# taz.de -- Urbane Gestaltung in Kreuzberg: Stein her, Stein hin | |
> Am Mehringplatz wurde vor Kurzem in einer Guerilla-Aktion eine | |
> Granitstufe verlegt, um die dysfunktionale Planung zu flicken. Nun ist | |
> sie wieder weg. | |
Bild: Improvisierter Weg, nun wieder ohne Hilfsstufe | |
[1][Lange, sehr lange] war der Mehringplatz am südlichen Ende der | |
Friedrichstraße eine Baustelle. Im vergangenen Jahr [2][endlich fielen die | |
Bauzäune] um das Rondell mit der „Friedenssäule“ und gaben eine leicht | |
wellige, baumbestandene Rasenfläche frei. Drei grün getünchte Asphaltwege | |
durchziehen das Gras – allein, keiner davon liegt auf der Nord-Süd-Achse. | |
Auch manche taz-RedakteurInnen, die hier des Öfteren auf dem Weg zur Arbeit | |
vorbeikamen, fragten sich von Anfang an: Würde das gutgehen? | |
Es ging natürlich nicht gut, jedenfalls nicht aus Sicht der UrheberInnen. | |
Offensichtlich haben Stadt- und GrünflächenplanerInnen immer noch nicht | |
verinnerlicht, dass Menschen mit ihrer Energie haushalten und, komme was | |
wolle, den direkten Weg nehmen, um an ihr Ziel zu gelangen – cutting | |
corners, wie es auf Englisch so schön heißt. Ein Jahr später hat sich ein | |
breiter, staubiger und den Platz von Norden zur Platzmitte | |
durchschneidender Trampelpfad gebildet. | |
Im Bezirksamt, das 7,1 Millionen Euro aus zwei Bund-Länder-Förderprogrammen | |
in die Umgestaltung des Platzes und der anschließenden Fußgängerzone | |
investiert hat, ist man jetzt auch schlauer: Auf Anfrage heißt es, die 2016 | |
beim Realisierungswettbewerb siegreiche Planungsidee einer „geschlossenen | |
Wiesenfläche mit umlaufenden Wegeführungen“ werde „offensichtlich von den | |
Verkehrsteilnehmer*innen nicht angenommen“. Wobei sich schon darin | |
ein Kuriosum versteckt – denn tatsächlich sah der [3][Gestaltungsentwurf | |
des Büros „Lavaland“] überhaupt keine Durchwegung vor. Die wurde | |
nachträglich vom Bezirk angeregt – nur zum wirklich Naheliegenden konnte | |
man sich nicht durchringen. | |
## Freude über den Quader | |
Vor einigen Wochen kam quasi über Nacht ein Gestaltungselement hinzu: Am | |
nördlichen Ende des Trampelpfads, dort, wo dieser mit 40 Zentimeter | |
Höhenunterschied über dem Pflaster aufhört, tauchte ein Granitquader auf, | |
der von den Trampelnden freudig angenommen wurde. Schließlich war die gar | |
nicht als Stufe vorgesehene Kante unangenehm hoch, und das in einer Art | |
Guerrillaaktion verlegte Stück Stein machte Arbeits- oder sonstige Wege ein | |
bisschen bequemer. | |
Der Mensch hinter dem Stein ist kein Unbekannter: Helmut Maier, 86, | |
Kreuzberger Architekt und Denkmalpfleger, liegt als Gründer der | |
Gesellschaft Historisches Berlin e.V. seit Langem mit der zeitgenössischen | |
Stadtgestaltung über Kreuz. Viel mehr als nur ein kleiner Service im | |
Dienste der Allgemeinheit war die Stufen-Aktion für Maier ein Nadelstich | |
gegen eine Politik, die aus seiner Sicht „geschichtsvernichtend“ mit dem | |
städtebaulichen Erbe umgeht. | |
Schon sein Lehrer Hans Scharoun, der den Doppelring der heutigen Bebauung | |
konzipierte, habe eine „Verdörflichung“ des einstigen | |
Belle-Alliance-Platzes im Sinn gehabt, so Maier zur taz. Sein Zorn richtet | |
sich ebenso rückblickend auf Planungen wie die Südtangente, eine Autobahn, | |
die hier fast einmal Kreuzberg durchschnitten hätte, wie aktuell auf den | |
Umgang mit historischen Namen: Dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg | |
aus der „Südlichen Friedrichstadt“ ein „Kreuzberg Nord“ gemacht hat, | |
gefällt ihm gar nicht. | |
## „Protofaschistische“ Vorgaben | |
Und die GartenarchitektInnen? „Egomanen“, findet Maier, „Leute, die Linien | |
ziehen, auf denen wir zu gehen und in denen wir zu denken haben“. Und | |
gingen dann diese „protofaschistischen“ Vorgaben nicht auf, sei es doch | |
offensichtlich, ihnen einen Stein in den Weg zu legen, „wenn man gerade mal | |
so ein schönes Stück hat“. | |
Und nun? Ist das Stück wieder weg. Es wurde am Morgen des 20. September | |
entfernt, vermutlich im Auftrag des Bezirksamts. Überraschend kam das | |
nicht: „Das Einbringen einer zusätzlichen Stufe zur Erleichterung des | |
Querens stellt einen unerlaubten Eingriff in das Straßenland dar“, hatte | |
das Bezirksamt kurz zuvor auf taz-Nachfrage mitgeteilt. Es stehe zudem „der | |
Entwurfsidee direkt entgegen“, und „die Entwurfsverfasser wären in diesem | |
Fall anzuhören“. | |
Auch wenn sich weiterhin niemand an den vorgegebenen Weg hält – Helmut | |
Maier ist „geschockt“, wie er der taz sagt. Am Vorabend habe er noch einmal | |
nachgesehen, ob die hinzugefügte Stufe ausreichend beleuchtet sei. War sie, | |
berichtet er. Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Maier jedenfalls will | |
nicht klein beigeben: „Wenn's um das Bezirksamt geht, bin ich immer | |
kampfbereit.“ Vielleicht hat er ja noch ein paar Granitstücke auf Lager. | |
20 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Serie-Was-macht-eigentlich-2/!5821874 | |
[2] /Mehringplatz-und-Pfad-der-Visionaere/!5852328 | |
[3] https://www.competitionline.com/de/news/ergebnisse/mehringplatz-194571/priz… | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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