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# taz.de -- Bilanz der Fußball-EM in England: Prächtiges Schattengewächs
> Diese EM ist eine der Rekorde. Stehen die Fußballerinnen vor einer
> Zeitenwende? Fest steht: Die Mauern des Männerfußballs sind noch immer
> massiv.
Bild: Genialer Moment: Englands Alessia Russo düpiert die schwedische Verteidi…
Ist das der Durchbruch? Vor dem Finale zwischen England und Deutschland hat
die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gesagt: „Es muss eine große
Chance jetzt sein in allen Ländern, die nächsten Schritte im Frauenfußball
zu machen. Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Und in der englischen Presse orakelt man zuletzt vermehrt davon, der
Fußball der Frauen werde nach dieser Europameisterschaft ein völlig neues
Kapitel aufschlagen. Gedacht und gesagt wurde dergleichen öfters schon. Von
der Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland haben sich ebenfalls einige eine
Revolution versprochen. Es blieb im Alltag erst ein laues Lüftchen, dann
nahm über die Jahre das Interesse am Zuschauen und Spielen gar ab.
Im Vergleich lassen sich durchaus Unterschiede zwischen diesen beiden
Großveranstaltungen feststellen, die Anlass zur Hoffnung geben. Diese
Europameisterschaft baute auf die professionelle Vorarbeit im Gastgeberland
auf, wo in den vergangenen Jahren mit der Women’s Super League die
europäische Spitzenliga etabliert wurde, mit der sich mittlerweile höchst
profitable TV-Verträge erwirtschaften lassen.
Nach diesem Vorbild werden längst auf dem Kontinent allerlei
Strategiepapiere entworfen. Die Uefa, der europäische Fußballverband, hat
2019, als England als EM-Gastgeber schon feststand, in ihr Zukunftskonzept
flugs hineingeschrieben, man wolle die Zuschauerzahlen beim nächsten
Turnier verdoppeln. So spielend leicht lassen sich große Ziele realisieren.
[1][Rekorde über Rekorde] werden von diesem Turnier vermeldet. Vor dem
Finale im ausverkauften Wembley-Stadion vermeldete die Uefa, mit 487.633
Zuschauer:innen das bis dahin bestbesuchte EM-Turnier in den
Niederlanden 2017 um eben das Doppelte übertrumpft zu haben. Und zu diesem
Anlass erwähnte man die Einstellung sechs weiterer Publikumsbestmarken.
## Messbarer Qualitätssprung
Was die Uefa bis dahin noch nicht ausgezählt hatte, waren Laufleistungen,
angekommene Pässe, Torhüterparaden und vieles mehr. Auch hier gäbe es
gewiss noch nie Dagewesenes bei dieser EM zu feiern. Der Fußball der Frauen
hat messbar in den vergangenen Jahren einen qualitativen Sprung nach oben
gemacht. Manches aber, was man bei dieser Europameisterschaft gesehen hat,
lässt sich mit Zahlen gar nicht angemessen fassen.
So dürfte [2][der Treffer der englischen Nationalspielerin Alessia Russo]
in vielen Jahren noch gezeigt und bewundert werden. Im Halbfinale
überraschte sie beinahe schon genial mit der Hacke die gegnerische Abwehr
und Torhüterin. Besser komplett sollte man sich die Partie der Spanierinnen
mit ihrem grandiosen Ballbesitzfußball gegen England im Viertelfinale noch
einmal anschauen.
Das Wachstumspotenzial dieses Fußballs ist einerseits unverkennbar,
andererseits stößt er zugleich an seine Grenzen. Denn sichtbar ist die
Kraft des Frauenfußballs vor allem dann, wenn der Männerfußball ruht.
Eigentlich hätte die EM schon 2021 stattfinden sollen. Die Coronapandemie
warf aber alle Pläne durcheinander, dem zuvor ausgefallenen Männerturnier
wurde der Vorrang eingeräumt. Und weil die Männer-WM in Katar bereits ihre
Schatten wirft, wurden am Sonntag parallel zum Endspiel im Wembleystadion
bereits Männer-DFB-Pokalspiele angepfiffen.
