# taz.de -- Verschwörungstheorien zu Corona: Das Versagen von Irans Regierung | |
> Die Führung des Iran hat auf Corona mit Vertuschung und Versäumnissen | |
> reagiert. Nun soll das Virus eine „biologisch-ethnische Waffe“ des | |
> Westens sein. | |
Bild: Die Dschamkaran Moschee in Ghom | |
Das iranische Regime ist im Jahr 2020 nicht nur mit einer dramatischen | |
Wirtschaftskrise konfrontiert, die durch die Strukturen einer | |
jahrzehntelang betriebenen Klientel- und Kriegswirtschaft sowie durch die | |
Sanktionspolitik der USA und – deutlich weniger konsequent – der meisten | |
europäischen Länder weiter befeuert wird, sondern auch mit den massiven | |
Auswirkungen von Covid-19. | |
Bereits Anfang 2020 waren wichtige ökonomische Indikatoren – vom | |
Bruttoinlandsprodukt über die Inflationsrate bis zur Massenkaufkraft und | |
der Arbeitslosenrate – negativ. Die Coronakrise verstärkt die eklatante | |
ökonomische Krise zusätzlich und desavouiert die Legitimität der | |
politischen und religiösen Führung in noch stärkerem Ausmaß, als es ohnehin | |
schon der Fall war. | |
Seit Anfang 2020 hat die Führung in Teheran auf die Pandemie mit einer | |
Mischung aus Vertuschung, massiven Versäumnissen und schlecht koordinierten | |
und kommunizierten Maßnahmen reagiert. Offiziell waren Mitte 2020 etwa | |
17.000 Menschen im Iran aufgrund von Covid-19 gestorben; die BBC konnte | |
jedoch zeigen, dass die Zahl vermutlich deutlich über 40.000 liegt. | |
Wer die offiziellen Zahlen im Iran in Frage stellt, muss mit Repression | |
rechnen. Im August 2020 wurde beispielsweise die Wirtschaftszeitung Jahane | |
Sanat umgehend geschlossen, nachdem sie einen Epidemiologen mit der | |
Einschätzung zitiert hatte, die offiziellen Fall- und Todeszahlen bezüglich | |
Covid-19 würden im Iran nur etwa 5 Prozent der tatsächlichen Zahlen | |
entsprechen. | |
Das mannigfaltige Versagen angesichts der multiplen Krisenerscheinungen | |
versuchen Vertreter der iranischen Theokratie mit ihren gängigen Rezepten | |
zu kaschieren: Geraune über ausländische Verschwörungen, Hetze gegen Israel | |
und mit klassischem Antisemitismus, der in vielen westlichen Analysen des | |
iranischen Regime immer noch eine zu geringe Beachtung findet. | |
Als Ausgangspunkt der Covid-19-Epidemie im Iran gilt das religiösen Zentrum | |
Ghom. Nach der deutlich zu spät erfolgten Schließung des dortigen | |
Fatima-Masuma-Schreins kursierte im März 2020 ein Video eines Geistlichen, | |
der erklärte, bei der WHO handele es sich um einen „Haufen Ungläubiger und | |
Juden“, denen man kein Gehör schenken solle. | |
## Biologische Invasion der USA | |
Der Kommandant der Revolutionsgarden, Hossein Salami, spekulierte im März | |
2020 darüber, dass das Virus möglicherweise das Ergebnis einer | |
„biologischen Invasion der USA“ sei. Der staatliche iranische | |
Auslandssender Press TV veröffentlichte einen Beitrag über „Israel Lobbys“ | |
in den USA „die vermutlich hinter diesem biologischen Angriff“ steckten und | |
spekulierte über „Israel pressure groups“, die die Außenpolitik der USA | |
bestimmten und versuchen würden, die Coronakrise im Iran zu verschlimmern. | |
Ein anderer Beitrag auf Press TV behauptete, „zionistische Elemente“ hätten | |
eine tödlichere Mutation von Covid-19 speziell für den Iran entwickelt. Ali | |
Karami, ein Professor an einer von den Revolutionsgarden kontrollierten | |
Universität, erklärte im iranischen Fernsehen, Covid-19 sei eine von | |
„Amerikanern und dem zionistischen Regime“ kreierte „biologisch-ethnische | |
Waffe“ und die hohe Sterblichkeit im Iran sei das Ergebnis einer | |
„zionistischen Verschwörung“. | |
Nachdem Ali Chamenei im Zusammenhang mit der Coronapandemie in seiner | |
mittlerweile legendären „Dschinn-Rede“ zum iranischen Neujahrsfest | |
