| # taz.de -- Versagen einer Berliner Behörde: Kommt drauf an, bei wem man landet | |
| > 2015 wurde das Berliner LAGeSo zum Symbol für Versagen auf ganzer Linie. | |
| > Inzwischen wurde das Amt umgebaut. Hat sich was geändert? | |
| Bild: September 2015: Geflüchtete warten auf dem Gelände des Landesamts für … | |
| Die Behörde, mit der Geflüchtete in Berlin als Erstes in Kontakt treten, | |
| heißt heute anders. Aber für Menschen, die 2015 nach Berlin geflüchtet | |
| sind, klingen die drei Silben „La-ge-so“, kurz für Landesamt für Gesundhe… | |
| und Soziales (LAGeSo), immer noch nach. Auch für Mohamad Shbib. Zwei Jahre | |
| dauerte es, bis seine Papiere so vorlagen, dass er einen Deutschkurs | |
| belegen konnte. Ungezählte Stunden hat er vor dem Lageso in der Turmstraße | |
| gewartet, zusammen mit Tausenden anderen. Er ist sich sicher: Hier hat er | |
| einen Teil seiner Gesundheit eingebüßt und seinen Glauben an | |
| Gleichbehandlung verloren. Beim Ankommen geholfen hat die Behörde ihm | |
| nicht. Im Gegenteil: Sie hat sein Ankommen lange verhindert. | |
| „Es war eine richtig schwere Zeit“, sagt Shbib heute. Im Juli kam er in | |
| Berlin an, und als es langsam Winter wurde, stand er immer noch ganze Tage | |
| vor dem Lageso, etwa um die Kostenübernahme für das Heim zu verlängern. | |
| „Die brauchte ich, um meinen Heimplatz nicht zu verlieren, und ich musste | |
| vor Ablauf der Zeit wieder hin. Einmal haben sie mir die nur für eine Woche | |
| gegeben. Das war so ohne Ziel“, sagt er. „Ich hatte für eine lange Zeit | |
| nichts anderes zu tun, als im Heim zu übernachten und jeden Tag ins Lageso | |
| zu gehen, um Dinge zu regeln.“ Oft habe er dort übernachtet, um die Chance | |
| zu verbessern, am folgenden Tag dranzukommen. „Das alles hat mir Albträume | |
| verschafft“, es habe ihn so gestresst, dass er gesundheitliche Probleme | |
| bekommen habe. Er habe sich eine Verletzung zugezogen, unter deren Folgen | |
| er bis heute leide. „Wir hatten eine Nummer und haben tagelang gewartet. Es | |
| gab in der Zeit gar keine Regeln.“ | |
| Am Lageso zeigte sich das [1][Behördenversagen] drastisch. Das Amt war das | |
| Nadelöhr: Jede*r, der*die ankam, musste hierhin, erst, um sich registrieren | |
| zu lassen und überhaupt einen Schlafplatz zu erhalten; später, um | |
| Leistungen ausgezahlt zu bekommen oder Papiere zu verlängern. Ab dem Sommer | |
| 2015 warteten täglich rund tausend Menschen auf dem Gelände an der | |
| Turmstraße. Freiwillige Helfer*innen von „Moabit hilft“ versorgten sie mit | |
| Wasser und Essen – einige tranken tagsüber allerdings nichts, um ihren | |
| Platz in der Warteschlange nicht durch einen Toilettenbesuch zu gefährden. | |
| Bilder davon gingen um die Welt – nicht unabsichtlich, vermuteten einige, | |
| die der Politik zutrauten, so auf Abschreckung zu setzen. | |
| Nachts war das Lageso nicht besetzt. Nach den Öffnungszeiten wurde niemand | |
| versorgt. Auch hier sprangen Ehrenamtliche ein. Über Monate informierte | |
| deren Lageso-Nachtschicht die neu Ankommenden, organisierte Schlafplätze in | |
| Privatwohnungen, verteilte Tee und U-Bahn-Tickets. Geflüchtete engagierten | |
| sich als Sprachmittler. | |
| Um möglichst weit vorne in die Schlange zu kommen, übernachteten bald viele | |
| auf der Straße vor dem Gelände. Morgens formierten sie sich als Gruppe vor | |
| den Absperrgittern, irgendwann kam der Moment, in dem alle losrannten. Die | |
| Securitys zogen dann nur noch schnell die Gitter weg. Regelmäßig wurden | |