Die Möglichkeiten der Fußballerinnen mögen immer größer werden, die
Zeiträume, in denen sie uneingeschränkte Sichtbarkeit genießen können,
wachsen dagegen nicht. Der Männerspielkalender, den die Fifa und Uefa mit
immer neuen Formatideen, die ihnen Mehreinnahmen einspielen sollen, immer
dichter werden lässt, müsste dafür entschlackt werden. Es ist
unwahrscheinlich, dass die neue Liebe der Uefa und Fifa für den
Frauenfußball dafür stark genug ist. Die Landesverbände nehmen im
Zweifelsfall genauso wenig Rücksichten. Als die Fußballerinnen ihr
Champion-League-Finale im Mai austrugen, hatte der DFB zeitgleich das
DFB-Pokalfinale der Männer angesetzt. Entsprechend wenige schauten bei den
Frauen zu.
Trotz aller Entwicklungsmöglichkeiten lastet ein bleischweres Gewicht auf
dem Frauenfußball. Erst durch Verbote ausgeschlossen, dann über Jahrzehnte
kleingehalten, ist er im offenen Wettbewerb chancenlos. In subventioniertem
Rahmen und geschützten Zeiträumen ist er nun bestmöglich gewachsen und ab
einer gewissen Größe könnte auf mittlerer Sicht die Emanzipation vom
Männerfußball, die Gründung eigener Verbände, ratsam sein.
## Angewiesen auf nationalen Treibstoff
Bei dem Schwung der letzten Wochen darf auch nicht vergessen werden, dass
die Fußballerinnen noch auf den nationalen Treibstoff angewiesen sind, um
weiter zu kommen. [3][In Deutschland ist es die wiedererweckte
Schland-Feierlaune], welche viele Menschen vor die Bildschirme treibt.
Statt Schweini und Poldi huldigt man nun Poppi und Obi. Das Letztere, Lena
Oberdorf, mit ihrem Gefühl für Zeit und Raum eine fußballerische
Offenbarung bei der EM auf der 6er Position ist, spielt dabei eher eine
untergeordnete Rolle. So ist nicht davon auszugehen, dass die englische
Nationalspielerin Georgia Stanway, die ab nächster Saison den FC Bayern
München verstärken wird und eine der auffälligsten Protagonistinnen dieses
Turniers war, den Zuschauerschnitt auf dem kleinen FC-Bayern-Campus
merklich in die Höhe treiben wird.
Im deutschen Ligaalltag fehlt es bislang zu sehr an wahrnehmbaren
Sternstunden, wie sie vergangene Saison etwa bei den Frauen des FC
Barcelona im nahezu ausverkauften großen Camp Nou gefeiert wurden. Das
Saisoneröffnungsspiel zwischen Eintracht Frankfurt und Bayern München ist
immerhin ein guter Anfang. Es wird in der großen Arena ausgetragen, die
sonst den Eintracht-Männern vorbehalten ist.
In den vergangenen Tagen haben sich viele Trainer von Männerklubs wie
Jürgen Klopp oder Christian Streich lobend über die Qualität des
Frauenfußball bei dieser Europameisterschaft geäußert. Was sie wohl dazu
sagen würden, wenn Martina Voss-Tecklenburg oder ihre Assistenztrainerin
Britta Carlson eines Tages anerkennende Worte über die Entwicklung des
Männerfußballs finden würden, weil man an ihrer Meinung dazu interessiert
ist? Sollte es einmal so weit sein, dann hat sich wirklich jede Menge
getan.
31 Jul 2022
## LINKS
[1] /Unterwegs-bei-der-Frauen-EM/!5865657
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[3] /Wahrnehmung-der-EM/!5867176
## AUTOREN
Johannes Kopp
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