstoffkandidaten gegen das Coronavirus | |
entwickelt, aber solche Potenziale seien in der EU für die Landwirtschaft | |
„schwer umsetzbar“, weil die amtliche Zulassung teuer und langwierig sei. | |
Deshalb würden sich Wissenschaftsorganisationen wie die Leopoldina oder die | |
Deutsche Forschungsgemeinschaft für eine Reform des Gentechnikrechts | |
einsetzen. | |
Anders als bei der alten Gentechnik gehe es beim neuen „Genome Editing“ nur | |
um „kleine Veränderungen in vorhandenen Genen der Pflanzen“. „Diese | |
Veränderungen sind von natürlichen und in der konventionellen Züchtung | |
genutzten Mutationen nicht unterscheidbar. Deshalb ist bei Erforschung und | |
Nutzung von mit Genome Editing erzeugten Pflanzen kein erhöhtes Risiko für | |
Mensch und Umwelt zu erwarten.“ | |
„Der Konsens besteht bei den Unterzeichnenden. Aber Wissenschaft ist | |
vielfältig“, sagte Harald Ebner, Gentechnik-Experte der Grünen im | |
Bundestag, der taz. „Viele SoziologInnen, BioethikerInnen und ÖkologInnen, | |
aber auch BiologInnen sind da sehr kritisch.“ Man dürfe nicht nur | |
Wissenschaftler fragen, die die neue Gentechnik anwenden oder entwickeln. | |
„Wir wollen Zulassungsverfahren, die alle Risiken prüfen, und eine | |
Kennzeichnung. Was ist daran nicht faktenbasiert?“ Ebner bezweifelte, dass | |
sich mit Genome Editing zum Beispiel trockenheitstolerante Pflanzen | |
erzeugen lassen. „Dazu müsste man sehr viele Stellen des Genoms verändern. | |
Das ist so komplex, dass die GentechnikerInnen bisher keine | |
trockenheitstolerante Pflanze zur Marktreife gebracht haben“, so der | |
Abgeordnete. „Konventionelle Züchtung war damit aber bereits überaus | |
erfolgreich.“ | |
## Massive Eingriffe ins Erbgut nötig | |
Ebner bestritt auch, dass die Veränderungen mit Crispr so minimal wie bei | |
einer natürlichen Mutation seien. „Erstens kann man mit Crispr viel | |
massiver eingreifen – und anders als bei einer Punktmutation modifiziert | |
Crispr auch alle Kopien der betroffenen Gensequenzen im Genom“, so der | |
Politiker. „Und trockenheitstolerante Pflanzen würden sowieso massive | |
Eingriffe erfordern, die viel weiter gehen als eine Punktmutation.“ | |
Den Abgeordneten ficht auch nicht an, dass Wissenschaftsgesellschaften das | |
aktuelle Gentechnikrecht kritisieren. „Sie wollen bestimmte Eingriffe ins | |
Genom aus der Risikoprüfung und der Kennzeichnung nehmen. Dann können die | |
VerbraucherInnen sich nicht mehr gegen solche Lebensmittel entscheiden. Die | |
Behörden würden potenzielle Risiken nicht mehr untersuchen“, antwortete der | |
Grüne. „Aus Sicht der Unternehmen mag das wünschenswert sein. Aber aus | |
ethischer und politischer Sicht darf ich dem nicht folgen.“ Die Mehrheit | |
der VerbraucherInnen lehnt laut Umfragen „Genfood“ ab. Deshalb verzichten | |
Lebensmittelhersteller auf solche Produkte. | |
## „Rote“ anders als „grüne“ Gentechnik | |
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, | |
verwahrte sich dagegen, die „rote“ Gentechnik in der Medizin mit der grünen | |
in der Landwirtschaft gleichzusetzen. „Bei der grünen Gentechnik setze ich | |
Pflanzen frei, die später eventuell schwer wieder zurückzuholen sind. Bei | |
der roten Gentechnik kann ich einfach einen Deckel drauf machen, wenn es | |
Probleme gibt“, warnte Häusling. | |
„Der IPCC hat nicht gesagt, wir müssen jetzt neue Gentechnik einsetzen, um | |
das Klima zu retten“, so der EU-Parlamentarier. „Er hat gesagt, das müsste | |
man auch mal prüfen.“ Häusling ergänzte: „Es geht nicht um ein Verbot. Es | |
geht um eine strenge Regulierung“. | |
20 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Gentechnik/!t5010915 | |
[2] /Parteitag-der-Gruenen/!5725627 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Landwirtschaft | |
Naturwissenschaft | |
Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
Risiko | |
Schwerpunkt Gentechnik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gen-manipulierte Babys: He Jiankui will ein Superheld sein | |
Der chinesische Biophysiker He Jiankui hat 2018 die ersten genetisch | |
veränderten Babys erschaffen. Er kam dafür ins Gefängnis. Jetzt ist er | |
zurück. | |
EU-Kommission für Crispr/Cas-Pflanzen: Gentechnik-Mais könnte ins Essen | |
Die EU-Kommission will laxere Regeln für Sorten der neuen Gentechnik. | |
Kritiker sehen die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen in Gefahr. | |
Akademie für neue Agrogentechnik: Gentech-Kritiker gegen Leopoldina | |
Die Akademie lasse in einem industriefreundlichen Paper kritische Studien | |
weg, sagen ForscherInnen. Die EU müsse alle Gentechnik-Pflanzen prüfen. | |
Grüne entscheiden über Agrogentechnik: „Genfood“ muss erkennbar bleiben | |
Die Grünen müssen sich dazu bekennen, dass auch Lebensmittel der neuen | |
Gentechnik gekennzeichnet werden. Jeder soll selbst entscheiden, was er | |
isst. | |
Vor dem Grünen-Parteitag: Kampf ums 1,5-Grad-Ziel | |
Die Grünen-Spitze warnt die Basis vor allzu radikaler Klimaschutzpolitik. | |
Man dürfe das Pariser Klimaabkommen nicht schwächen, sagt Michael Kellner. | |
Debatte über neues Parteiprogramm: Grünen-Chefs doch gegen Agrogentech | |
Die Grünenspitze wollte das Veto gegen Gentechnik-Pflanzen aufweichen. Nun | |
soll die Partei doch nicht fordern, dieses Forschungsgebiet zu stärken. | |
Forschungsförderung für neue Gentechnik: Nur zwei Milliönchen für Risiken | |
Der Bund fördert nur mit wenig Geld die Erforschung von Risiken und | |
Nachweismethoden der neuen Agro-Gentechnik. Die Grünen sind empört. | |
Gentechveränderte Pflanzen erkennen: Test enttarnt neue Gentechnik | |
Labore können Pflanzen erkennen, die mit Gentechverfahren wie Crispr/Cas | |
verändert worden sind. Das zeigt eine neue Testmethode. |