# taz.de -- Unabhängige Kandidaten im US-Wahlkampf: Die unterschätzte Figur d… | |
> Im Zweiparteiensystem der USA haben unabhängige Kandidaten keine Chance. | |
> Im Duell Biden-Trump könnten sie dennoch die entscheidende Rolle spielen. | |
Bild: Unabhängiger Kandidat mit berühmtem Nachnamen: Robert F. Kennedy jr | |
BERLIN taz | Die Wahlniederlage ihres Präsidentschaftskandidaten Al Gore | |
gegen den Republikaner George W. Bush im Jahr 2000 ist ein [1][Trauma der | |
Demokratischen Partei] in den USA. Im letztlich alles entscheidenden | |
Bundesstaat Florida versagten die mechanischen Wahlmaschinen, so dass deren | |
Stanzlöcher auf Zehntausenden von Wahlzetteln nicht eindeutig zu | |
identifizieren waren. Am Ende [2][stoppte der Oberste Gerichtshof] die | |
Neuauszählung und George W. Bush wurde mit 537 Stimmen Vorsprung zum | |
Wahlsieger und neuen Präsidenten erklärt. | |
Aber Wut und Ärger der Demokrat*innen richteten sich nur zum Teil gegen | |
die Obersten Richter*innen. Für viele war klar, wer ihnen den Sieg | |
gestohlen hatte: Der Verbraucheranwalt Ralph Nader, der für die Green Party | |
angetreten war, hatte in Florida 97.421 Stimmen erhalten. Nader stand | |
damals in 43 der 50 Bundesstaaten auf dem Stimmzettel, und obwohl er keinen | |
einzigen Delegierten für das Wahlleutegremium gewinnen konnte, schien es | |
doch so, dass seine Kandidatur die Wahl entschieden hatte. | |
Denn auch in New Hampshire und Oregon hatte Nader mehr Stimmen erhalten, | |
als George W. Bush Vorsprung vor Al Gore hatte. Bei Siegen in beiden | |
Bundesstaaten hätte Gore Florida gar nicht mehr gebraucht. Was folgte, | |
waren acht Jahre aggressive Neocon-Politik und der Beginn der Kriege in | |
Afghanistan und Irak. In diesem Jahr, so befürchten viele Demokrat*innen, | |
könnte sich ein solches Drama wiederholen und [3][letztlich Donald Trump | |
ins Weiße Haus bringen]. | |
Wer jenseits von Republikanischer und Demokratischer Partei für die | |
Präsidentschaftswahl antritt, heißt in den USA „Third Party Candidate“. | |
Wobei das mit der „Dritten Partei“ nicht immer stimmt, denn mitunter gibt | |
es Kandidat*innen, die es ganz ohne Partei als Unabhängige versuchen. | |
Geklappt hat das in der US-amerikanischen Geschichte praktisch noch nie. | |
Der einzige Präsident, der nicht auf dem Ticket einer etablierten Partei | |
gewählt wurde, war auch der allererste: George Washington. | |
## Wie viel Macht haben Third Party Candidates? | |
Dennoch haben Third Party Candidates immer mal wieder eine Rolle gespielt. | |
Neben Ralph Naders möglichem Anteil an Al Gores Wahlniederlage im Jahr 2000 | |
wird oft auch der Wahlsieg Bill Clintons gegen George H. W. Bush 1992 dem | |
Einfluss eines Dritten zugeschrieben. Der Unternehmer Ross Perot, der | |
damals für die Reform Party antrat, erhielt bundesweit circa 19 Prozent der | |
Stimmen – die eher an Bush als an Clinton gegangen wären, wie die meisten | |
glauben. Und 2016, als Donald Trump überraschend gegen Hillary Clinton | |
gewann, gab es zumindest ein paar Bundesstaaten, in denen die Grüne | |
Kandidatin Jill Stein mehr Stimmen erhielt als Trump an Vorsprung auf | |
Clinton hatte. | |
Auch in diesem Jahr tritt Stein wieder an. Es ist die dritte Kandidatur der | |
heute 73-jährigen Ärztin und Aktivistin für die Green Party nach 2012 und | |
2016. Zu ihren schon traditionellen Themen – Kapitalismuskritik, Umwelt, | |
Rassismus, soziale Gerechtigkeit – kommt in diesem Jahr ein weiteres dazu: | |
Sie steht dafür ein, die US-amerikanische Unterstützung des israelischen | |
„Völkermords“ in Palästina zu beenden. Damit zielt sie direkt auf das | |
[4][progressive Wähler*innenklientel der Demokrat*innen,] das sich in | |
einigen der Vorwahlen als [5][Protest gegen Bidens Israel-Politik als | |
„uncommitted“ erklärt hatte] – unentschieden. | |
Jill Stein ist nicht die einzige Third-Party-Kandidatin, vor deren | |
möglichem Einfluss Bidens Wahlkämpfer*innen Sorgen haben. Für Aufsehen | |
sorgt auch [6][Robert F. Kennedy Jr.]. Der heute 70-jährige Spross der | |
Kennedy-Familie – Neffe des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy und Sohn | |
seines ebenfalls bei einem Attentat getöteten Bruders Robert – hat allein | |
aufgrund seines Namens einen hohen Wiedererkennungswert. Seinen Versuch, | |
Joe Biden die demokratische Präsidentschaftskandidatur in den Vorwahlen | |
streitig zu machen, beendete Kennedy schon vor deren Beginn und erklärte | |
