# taz.de -- Verschobener Atomausstieg: Kabinett beschließt Streckbetrieb | |
> Die Bundesregierung bringt die Verschiebung des Atomausstiegs um | |
> dreieinhalb Monate auf den Weg. Anti-AKW-Initiativen sind entsetzt. | |
Bild: Anti-AKW-Protest vor dem Atomkraftwerk in Neckarwestheim im August | |
BERLIN taz | Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die Änderung des | |
Atomgesetzes beschlossen, mit der [1][der Streckbetrieb der drei noch | |
laufenden Atomkraftwerke] möglich gemacht wird. Gleichzeitig sieht der | |
Gesetzentwurf vor, dass die drei Meiler spätestens zum 15. April 2023 den | |
Betrieb einstellen. „Danach ist Schluss“, sagte Bundeswirtschaftsminister | |
Robert Habeck (Grüne) unmittelbar im Anschluss an die Kabinettssitzung. Die | |
AKW arbeiten mit dem vorhandenen Material weiter. „Es gibt keine neuen | |
Brennstäbe“, so Habeck. | |
Ursprünglich sollten alle drei noch in Deutschland aktiven AKW zum | |
Jahresende abgeschaltet werden. Wegen der Energiekrise hatte Habeck Anfang | |
September einen Reserve- und möglichen Streckbetrieb der Meiler Isar 2 in | |
Bayern und Neckerwestheim 2 in Baden-Württemberg für den Fall in Aussicht | |
gestellt, dass Stresstests einen Energiemangel ergeben. | |
Die FDP hatte die entsprechende Änderung des Atomgesetzes aber blockiert, | |
weil sie für den Weiterbetrieb aller AKW ist. [2][Am Montagabend hat | |
Bundeskanzler Scholz auf Grundlage seiner Richtlinienkompetenz verfügt,] | |
dass alle drei AKW bis zum 15. April weiterlaufen können, entgegen der | |
ursprünglichen Pläne also auch das AKW Emsland. Das Bundesumweltministerium | |
hatte zügig einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. | |
Bei der Kabinettssitzung am Mittwoch habe es keine erneuten Diskussionen | |
über die Änderung des Atomgesetzes gegeben, berichteten Habeck und | |
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei einem gemeinsamen Auftritt | |
vor dem Bundeskanzleramt. In „maximal vier Minuten“ sei die Sache über die | |
Bühne gegangen, sagte Habeck. | |
## Anti-AKW-Bewegung sieht Sicherheitsrisiko | |
Jetzt geht der Entwurf ins parlamentarische Verfahren, in dem es durchaus | |
noch zu Änderungen kommen kann. In der zweiten Novemberwoche könnte der | |
Bundestag über das Gesetz abstimmen. Der Bundesrat muss nach Angaben des | |
Wirtschafts- und Umweltministeriums nicht zustimmen. Auf den Bund kommen | |
mit dem Streckbetrieb keine Kosten zu, teilten die Ministerien mit. Sollten | |
die AKW-Betreiber sehr hohe Gewinne machen, werden die nach den Plänen der | |
Bundesregierung abgeschöpft und für die vorgesehene Strompreisbremse für | |
Verbraucher:innen verwendet. | |
Der Entwurf sieht einen Streckbetrieb vor, bei dem die Leistung der AKW | |
schrittweise gesenkt wird. Habeck und Lemke betonten, dass mit der | |
Gesetzesänderung der Atomausstieg zum 15. April 2023 definitiv steht. Das | |
Problem: Ob die FDP jetzt Ruhe gibt oder weiterhin vehement das Einsetzen | |
neuer Brennstäbe und einen Weiterbetrieb der AKWs fordert, ist offen. „Ich | |
gehe davon aus, dass die FDP vertragstreu ist“, sagte Habeck. Wegen des | |
vorgesehenen Ausstiegs waren zuletzt die Sicherheitsprüfungen für die AKW | |
ausgesetzt worden, dabei bleibt es. „Das ist vertretbar für wenige Monate, | |
aber nicht für länger“, sagte Lemke. | |
Anti-AKW-Initiativen reagierten mit Entsetzen auf den Weiterbetrieb. Sie | |
sehen darin ein erhebliches Sicherheitsrisiko. „Die Entscheidung ist rein | |
politisch motiviert, allein um die FDP zu beruhigen“, heißt es in einer | |