verkündet hatte, der Iran habe sowohl „menschliche“ Feinde als auch solche, | |
die „Geister“ oder „Dämonen“ seien, wurde auf der offiziellen Website … | |
obersten geistlichen Führers erläutert, es gäbe „keinen Zweifel“, dass | |
„Juden und insbesondere die Zionisten“ eine lange Geschichte der „Beziehu… | |
zum Teufel und zu Geistern“ hätten. | |
Nachdem derartige Äußerungen selbst in iranischen Regimekreisen zu leichten | |
Zweifeln geführt hatten, boten die Revolutionsgarden einen Geistlichen auf, | |
der nochmals bekräftigte, „die Juden“ seien „Experten in Zauberei und der | |
Herstellung einer Verbindung mit Geistern“. | |
Die Verbündeten des iranischen Regimes wollen dem offensichtlich nicht | |
nachstehen. Abdul-Malik al-Huthi, der Anführer der jemenitischen | |
Huthi-Rebellen, die im Schriftzug ihres Logos unter anderem verkünden: „Tod | |
Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“, spekulierte darüber, | |
dass die „zionistische Lobby in den USA“ das Coronavirus weiterverbreiten | |
könnte, um ihre Gewinne zu steigern. | |
## Tradition des Antisemitismus | |
Derartige wahnhafte Projektionen müssen vor dem Hintergrund der | |
mittlerweile vierzigjährigen Tradition des Antisemitismus des iranischen | |
Regimes verstanden werden. Hinsichtlich der antisemitischen Ideologie der | |
iranischen Islamisten kann zusammenfassend von einer Verherrlichung einer | |
konkretistisch verklärten, als organisch, authentisch, schicksalhaft und | |
harmonisch gezeichneten Gemeinschaft der Muslime gesprochen werden, die als | |
permanent von zersetzenden Feinden bedroht halluziniert wird. | |
Diese idealisierte Gemeinschaft wird gegen eine als chaotisch-abstrakt, | |
entfremdet, künstlich, unmoralisch, materialistisch, ambivalent und | |
widersprüchlich porträtierte und letztlich mit Juden oder dem jüdischen | |
Staat und dem liberalistischen Westen assoziierte Gesellschaftlichkeit in | |
Anschlag gebracht. | |
Wenn über den Antisemitismus des iranischen Regimes gesprochen wird, gilt | |
es drei Punkte zu thematisieren: Erstens die traditionelle | |
Judenfeindschaft, wie sie sich besonders ausgeprägt, aber keineswegs | |
ausschließlich beim bis heute von den Anhängern des Regimes verehrten | |
Ajatollah Ruhollah Chomeini findet; zweitens die Leugnung und Relativierung | |
des Holocaust; und drittens die offenen Vernichtungsdrohungen gegenüber | |
Israel samt dem daraus resultierenden Agieren in der Region des Nahen | |
Ostens. | |
Die offene Judenfeindschaft war vor allem für die vorrevolutionären | |
Schriften Chomeinis charakteristisch, sie bricht aber auch nach 1979 immer | |
wieder durch und bestimmt neben traditionellen islamischen Regelungen die | |
diskriminierende Praxis gegenüber der im Iran verbliebenen jüdischen | |
Minderheit. Die verbalen Attacken gegen Israel und die Unterstützung der | |
gegen Israel agierenden Terrororganisationen ist eine Konstante in der | |
Ideologie und Praxis des iranischen Regimes und wird seit 1979 bis zum | |
heutigen Tag von ausnahmslos allen Fraktionen des Regimes formuliert und | |
praktiziert. | |
Der Hass auf den jüdischen Staat gehört zu den Kernelementen der | |
islamistischen Ideologie. Die Holocaustleugnung hatte ihre Hochzeit während | |
der Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedschads, der sie in das Zentrum seiner | |
Politik und Agitation rückte, aber auch seine Vorgänger Ali Akbar Haschemi | |
Rafsandschani und Mohammed Chatami waren Holocaustleugner, und der bis | |
heute amtierende oberste geistliche Führer Chamenei ist es ebenfalls. | |
## Zeichenwettbewerb: Wir besiegen Corona | |
Letztlich wird die Linie in dieser Frage nicht vom Präsidenten oder vom | |
Außenminister, sondern vom obersten geistlichen Führer festgelegt, der | |