seine unabhängige Kandidatur. | |
Zunächst als Umweltanwalt aktiv, wurde Kennedy politisch vor allem bekannt | |
als verschwurbelter Impfgegner, und während der Coronapandemie zudem als | |
Maskengegner. Als solcher trat er auch bei Querdenken-Demonstrationen in | |
Deutschland auf. Kennedy verbreitet bis heute die längst widerlegte These | |
eines Zusammenhangs zwischen Impfungen und Autismus. Donald Trump lobte | |
ihn bereits während seiner Präsidentschaft als klugen Kopf, fragte ihn 2017 | |
sogar, ob er den Vorsitz eines Komitees zur Untersuchung von Impfwirkungen | |
übernehmen wollte. | |
## Kennedy hat Störpotenzial | |
In dieser Woche benannte Kennedy seine Vizepräsidentschaftskandidatin: die | |
38-jährige Anwältin und Silicon-Valley-Unternehmerin Nicole Shanahan, die | |
seine Kampagne mit bislang 4,5 Millionen US-Dollar unterstützt hat, damit | |
er während der Übertragung des Super Bowl einen Fernsehspot ausstrahlen | |
lassen konnte. | |
Noch hat es Kennedy erst in einem einzigen Bundesstaat, dem bei | |
Präsidentschaftswahlen unwichtigen Utah, geschafft, auf den Stimmzettel zu | |
kommen. [7][Dabei liegt er in Umfragen, in denen die Demoskopen seinen | |
Namen in die Kandidatenliste aufnehmen, landesweit bei 10 bis 13 Prozent]. | |
Das hat Störpotenzial, weshalb die Demokraten vorige Woche eine | |
Juristenkommission gebildet haben. Sie soll verhindern, dass Kennedy – und | |
nach Möglichkeit Third-Party-Kandidaten generell – auf die Stimmzettel | |
kommen, oder wenigstens nicht in den Bundesstaaten, die diese Wahl | |
voraussichtlich entscheiden werden: Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, | |
Nevada, Arizona und Georgia, eventuell noch New Hampshire und South | |
Carolina. | |
Am Wahltag auf den Stimmzetteln eines Bundesstaates zu erscheinen, ist für | |
unabhängige Kandidaten ein kompliziertes und mitunter auch kostspieliges | |
Unterfangen. Die Regeln sind von Bundesstaat zu Bundesstaat | |
unterschiedlich, es gibt Fristen, notwendige beizubringende Unterschriften, | |
mal auch nur eine zu zahlende Gebühr. Am einfachsten ist es, entweder auf | |
dem Ticket einer schon länger bestehenden Partei zu kandidieren oder eine | |
neue zu gründen. | |
[8][So soll Kennedy derzeit in Gesprächen mit der Libertarian Party sein], | |
die in vielen Bundesstaaten einen gesicherten Zugang zu den Wahlzetteln | |
hat, aber für 2024 noch keinen Kandidaten. Das passt ideologisch zwar nur | |
so halb – könnte aber dennoch für beide ein Gewinn sein. | |
Flexibel in Parteifragen ist Cornel West, der dritte bislang bekannte | |
unabhängige Kandidat von einer gewissen nationalen Reichweite. West | |
kandidiert in Oregon für die Progressive Party, in South Carolina für die | |
United Citizens Party, in Alaska für die Aurora Party und in Utah als | |
parteiloser Unabhängiger. Auch der 70-jährige linke afroamerikanische | |
Philosoph und Theologe argumentiert nicht zuletzt mit seinem Widerstand | |
gegen den israelischen „Völkermord“ in Gaza. | |
## Demokraten durch Stein, West und Kennedy in Sorge | |
Vollkommen unklar ist derzeit, ob die Gruppierung No Labels es noch | |
schafft, ein Kandidat*innenpaar aufzustellen. Die 2010 gegründete | |
Organisation hat sich vorgenommen, mit zentristischen Kandidat*innen | |
der immer stärkeren Polarisierung der USA entgegenzuwirken. Aber alle | |
Versuche, konservative Demokrat*innen oder moderate | |
Republikaner*innen für eine No-Labels-Kandidatur 2024 zu gewinnen, | |
sind bislang gescheitert. | |
Und so machen sich zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Bidens | |
Demokrat*innen Sorgen darüber, ob sich ihr Debakel vom Jahr 2000 | |
wiederholen könnte, und Robert F. Kennedy jr., Jill Stein oder Cornel West | |
womöglich die entscheidenden Stimmen holen, die Biden zum Sieg fehlen. | |
Wie berechtigt die Sorge ist, bleibt spekulativ: Kennedy könnte nach | |
Umfragen recht gleichmäßig Joe Biden und Donald Trump ein paar Stimmen | |
kosten, auch wenn Trump vor Kurzem erklärte, Kennedy sei ein ganz besonders | |
radikaler Linker. Und wer Stein oder West wählt (Umfragen derzeit: 2 bis 4 | |
Prozent), würde womöglich lieber gar nicht zur Wahl gehen, als Joe Biden zu | |
wählen. | |
Doch wer weiß schon, ob es am Ende nicht wieder auf 537 Stimmen ankommt. | |
Bei einem engen Rennen kann alles relevant sein. | |
31 Mar 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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