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# taz.de -- Uraufführung von „Noch wach?“: Noch nicht aufgewacht?!?
> Das Thalia Theater Hamburg bringt Stuckrad-Barres Roman. Mit Fokus auf
> männliche Freundschaften und einer #MeToo-Fantasie im Dracula-Schloss.
Bild: Die Männer stehen im Mittelpunkt bei der Uraufführung von „Noch wach?…
Ach, Männerfreundschaften sind wirklich etwas Schönes! Herrlich
anzuschauen, wie der CEO eines Berliner Medienunternehmens – mit dem
natürlich nicht der Springer Verlag gemeint ist – und sein bester Freund zu
Marvin Gayes laut aufgedrehtem „Keep on Dancing“ tanzen.
Wenn Hans Löw im charakterschwach grauen Sakko zunächst fast unmerklich mit
den Schultern zuckt, wenn er dann verlegen mit den Füßen wippt, bevor er
sich gemeinsam mit Nils Kahnwald einer berauschten Choreografie hingibt,
die getränkt ist von „Weißt du noch?“-Momenten. Bald balgen die beiden wie
junge Hunde auf dem Boden, bald schlittern sie über die regennasse Bühne,
raufen in einer flachen Pfütze, die der endlose Novemberregen dort
hinterlassen hat.
Sie spritzen sich nass und lachen sich an. „Wir konnten uns vollkommen
aufeinander verlassen“: minutenlange beseelte Erinnerungen an gemeinsam
durchfeierte Nächte, atmosphärisch inszeniert von Christopher Rüping am
Thalia Theater Hamburg. Es ist die Uraufführung von [1][Benjamin von
Stuckrad-Barres Roman „Noch wach?“].
Kurz zuvor hatten sich etliche Frauen, ehemalige oder Noch-Angestellte
jenes Berliner Medienunternehmens, zusammengeschlossen, einen „Pink Tank“
gegründet, um gegen den Chefredakteur und dessen sexuelle Übergriffe
vorzugehen. Sie hatten dazu eine harmlose Runde gerappt, anonymisierte
Aussagen gesammelt und eine Kampagne gestartet. Sie hatten „Bei uns werden
Sie belästigt“ auf ein Transparent geschrieben, in Mikrofone hinein
argumentiert und etwas verloren herumstehend die Beweislage diskutiert.
## Darstellung der Frauen: bemerkenswert hilflos
Maike Knirsch, Julia Riedler, Cathérine Seiffert und Oda Thormeyer spielen
jene Frauen. Und dass [2][Christopher Rüping] für die vier großartigen
Darstellerinnen während seiner gesamten Inszenierung keine Situationen
findet, in dem diese – im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen – über d…
Atmosphäre einer im Stehen abgehaltenen szenischen Lesung hinauskommen, ist
schon bemerkenswert. Bemerkenswert hilflos.
Im Buch und auch auf der Bühne erhalten die Männer den meisten Raum. Klar,
ironisch persifliert. Und dennoch. „Noch nicht aufgewacht?!?“, möchte man
den Regisseur schütteln. Offenbar war ihm der medienumwitterte Roman
sympathisch genug, als dass er irgendwelche größeren Eingriffe an diesem
hatte vornehmen oder diesem gar eigene Ideen hatte entgegensetzen wollen.
Entstanden ist eine recht schleppende Roman-Nacherzählung, die sich in
Details und Smalltalks verliert. Zugutehalten kann man Rüping, dass er
Stuckrad-Barres männlichen Ich-Erzähler immerhin auf vier Spieler*innen
aufteilt. In mancher Szene entsteht dadurch irgendetwas zwischen Wucht und
Solidarität, dann erhalten die Spielerinnen kurzzeitig eine machtvolle
Gegenstimme, die aber augenblicklich verpufft, sobald Nils Kahnwald als
einer von ihnen das Wort ergreift.
Zwischen und in manche Szene hinein tritt zudem die Sängerin Inéz –
bekannter mit Demian Kappenstein als Duo Ätna. Traumwandlerisch singt sie
von Darkness, Time und Love. Wann und wozu, bleibt unklar. Schön ist es
schon.
## Dracula-Schloss als Firmensitz der toxischen Männlichkeit
Das Zentrum alles Bösen, also der Firmensitz des völlig frei erfundenen
Boulevardsenders, ist ein pappkulissenes Dracula-Schloss, das Peter Baur
auf der Hinterbühne platziert hat. Hier kleben Fledermäuse an den Zinnen,
flackert mal unheilvoll das Licht, zeigt sich die Silhouette einer Sexpuppe
und die eines fummelnden Grafen Dracula. Was für eine lächerliche,
karnevaleske Fantasy-Fantasie zu #MeToo, bei der die toxische Männlichkeit
aus Särgen steigt, sich böse grinsend Vampirzähne ins Gesicht steckt und
einfach nicht totzukriegen ist.
Ab und an seufzen diese Vampire melancholisch den wirklich sehr, sehr
schönen Bühnenmond an. Doch Gefahr für (Unter)Leib und Seele scheint hier
kaum zu bestehen. Am Ende dann, beim Schlussapplaus, eine ergriffene, eine
innige Umarmung zwischen Rüping und Stuckrad-Barre. Und auch ein Kuss.
Vielleicht sogar auf den Mund. Sicherlich aber einvernehmlich. Ach,
Männerfreundschaften!
10 Sep 2023
## LINKS
[1] /Stuckrad-Barres-neuer-Roman/!5926448
[2] /Monteverdi-trifft-Joan-Didion/!5930291
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Benjamin von Stuckrad-Barre
Axel Springer
#Me too
deutsche Literatur
Toxische Männlichkeit
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Antike Dramen
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Schauspiel
Benjamin von Stuckrad-Barre
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