| Menschen eingequetscht oder überrannt, meist lagen danach einzelne Schuhe | |
| in der Einfahrt. Oft musste der Notarzt kommen. Wer dort im Frühdienst | |
| arbeitete, nahm diesen Ansturm einfach als gegeben hin. | |
| Dass sich eine Falschmeldung, es habe dort einen Toten gegeben, im Januar | |
| 2016 so schnell verbreitete, hatte wohl auch damit zu tun, dass es viele | |
| nicht erstaunt hätte, wenn dort tatsächlich jemand gestorben wäre. | |
| Inzwischen ist in Berlin nicht mehr das Lageso für Geflüchtete zuständig, | |
| sondern eine eigene Behörde, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten | |
| ([2][LAF]) mit mehreren über die Stadt verteilten Anlaufstellen. An einer | |
| werden neu angekommene Geflüchtete registriert, an einer anderen | |
| Leistungsanträge für in Berlin lebende Geflüchtete bearbeitet. Auch das | |
| Ankommen ist besser organisiert. Das vor gut einem Jahr eröffnete | |
| Ankunftszentrum auf einem ehemaligen Klinikgelände in Reinickendorf ist | |
| auch nachts besetzt. Dort befinden sich auch Unterkünfte, wer sich hier | |
| meldet, bekommt also direkt ein Bett, Essen und, wenn nötig, Windeln oder | |
| andere Hygieneartikel. | |
| Aus dem Ankunftszentrum werden die neu Angekommenen mit Bussen in die | |
| Registrierungsstelle gebracht. Die Stellen stimmen sich ab, sodass nur so | |
| viele Menschen hinfahren, wie dort an dem Tag bearbeitet werden können. | |
| Jede*r bekommt dort eine grüne Mappe mit Informationen zu Beratungsstellen | |
| sowie einem Laufzettel, auf dem vermerkt wird, welche Anträge bereits | |
| gestellt und welche Untersuchungen schon gemacht sind. Dieser Laufzettel | |
| leitet die Geflüchteten und wohl auch die Behördenmitarbeiter*innen | |
| durch den Registrierungsprozess. | |
| „Wir hatten es mit einem Status zu tun, der rechtlich nicht vorgesehen | |
| war“, sagt LAF-Sprecherin Monika Hebbinghaus. „Nichtregistrierte | |
| Asylsuchende kamen in den Gesetzen nicht vor.“ Daraus habe sich der Engpass | |
| ergeben. Das Lageso sprach von „Anregistrierten“ oder „Altfällen“ und | |
| meinte damit alle, die einen Teil ihrer Registrierung hinter sich hatten, | |
| bei denen aber Gesundheitsuntersuchungen oder Überprüfungen fehlten. Es | |
| drangen Berichte von einem in Postkisten gestapelten Aktenchaos an die | |
| Öffentlichkeit. Das Lageso richtete „Registrierstraßen“ ein, an denen | |
| Sicherheitsüberprüfung, Registrierung, Unterkunft und Asylantrag | |
| hintereinander an einem Ort erledigt wurden. Doch auch dort stauten sich | |
| bald die Fälle, während die Flüchtlinge in Notunterkünften in Turnhallen | |
| darauf warteten, dranzukommen. | |
| Heute könne man 150 Menschen pro Tag im Ankunftszentrum erfassen und etwa | |
| 80 Menschen pro Tag registrieren, heißt es aus dem LAF. Währenddessen sind | |
| die Menschen vor Ort untergebracht, im Ankunftzentrum selbst gibt es rund | |
| 600 Schlafplätze. Die Menschen sind im Schnitt drei bis fünf Tage dort, | |
| bevor sie auf Unterkünfte verteilt werden. Weitere Unterkünfte ständen als | |
| Ausweichquartiere bereit. | |
| Im Juni kamen mit 400 Menschen etwas mehr Geflüchtete nach Berlin als in | |
| den Monaten vorher. Was aber wäre, wenn wie im Sommer 2015 wieder 500 bis | |
| 1.000 Menschen täglich kommen würden? „Wir können die Kapazitäten innerha… | |
| von zwei Wochen aufstocken“, sagt Michael Elias, Leiter der GmbH Tamaja, | |
| die das Ankunftszentrum betreibt und die erste Erfassung organisiert. | |
| Das LAF behauptet, es könne die Zahl an Schlafplätzen erhöhen – hohe | |