allein schon durch seine Befugnis zur Ernennung von über 100 | |
Spitzenpositionen in Politik, Justiz, Verwaltung, Militär, Medien und | |
religiösen Institutionen der entscheidende Mann des Regimes ist. | |
Ende 2019, kurz vor Beginn der Coronakrise, nutzte Chamenei den Jahrestag | |
der Verurteilung des französischen Holocaustleugners Roger Garaudy, den er | |
bereits 1998 empfangen hatte, um sich erneut mit ihm zu solidarisieren und | |
seinen „Mut“ zu preisen. Einer der Hauptorganisatoren mehrerer | |
„Holocaust-Karikaturen-Wettbewerbe“ in den letzten 15 Jahren hat in Zeiten | |
von Corona ein erweitertes Betätigungsfeld gefunden: Im März 2020 hat | |
Masoud Shojaei Tabatabaei im Iran einen Wettbewerb zu „Wir besiegen das | |
Coronavirus“ veranstaltet. | |
Die eingereichten Zeichnungen basieren weitgehend auf der | |
Verschwörungstheorie, dass die USA das Virus in die Welt gesetzt hätten, um | |
China und Iran zu schaden, und beinhalteten wenig überraschend auch | |
antisemitische Darstellungen. Der im Westen häufig verharmloste Präsident | |
Hassan Rohani nimmt seit seinem Amtsantritt 2013 wie seine Vorgänger | |
regelmäßig am Al-Kuds-Marsch in Teheran teil, bei dem seit 1979 auf Geheiß | |
von Chomeini weltweit am Ende des Ramadans für die Vernichtung des | |
jüdischen Staates demonstriert wird. | |
In Zeiten von Corona übernimmt das staatliche Fernsehen die Propaganda: Zum | |
Al-Kuds-Tag im Mai 2020 strahlte der Sender Ofogh TV ein Video mit dem | |
Titel „Die Sintflut von Jerusalem“ aus, in dem die israelische Hauptstadt | |
komplett überschwemmt ist und wo an der Wasseroberfläche die | |
Kopfbedeckungen orthodoxer Juden zu sehen sind. Der Clip endet mit dem | |
bekannten Chomeini-Zitat „Wenn jeder Moslem einen Eimer Wasser ausgießen | |
würde, würde Israel von der Flut weggespült werden.“ | |
Auch während der Coronakrise hat Chamenei seine Hass-Tiraden gegen Israel | |
fortgesetzt: Im Mai 2020 bezeichnete er den jüdischen Staat auf Twitter | |
erneut als „Krebsgeschwür“ und rief dazu auf, das Westjordanland genauso | |
mit Waffen zu versorgen wie bisher schon den Gazastreifen. | |
## Cyberangriff auf israelische Wasserversorgung | |
Zum Al-Kuds-Tag 2020 erschien auf der offiziellen Website des „obersten | |
Führers“ ein Plakat, auf dem ganz bewusst auf die antisemitische | |
Terminologie des Nationalsozialismus Bezug genommen und eine „Endlösung“ | |
für „Palästina“ angekündigt wurde. Kurz darauf bekräftigte Chamenei | |
nochmals, das iranische Regime werde „jede Nation und jede Gruppe“ | |
unterstützen, die gegen das „zionistische Regime“ kämpfen. | |
Der Kommandant der Revolutionsgarden, Hossein Salami, prophezeite den | |
Israelis Anfang 2020, sie würden letztlich alle im Mittelmeer landen. | |
Solchen Worten folgen schon lange Taten. Während der Covid-19-Pandemie fand | |
ein massiver Cyberangriff auf die israelische Wasserversorgung statt, für | |
den Israel das iranische Regime verantwortlich macht. Wäre er erfolgreich | |
gewesen, hätte er mittels einer massiven Erhöhung des Chlorgehalts im | |
Wasser und in Kombination mit der Coronakrise zu einer katastrophalen | |
Situation in Israel geführt. | |
Das iranische Regime ist heute einer der maßgeblichen Protagonisten des | |
globalen Antisemitismus. Auf die mannigfaltigen aktuellen | |
Krisenerscheinungen im Iran – von der dramatischen Wirtschaftskrise über | |
den massiven Verlust politischer Legitimität bis zu den verheerenden | |
Auswirkungen von Covid-19 – reagiert das Regime unter anderem mit einer | |
Fortsetzung seiner antisemitischen Propaganda und seinem antiisraelischen | |
Agieren in der Region. Viel mehr hat es seiner Bevölkerung auch nicht mehr | |
anzubieten. | |
23 Aug 2020 | |
## AUTOREN | |
Stephan Grigat | |
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