| # taz.de -- Vereinigung der NS-Militärjustiz-Opfer: Streit um die Erinnerung | |
| > Ein Opferverband hat die Zusammenarbeit mit Sachsens | |
| > Gedenkstättenstiftung beendet. Die unterscheide nicht richtig zwischen | |
| > NS- und DDR-Unrecht. | |
| Bild: Eine Plastik erinnert an die Opfer der NS-Militärjustiz vor dem damalige… | |
| Berlin taz | Der Zustand sei nicht mehr hinnehmbar, konstatiert die | |
| Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz. Bis heute fehle ein | |
| angemessener Gedenkort „für die Verweigerer von Hitlers Vernichtungskrieg“. | |
| Einen solchen möchte sie seit mehr als 30 Jahren in Torgau haben, dem | |
| zentralen Ort der NS-Militärjustiz am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die | |
| Idee: eine Ausstellung, die das Unrecht darstellt. Zwar gibt es in Torgau | |
| schon eine Gedenkstätte, die stellt aber unter dem Titel „Spuren des | |
| Unrechts“ die DDR-Diktatur mit der NS-Diktatur auf eine Stufe. | |
| Um das zu ändern, arbeitete die Bundesvereinigung der Opfer der | |
| NS-Militärjustiz bisher mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zusammen. | |
| Doch nun beendete die Vereinigung die Zusammenarbeit. Denn obwohl seit | |
| Jahren ein neues Konzept vorliegt, lässt die neue Ausstellung auf sich | |
| warten. Zudem sei die Bundesvereinigung nicht ausreichend in die Konzeption | |
| einbezogen worden. | |
| Der Geschäftsführer der Gedenkstiftung in Sachsen, Markus Pieper, zeigt | |
| sich überrascht. „Ich bedaure das, aber ich kann die Vorwürfe nicht | |
| nachvollziehen“, erklärte er der taz. Früher habe es zwar Konflikte um die | |
| Erinnerungspolitik gegeben. Doch er habe 2021 das Amt des Geschäftsführers | |
| übernommen, um genau das zu ändern. „Die alte Ausstellung wurde wohl in | |
| vielen Punkten berechtigterweise kritisiert“, sagte er. Aber im August | |
| eröffne doch die neue Dauerausstellung in Torgau. Das zentrale Thema: die | |
| Geschichte der nationalsozialistischen Militärjustiz. | |
| Rolf Surmann saß zuletzt für die Bundesvereinigung im Beirat der | |
| Gedenkstättenstiftung. Er sagt, es stimme zwar, dass die neue Ausstellung | |
| bald eröffnen soll – aber es sei nicht die ganze Geschichte. Er habe auch | |
| darauf hingewiesen, dass es noch Gesprächsbedarf gebe. Dem sei die Stiftung | |
| nicht nachgekommen. Die Neuausrichtung 2021 möchte Surmann nicht als | |
| Neuanfang gelten lassen. | |
| ## Seit Jahrzehnten andauernde Debatte | |
| Der Hintergrund: 1943 wurde das Reichskriegsgericht nach Torgau verlegt. In | |
| der Stadt in Nordsachsen saßen dann verurteilte Soldaten, Deserteure und | |
| Kriegsverweigerer in zwei Militärgefängnissen. Etwa 20.000 von ihnen wurden | |
| hingerichtet. Nach dem Krieg wurde die Infrastruktur erst von der | |
| Sowjetunion und dann für den DDR-Strafvollzug genutzt. | |
| Nach der Wiedervereinigung wurde 1994 die Stiftung Sächsische Gedenkstätten | |
| gegründet. Allerdings richtete Sachsens CDU-Regierung das Gedenken | |
| politisch so aus, dass die SED-Diktatur mit der [1][NS-Diktatur] | |
| gleichgestellt wurde. Nicht einmal die Singularität der Shoah stellte das | |
| zugrundeliegende Gesetz klar. Für Opfer-Organisationen ein Affront. | |
| Nachdem der Streit sich 2004 zugespitzt hatte, beendeten der Zentralrat der | |
| Juden, der Verband der Verfolgten des Nationalsozialismus und die | |
| Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz die Zusammenarbeit mit der | |
| Stiftung für mehrere Jahre. Erst ein überarbeiteter Gesetzestext brachte | |
| die Opferverbände wieder zurück. 2012 wurde die Neuerung verabschiedet. | |
| Doch die Arbeit mit der Stiftung erwies sich trotzdem als schwierig, | |
| berichtet Surmann. | |
| Ihn trieb persönlich an, „dass die Überlebenden noch ein würdiges Gedenken | |
| am zentralen Ort ihrer Verfolgung erleben.“ Doch trotz des neuen Gesetzes | |
| und eines neuen Konzepts für die Ausstellung, unter dem | |
| Stiftungsgeschäftsführer zu der Zeit, Siegfried Reiprich, habe sich nichts | |
| geändert. Im Gegenteil: Es heißt, Reiprich habe Fördergeld eher zugunsten | |
| des Gedenkens an DDR-Unrecht genutzt. | |
| Sein Nachfolger, Markus Pieper, erklärte der taz, er verfolge eine andere | |
| Linie: „Wir müssen sorgsam und sensibel damit umgehen, dass wir Orte haben, | |
| an denen Menschen von unterschiedlichen Diktaturen verfolgt und umgebracht | |
| wurden.“ Gleichzeitig gelte es, die Unterschiede herauszuarbeiten. „Es | |
| handelt sich um unterschiedliche Diktaturen, deren Gleichsetzung sich | |
| verbietet.“ | |
| Die Änderung habe man positiv bemerkt, sagte Surmann der taz. Einzelne | |
| Korrekturen und Absprachen, das klappte. Aber die Bundesvereinigung habe | |
| [2][weiteren Gesprächsbedarf gesehen]. Immer noch sei die Differenzierung | |
| zwischen Tätern und Opfern nicht klar genug. Trotz mehrfacher | |
| Aufforderungen sei darauf allerdings nicht eingegangen worden. | |
| Die Bundesvereinigung sieht darin eine fortgesetzte Geringschätzung der | |
| Verfolgungsgeschichte der von ihr vertretenen Opfer. Pieper sagt, er habe | |
| das nicht so wahrgenommen. „Wir als Gedenkstätte hatten den Dialog als | |
| konstruktiv empfunden“, versicherte er der taz. Nun sei er ratlos und | |
| bedauere den Austritt. „Wir nehmen den Gesprächsfaden jederzeit gerne | |
| wieder auf.“ | |
| Doch dazu möchte sich Surmann derzeit nicht äußern. Er klingt enttäuscht | |
| und frustriert. „30 Jahre und wir sind nicht weitergekommen. Mittlerweile | |
| sind alle, die das Unrecht der NS-Militärjustiz erlitten haben und bei uns | |
| aktiv waren, tot.“ | |
| 4 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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