Erklärung von acht Anti-AKW-Initiativen aus Niedersachsen und NRW sowie dem | |
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). | |
Sie kritisieren, dass im Emsland auch eine Brennelementefabrik des | |
französischen Konzerns Framatome betrieben wird. Sie tauche in dem | |
Gesetzentwurf nicht auf. „Framatome Lingen hat gerade erst Genehmigungen | |
für neue Urangeschäfte ausgerechnet mit dem Kreml-Konzern Rosatom | |
erhalten“, kritisieren die Initiativen. Auch die Anti-Atom-Organisation | |
„.ausgestrahlt“ ist strikt gegen den Streckbetrieb. „Ein längerer Betrieb | |
der AKW spielt nur jenen in die Hände, die die Energiewende kippen wollen“, | |
sagte Armin Simon von „.ausgestrahlt“. | |
## AKW sind bei Stromerzeugung unflexibel | |
In der Erneuerbaren-Energien-Branche ist die Verstimmung ebenfalls groß. | |
Der Weiterbetrieb werde weder die [3][Preis- noch die Versorgungskrise] | |
lösen, sagte die Präsidentin des Bundesverbands für Erneuerbare Energie | |
(BEE), die frühere Grünen-Vorsitzende Simone Peter. „Er kann aber gerade in | |
Norddeutschland dazu führen, Erneuerbare vom Markt zu drängen, sodass diese | |
ihre preissenkende Wirkung nicht ausspielen können.“ | |
Der Hintergrund: Atomkraftwerke sind bei der Stromerzeugung extrem | |
unflexibel, einmal hochgefahren, bleiben sie am Netz und verdrängen so | |
erneuerbare Energien wie Windkraft, die unkompliziert an- und abschaltbar | |
sind. | |
„Alleine im Jahr 2021 wurden 5,8 Terawattstunden wertvoller Ökostrom aus | |
Erneuerbare-Energien-Anlagen abgeregelt, verbunden mit einem | |
Millionenschaden“, sagte Peter. Diesen Zustand zu verlängern und so die | |
Chance zur Senkung der Strompreise zu verschenken, ergebe in Zeiten der | |
Kostenkrise in der Energieversorgung wenig Sinn. | |
19 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-ueber-AKW-Weiterbetrieb/!5889230 | |
[2] /Scholz-AKW-Entscheidung/!5889227 | |
[3] /Streit-um-AKW-Laufzeiten/!5876607 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
## TAGS | |
Energiekrise | |
Anti-AKW-Proteste | |
Anti-AKW | |
AKW | |
Robert Habeck | |
Steffi Lemke | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Olaf Scholz | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
FDP | |
Ampel-Koalition | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Leck in französischem AKW: Kumulierte Zwischenfälle | |
Ein Leck im AKW Civaux belastet Frankreichs angespanntes Stromnetz. | |
Mittelbar hat das auch Auswirkungen auf die Versorgungslage in Deutschland. | |
Ortsbesuch in der AKW-Stadt Lingen: Es ist schön hier | |
Der Betrieb des Atomkraftwerks Emsland in Lingen wird bis Mitte April 2023 | |
verlängert. Wie kommt das vor Ort an? Ein Stimmungstest. | |
Vor EU-Gipfel zur Energiekrise: Scholz verteidigt Entlastungsschirm | |
Der Kanzler präsentiert dem Bundestag seine Pläne und warnt vor Risiken | |
eines EU-Gaspreisdeckels. Friedrich Merz kritisiert die Maßnahmen der | |
Bundesregierung. | |
Atomkompromiss der Ampelkoalition: Emsland bringt wenig Strom | |
Schon ab Mitte November wird die Leistung des Reaktors stetig sinken. Da | |
hilft auch kein Machtwort des Kanzlers. | |
Scholz' AKW-Entscheidung: Basta war gestern | |
Der Kompromiss im Streit zwischen Grünen und FDP über die drei AKWs war | |
nötig. Es ist kein Machtwort von Scholz, sondern eher ein Griff zur | |
Notbremse. | |
Streit über AKW-Weiterbetrieb: „Das ist Basta-Politik“ | |
Nach dem Machtwort von Scholz im Atomstreit kommt von der Grünen Jugend | |
Kritik. Auch Trittin lässt Dampf ab. Grüne Fraktionsspitze empfiehlt | |
Zustimmung. |