| Kapazitäten dauerhaft vorzuhalten sei aber nicht sinnvoll. | |
| „Dass es dort heute besser läuft, ist dem Betreiber Tamaja zu verdanken“, | |
| sagt Diana Henniges von Moabit hilft. „Sie haben die Ankunftsmappen | |
| eingeführt und früh im Blick, wer besonders schutzbedürftig ist und anders | |
| untergebracht werden muss.“ Tamaja habe teils gegen den Willen der | |
| Verwaltung Verbesserungen durchgesetzt. „Michael Elias stellt sich bei | |
| Terminen auch mal hin und sagt: So können Sie nicht mit Menschen umgehen.“ | |
| Sie kritisiert, dass das LAF immer noch zu viele Menschen mit ihren | |
| Problemen alleinlasse, und bezweifelt, dass das Amt steigenden Zahlen | |
| gewachsen wäre. | |
| Amei von Hülsen-Poensgen von der Initiative Willkommen im Westend, die | |
| viele Geflüchtete durch die Zeit am Lageso begleitet hat, sagt, die Krise | |
| sei absehbar gewesen. Schon im Sommer 2014 warteten Menschen auf dem | |
| Gelände. „Wir haben dem Leiter im Februar 2015 in einem Gespräch gesagt, | |
| dass das System zusammengebrochen ist“, sagt sie. Die Verantwortlichen | |
| hätten viel zu spät reagiert. | |
| ## Gewöhnt, Härten zuzumuten | |
| Inzwischen habe sich einiges verbessert. „Aber das LAF ist keine moderne | |
| Behörde geworden, die pragmatisch und auch mal unkonventionell Abhilfe | |
| schafft“, sagt sie. „Man schiebt die Verantwortung weg. Die | |
| Mitarbeiter*innen sind es so gewöhnt, Menschen Härten zuzumuten, dass sie | |
| vieles einfach hinnehmen.“ Heime, in denen Menschen jahrelang gelebt | |
| hätten, würden kurzfristig geschlossen, ohne Zeit, um Lösungen für | |
| Schulkinder und Arbeitswege zu finden. Menschen dürften in den | |
| Massenunterkünften weder Besuch über Nacht haben noch ihre Zimmer | |
| einrichten. „Das geht alles, wenn sie übergangsweise in Heimen leben, aber | |
| viele Familien wohnen auf Jahre dort. Da muss man andere Lösungen finden“, | |
| sagt sie. | |
| Das kritisiert auch Christian Lüder vom Netzwerk Berlin hilft. „Das LAF | |
| sieht sich immer noch als Behörde, die kurzfristig Menschen unterbringen | |
| soll“, sagt er. Es sei bisher nicht gelungen, die Menschen in Wohnungen zu | |
| bringen, obwohl dies ein Ziel im Koalitionsvertrag gewesen sei. | |
| Dass Mohamad Shbib, der inzwischen seine Ausbildung zum | |
| Veranstaltungskaufmann fast abgeschlossen hat, trotz allem gut in Berlin | |
| angekommen ist, verdankt er eigenem Engagement. „Vor dem Lageso habe ich | |
| irgendwann angefangen, anderen zu erklären, dass sie zum Scannen der Lunge | |
| müssen und was da passiert“, sagt er. „Ich war ja eh vor Ort und habe | |
| einfach meinen eigenen Infopoint gemacht.“ Später lernte er selbstständig | |
| Deutsch und brachte sich in die Freiwilligenarbeit ein. Wie es besser hätte | |
| laufen können, hatte er dabei immer vor Augen: Er ist zusammen mit seinem | |
| Bruder in Berlin angekommen, der bekam innerhalb weniger Tage einen Termin | |
| beim Lageso und damit auch Unterkunft, Sprachkurs, Asylanhörung und | |
| Geflüchtetenstatus. „Es kommt wirklich darauf an, bei wem du landest“, sagt | |
| Shbib. | |
| Er verstehe bis heute nicht, dass die Behörden die Situation so lange | |
| laufen ließen. „Im Rückblick muss ich sagen: Meine Flucht war nicht nur der | |
| Weg von Syrien nach Deutschland. Auch in Deutschland habe ich schlimme | |
| Fluchterfahrungen gemacht – mitten in Berlin am Lageso.“ | |
| 10 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
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