# taz.de -- Unterwegs bei der Frauen-EM: Hype und Achselzucken | |
> Unsere Autorin erlebt ein Turnier der Gegensätze. Nach einem Trip in den | |
> Norden Englands verabschiedet sie sich mit besten Eindrücken von der EM. | |
Bild: Garantiert stimmungsvoll: Fans der niederländischen Nationalmannschaft | |
Plötzlich, spät, ist der Rausch da. In Sheffield schiebe ich mich durch die | |
endlose Straßenparty der [1][Oranje-Fans], die Stadt ist ein pulsierendes | |
Herz dieser EM – und eines sehr egalitären Supports, nicht nur der Fans. | |
Die Uefa hat Plakate aufgehängt, überall weisen Schilder den Weg zum | |
Stadion, es gibt gar eine Fanzone. So gleichgültig, lieblich und dröge der | |
Süden war, so warm empfängt mich der Norden. | |
Erst Sheffield, die Student:innenstadt mit Counterculture-Flair und | |
rauem Charme der alten Industriemetropole, eine unwiderstehliche Mixtur aus | |
Abschwung und Aufschwung. Meine Gastgeber:innen sind ein | |
südafrikanisches Trio, das hier sein Mittelklasseglück jenseits von | |
täglichen Stromausfällen sucht. Dann Rotherham, eine Stadt, die bessere | |
Tage gesehen hat, aber ein neues Stadion aufbietet. Rotherham strahlt | |
förmlich vor Stolz, diese EM zu hosten. Die gesamte Innenstadt ist | |
geschmückt und voller enthusiastischer Volunteers, es gibt gleich drei | |
Fanfeste. | |
An jeder Ecke auch fragen mich begeisterte Menschen nach dem Turnier. Da | |
ist die ältere Dame, die sich Tickets für sieben Spiele gekauft hat und | |
schwärmt, wie viele lokale Leute hier zu den Partien gingen. Da ist der | |
Ordner, der das Spiel der Französinnen bewundert, aber zu Island hält, und | |
der mich früher ins Stadion lässt, es sei doch so heiß. Seine Kollegen, | |
Jungs von vor Ort, erzählen mir von ihren Reiseträumen und schimpfen | |
miteinander über die schlechten Arbeitsbedingungen. | |
Und die Bedienung im Imbiss erzählt gleich ihre Lebensgeschichte. Aus dem | |
Iran ist sie geflüchtet wegen [2][Stress mit der Regierung], in Norwegen | |
saß sie im Abschiebeknast, jetzt ist sie hier und glücklich. Sie lädt zu | |
sich nach Hause ein. Ich kann nicht, heute Nacht muss ich abreisen. Gerade | |
jetzt, wo mich der Norden umwirft mit seiner Herzlichkeit. Sie entschuldige | |
sich für Rotherham, die Stadt sei so runtergekommen, sagt die ältere Dame. | |
Wofür entschuldigt sie sich? Es ist der beste Ort, an den ich bei dieser EM | |
komme. | |
## Guck mal, wer da guckt | |
Es war für mich ein Turnier voller Gegensätze: Hypende Medien und | |
achselzuckende Großstädte, leblose Standorte und solche, für die das hier | |
einfach großer Fußball ist, mit einer wahren, ehrlichen Begeisterung. Und | |
in Deutschland? Da gucken jetzt Männer, von denen ich es nie für möglich | |
gehalten hätte, zum ersten Mal. Alle sind sie überrascht, wie gut der | |
Fußball ist, und halten dieses Vorurteil für ein Kompliment. Sie gucken | |
nicht die EM, sie gucken Deutschland. Aber immerhin, Frauen gehören jetzt | |
auch zu Deutschland. Vielleicht muss man all das einfach mal anerkennen. | |
Das hat die Uefa geschafft. | |
Es kommt mit allen Risiken und Nebenwirkungen; mit Aneignung, Ungleichheit, | |
Hypervermarktung und oft unerträglicher Gönnerhaftigkeit. Aber all das | |
wussten wir doch vorher, als wir nach den Verbänden gerufen haben, oder | |
nicht? Es ist unübersehbar, wer den Wandel führt: Für die großen Medien | |
fahren weiter vorwiegend Männer hin, und in ihren Unterhaltungen jenseits | |
der Fanboy-Artikel schwingen oft subtiler Sexismus und Gönnertum mit. | |
Dass das Spiel der Frauen einmal die Bedeutung von dem der Männer erlangt, | |
ist für sie unvorstellbar. Sheffield und Rotherham werden bei ihnen immer | |
etwas gönnerhaft Besonderes für die Frauen bleiben, nicht die Normalität. | |
Die müssen wir ohne sie erringen. | |
19 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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