| # taz.de -- Verfolgung von Roma in Serbien: Nirgends willkommen | |
| > Nach seiner Abschiebung aus Deutschland hielt Lutfi R.* es nur wenige | |
| > Tage in Serbien aus: Als Roma werde er von der Polizei misshandelt, sagt | |
| > er. | |
| Bild: Die Eltern von Lufti R. sind beide schwer krank. Einen Abschiebebescheid … | |
| Winsen taz | Lutfi R.* ist zurück in Deutschland. Erst Ende September war | |
| die Polizei in seine Wohnung gestürmt, und hatte ihn samt Frau und fünf | |
| Kindern aus dem Landkreis Harburg abgeschoben. Doch Lutfi R., der zur | |
| Minderheit der Roma gehört, hielt es in Serbien nicht aus. | |
| Als er nach seiner Abschiebung bei einem Cousin in einem kleinen | |
| nordserbischen Ort unterkommt, klopfen zwei Polizisten. Er soll auf die | |
| Wache kommen. Dort wird er geschlagen, bespuckt und getreten. Die | |
| Uniformierten beschimpfen ihn wegen seines muslimischen Namens: Moslems | |
| seien in Serbien nicht erwünscht. Sie beschimpfen ihn als „Zigeuner“ und | |
| sagen, er habe durch seine Flucht sein Land verraten. | |
| Einen Tag später klopfen wieder zwei Polizisten, diesmal in Zivil. Wieder | |
| muss er mit auf die Wache, wieder wird er geschlagen. Nachdem er drei Tage | |
| später erneut auf der Wache misshandelt wird, hat Lutfi R. genug. Er | |
| versteckt seine Familie und haut ab. Es fällt ihm schwer darüber zu reden, | |
| dass er Frau und Kinder in Serbien zurückließ. | |
| ## Rassismus gegen Roma ist in Serbien verbreitet | |
| Wenn er von den Polizeiübergriffen erzählt, wirkt Lutfi R. mitgenommen, | |
| aber klar und aufgeräumt. Seine Rippen täten ihm bis heute weh, von einem | |
| Tritt in die Seite. Er benutzt eine Schmerzcreme. Beweise für die | |
| Misshandlungen hat er nicht. | |
| Sein Fall scheint jedoch nicht aus der Luft gegriffen, denn Rassismus gegen | |
| Roma ist in Serbien verbreitet (siehe Kasten). Es kommt immer wieder zu | |
| Übergriffen, Roma-feindliche Beschimpfungen sind alltäglich. Die Minderheit | |
| wird unter anderem auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. „Das ist das | |
| Problem“, sagt auch Lutfi R.: „Ich bin Zigeuner. Wenn sie das sehen, | |
| bekommst du in Serbien keine Arbeit.“ | |
| Viele, die aus Deutschland abgeschoben werden, stehen in Serbien vor dem | |
| Nichts. In Belgrad und am Rande der Stadt leben Roma in informellen | |
| Siedlungen, in Hütten aus Sperrmüll. | |
| Von den deutschen Behörden wird das ignoriert. Seit 2014 gilt Serbien aus | |
| migrationspolitischen Gründen als „sicheres Herkunftsland“ – angeblich a… | |
| für Roma. | |
| Jovana Vuković vom Regional Center for Minorities, einer | |
| Menschenrechtsorganisation in Belgrad, sagte der taz, den konkreten Fall | |
| von Lutfi R. könne sie nicht kommentieren. Allerdings bestätigte sie, dass | |
| sie von Fällen aus anderen Regionen Serbiens wisse, in denen es zu | |
| Übergriffen durch die serbische Polizei nach der Abschiebung aus | |
| Deutschland kam. | |
| ## „Das ganze Leben ist voller Trauer.“ | |
| Fünf Tage hat Lutfi R. von der serbischen Grenze zurück bis nach Harburg | |
| gebraucht. In dem Zaun, mit dem Ungarn mittlerweile die EU-Grenze | |
| abschottet, habe er irgendwo ein Loch entdeckt und sei durchgeschlüpft. Er | |
| habe kaum geschlafen, sagt er, lief einfach immer weiter. Bis er in | |
| Budapest eine günstige Zugverbindung nach Hamburg erwischte, dauerte es | |
| weitere zwei Tage, in denen er sich durchschlagen musste. „Ich habe mich | |
| gefühlt wie ein Penner“, sagt Lutfi R. | |
| Am Montag sitzt er auf einer kleinen Couch bei seinen Eltern, in einer | |
| Sozialunterkunft in Winsen. Ein großer Fernseher läuft, das Zimmer ist | |
| kärglich eingerichtet: ein Sofatisch, ein Hocker, Sperrholzschränke. | |
| Auf drei Matratzen übereinander liegt Lutfi R.s Vater an der Wand. Sein | |
| Gesicht ist bleich und eingefallen, er ist schwer krank. Am Dienstag hat er | |
| einen Termin im Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf (UKE). Auch | |
| Lutfi R.s Mutter ist nicht gesund. Sie zittert und kann sich nur mit | |
| Krücken auf den Beinen halten. Beide bräuchten tägliche Pflege und Hilfe im | |
| Alltag. Im Frühjahr kam auch für sie ein Brief von der Ausländerbehörde, | |
| der ihre Abschiebung ankündigt. | |
| Als sie Lutfi R. zuhört, wie er seine Geschichte erzählt, weint seine | |
| Mutter. „Er ist hier aufgewachsen“, sagt sie. „Das ganze Leben ist voller | |
| Trauer.“ | |
| 1991, als auf dem Balkan mit dem Kroatienkrieg im ehemaligen Jugoslawien | |
| eine Zeit der Gewalt anbrach, kamen Lutfi R. und seine Eltern das erste Mal | |
| nach Deutschland. Sechs Jahre lebten sie hier, bis sie von den Behörden zu | |
| einer „freiwilligen Ausreise“ gedrängt wurden. Ein Jahr später war die | |
| Familie wieder in Berlin, im Dezember 2002 wird sie wieder abgeschoben. | |
| Dann kamen sie wieder, wurden erneut abgeschoben. | |
| Die Biografie von Lutfi R., seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern, | |
| von denen zwei in Deutschland geboren sind, erinnert an die vieler | |
| Roma-Familien aus Ex-Jugoslawien: Ein jahrelanges Hin und Her. Mehrfache | |
| Abschiebungen, kein Ankommen, nirgends willkommen. | |
| * Name geändert | |
| 1 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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