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# taz.de -- Volksentscheid Tempelhofer Feld: Wo der Himmel über Berlin weit ist
> Ein großer unbebauter Naturraum mit kilometerweitem Auslauf ist derzeit
> die Attraktion Berlins – und zugleich begehrt als Bauland.
Bild: Können Sie die Erdkrümmung in der Weite des Feldes erkennen?
BERLIN taz | Es gibt in Berlin Menschen, die fahren längst nicht mehr an
die Ostsee oder nach Brandenburg, sondern auf das Tempelhofer Feld, um eine
Portion frische Luft, Licht und Sonne zu tanken. Mehr noch reizt die
Besucher, dass man sein Auge ausruhen lassen kann. Vom einstigen Berliner
„Zentralflughafen“ hat man eine kilometerweite Sicht über den derzeit
größten Freiraum inmitten der Stadt und die Silhouette dahinter.
Aljoscha Hofmann, Architektursoziologe und Mitbegründer von „Think Berlin“,
einer Initiative von Stadtplanern, die sich mit neuen Positionen in die
Berliner Stadtentwicklung einmischt, ist jedes Mal von den Perspektiven
beeindruckt: „Es ist gigantisch, wenn man diese Weite sieht. Paradox
erscheint auch, dass man meint, sich auf dem platten Land statt in Berlin
zu befinden. Aber das ist ja hier das Besondere, es gibt wahrscheinlich
keine Großstadt außer Berlin mit einem vergleichbar großen freien Raum.
Selbst der Central Park in New York ist kleiner.“
Was stimmt. Seit dem Ende des Flugbetriebs 2008 und der Öffnung des Feldes
2010 als öffentlicher Park ist dieser ein Faszinosum unter den Freiräumen
der Hauptstadt. Kein Haus, kein Auto, kein Baum, nicht einmal eine Parkbank
verstellt den Blick. Das einstige Flugfeld ist Naturlandschaft pur, „ein
Berliner Unikum“ auf 385 Hektar „leerer Fläche“, so Hofmann.
Das wilde Wiesenmeer aus Rasen- und Naturschutzbereichen inmitten der
Stadtbezirke Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln wird nur von den beiden
2.000 Meter langen Rollbahnen durchschnitten, welche die Wahrnehmung von
räumlicher Tiefe noch steigern.
## Die Erdkrümmung wahrnehmen
Wer von Neukölln über das Feld nach Westen hinüber wandert, dem erscheinen
das riesige 1.230 Meter lange Terminalgebäude, die Berliner Silhouette und
ihre Fixpunkte dahinter wie in einem Panorama. Der berühmte Himmel über
Berlin ist hier besonders weit. Und noch eine Besonderheit scheint das Feld
zu besitzen: „Man kann hier minimal die Erdkrümmung wahrnehmen“, glaubt
Hofmann und beschreibt mit den Armen einen Halbkreis.
Dass das ovale Naturgelände selbst an den windigen Tagen der „Eisheiligen“
im Mai so beliebt ist, Hunderte schon morgens hier herumkurven oder
-spazieren, liegt an seiner Metamorphose zum „Raumlabor für die moderne
Freizeitgesellschaft“, wie Matthias Lilienthal, Theaterintendant und
Initiator von Kunstprojekten in Tempelhof, findet. Zugleich bedeute der
rohe, unreglementierte Charakter des Feldes für viele ein Symbol
größtmöglicher Distanz zur dichten Stadt – und ist darum so gefragt.
1,5 bis 2 Millionen Nutzer kommen jährlich auf das Feld, an manchen
sonnigen Wochenenden bis zu 50.000 Besucher. Das Wiesenmeer ist kein
klassischer Park, sondern quasi die Berliner „Savanne“, Liegewiese,
Rückzugs- und Erholungsort vom Alltag, Spielplatz, Fläche für
„Pioniergärtner“ und Hundefreunde, Areal für Sport und Veranstaltungen, e…
Feld für gute Luft, Liebende, für alternative Lebens- und Arbeitsformen,
für das „Anything goes“.
Die Rollbahnen sind die Runways für Skater, Windsurfer oder Radler. „Die
Landebahnen auf dem Tempelhofer Feld sind der neue Ku’damm der Stadt, der
neue Korso für die Berliner. ’Hip‘ ist in der Stadt heute das Tempelhofer
Feld“, meint Lilienthal.
## Mental gar nicht in der Stadt
Trotzdem bleibt die enorme Attraktivität dieses rohen Grünraums ein
Mysterium. Für Hofmann besteht eine Erklärung darin, dass „der Ort mental
gar nicht in der Stadt liegt“. Aus der Sicht des Stadtplaners stellt dies
zugleich ein Manko dar: „Das Feld und die Stadtviertel sind räumlich nicht
gut vernetzt.
Das Flughafengebäude etwa bildet eine Barriere zum Feld und zum Platz der
Luftbrücke bis hinein nach Kreuzberg. Im Süden und Norden trennen breite
Verkehrstrassen den Park von den Stadtquartieren.“ Diese „Grenzen“,
besonders das Flughafenmonstrum aus der NS-Zeit, müssten „durchbrochen“
werden, damit Stadt- und Freiraum verbunden werden können.
Um noch mehr urbane Vernetzungen zu schaffen, plädiert Hofmann sogar für
neue Wohnviertel am Feldrand, die „den leeren Raum beleben“ sollten –
keineswegs aber so „ideenlos“, wie der Berliner Senat dies plant.
Womit wir beim politischen Streit um das Feld wären: Während die
Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“ das Flughafenareal gar nicht
bebaut haben möchte, sehen die Pläne des Senats vor, dass dort neuer
Wohnraum geschaffen werden soll. Darüber wird am 25. Mai per Volksentscheid
abgestimmt.
## Das Misstrauen bleibt
Konkret fasst der „Masterplan“ der Bauverwaltung drei Baufelder für
insgesamt 4.700 Wohnungen ins Auge, die sich auf knapp 200 Hektar an den
Rändern des Flugfelds – im Westen, Osten und Süden – ausdehnen. Die Mitte
des Feldes soll frei bleiben.
Eine mögliche „Vorhaltefläche“ für weitere Gebäude ist aber im Masterpl…
ebenso enthalten wie der Bau einer neuen Zentral- und Landesbibliothek
(ZLB) am Südrand für 300 Millionen Euro – alles „Eingriffe“ in den
klimatisch wertvollen Naturraum, wie selbst der Senat zugibt.
Für die Bauverwaltung besitzt dieser Weg eine Logik, leidet Berlin doch
unter Wohnungsnot: steigende Mieten, wenig Leerstand, steter Zuzug in die
Stadt. Rund 50.000 Wohnungen müsste in den kommenden Jahrzehnten errichtet
werden.
Doch während Bausenator Michael Müller (SPD) verspricht, „bezahlbaren
Wohnraum und sozial durchmischte Viertel“ auf dem Tempelhofer Feld
hochziehen zu wollen, bleibt das Misstrauen, dass der Senat die Flächen
teuer verkauft und damit für Luxusquartiere opfert.
Die Idee vom Tempelhof Feld als öffentlicher Ort und in öffentlicher Hand
würde damit obsolet, findet auch Hofmann. Die Chance, am Tempelhofer Feld
zukunftsweisende Architektur und sozialen Wohnungsbau zu realisieren, wäre
– samt Wiesenmeer und Erdwölbung – verspielt.
24 May 2014
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
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