# taz.de -- Umstrittene Nachverdichtung: Ist das Wald oder kann das weg? | |
> Der Neuköllner „Emmauswald“ soll für Eigentumswohnungen gerodet werden. | |
> Um Neubauziele zu erfüllen, will der Berliner Senat das Projekt | |
> durchbringen. | |
Bild: Aktivist:innen der Initiative und Unterstützer:innen protestieren vor de… | |
BERLIN taz | Wenn es um die Rettung des neuerdings größten Waldes Neuköllns | |
geht, lassen sich die Aktivist:innen der Initiative „Emmauswald bleibt“ | |
auch von eisigen Temperaturen nicht abhalten. „Wir sind hier, es ist kalt, | |
klaut uns nicht den Emmauswald!“, skandieren 30 Menschen am Montagmorgen | |
vor dem Eingang des Abgeordnetenhauses in der Niederkirchstraße. Die | |
Aktivist:innen hoffen, mit ihrer Kundgebung etwas Druck auf die | |
Mitglieder des später tagenden Stadtentwicklungsausschusses auszuüben, die | |
auch über [1][das Schicksal des Emmauswaldes] diskutieren. | |
Derzeit steht es schlecht um die Zukunft des 3,9 Hektar großen Waldgebietes | |
im Süden Neuköllns. Im September zog der Senat das Bebauungsplanverfahren | |
(B-Plan) an sich, um den Weg für das private Wohnungsbauunternehmen Buwog | |
frei zu machen. Die Vonovia-Tochter will auf dem Grundstück 441 | |
Eigentumswohnungen errichten. Ein Großteil des Baumbestands müsste dann | |
weichen, fürchtet die Initiative. | |
„Wir fordern eine Einstellung des B-Plan-Verfahrens“, sagt Lukas | |
Bodelschwing von der Initiative der taz, „Teile des Senats sind anscheinend | |
immer noch gewillt, das Projekt durchzuboxen“. | |
Damit meint Bodelschwing vor allem die Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Deren Chef, Bausenator Christian | |
Gaebler (SPD), zeigte sich auch in der Sitzung des | |
Stadtenwicklungsausschusses unbeeindruckt von den Aktivist:innen. | |
„Bestimmte Dinge müssen manchmal zuende gebracht werden, auch wenn nicht | |
alle begeistert sind“, so Gaebler in Bezug auf einen Antrag der | |
Linksfraktion, der strengere Kriterien bei [2][Nachverdichtungsprojekten] | |
forderte. „Wie wollen sie sonst den Wohnraum schaffen, für alle die da sind | |
und noch kommen wollen?“ | |
## Neuköllns neuer Wald | |
Dabei erklärten die Berliner Forsten den Emmaus-Kirchhof, so der amtliche | |
Name der Grünfläche, erst im Juli zu einem offiziellen Waldstück. Im Zuge | |
des Bebauungsplansverfahrens führte die Behörde eine Ortsbegehung durch. | |
Dabei stellte sie fest, dass die Kriterien für einen Wald gegeben sind. | |
In der Stellungnahme spricht die Behörde von einem „zweischichtigen | |
Waldbestand aus Linde, Eiche, Ahorn und Birke im Hauptbestand, sowie in | |
weiten Teilen mit Spitzahorn im Unterstand“. Da die Nutzung als Friedhofs | |
seit den 1980er Jahren nicht mehr erfolgte, sei auch eine gärtnerische | |
Nutzung nicht mehr erkennbar. Der Emmaus-Kirchhof besitze damit | |
„Waldeigenschaft“. | |
Die Entscheidung der Berliner Forsten war ein schwerer Schlag für die | |
Neubau-Pläne der Buwog. Infolge des Widerstands der Initiative, | |
Anwohner:innen und von Umweltverbänden wuchsen auch die Zweifel im | |
Bezirksamt und der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln. Anfang August | |
teilte der Bezirk der Senatsverwaltung mit, dass der Bebauungsplanentwurf | |
in der Form keine Aussicht auf Beschluss durch die BVV Neukölln habe. Doch | |
kurz darauf zeigte die Senatsverwaltung, dass sie es ernst damit meint, | |
stockende Bauprojekte schnell durchzubringen. Die Senatsverwaltung zog das | |
Planungsverfahren im September an sich. Ein Sprecher begründet den Schritt | |
gegenüber der taz mit der „Wahrung dringender Gesamtinteressen des Landes | |
Berlins“, die sich bei Bauvorhaben mit einer Größe von über 200 | |
Wohneinheiten ergeben. | |
Der Bezirk ist von der Handlungsfreude des Senats hingegen wenig | |
begeistert. „Rechtlich kann der Senat so vorgehen. Politisch halte ich das | |
Verfahren aber für einen Fehler“, sagt Baustadtrat Jochen Biedermann | |
(Grüne) der taz. „Durch das Ansichziehen des Senats wird weder die | |
Akzeptanz für Neubau noch für demokratische Prozesse gestärkt“. | |
## Geld statt Wald | |
Ob es sich nun beim Emmauskirchhof um einen schützenswerten Wald handelt, | |
scheint für die Senatsverwaltung nur von untergeordnetem Interesse zu sein. | |
Eine Rodung des Waldes könne entweder durch Ersatzflächen oder | |
Kompensationszahlungen ausgeglichen werden, antwortet ein Sprecher auf die | |
Frage, wie die Senatsverwaltung mit dem Waldstatus gedenkt umzugehen. | |
Für den Aktivisten Bodelschwing sind weder Ausgleichsflächen noch | |
Kompensation angemessener Ersatz für den Verlust des Biotops in seiner | |
Nachbarschaft. Bereits im laufenden B-Plan-Verfahren wurde festgestellt, | |
dass es keine geeigneten Flächen in der Nähe gibt. „Es nützt nichts, wenn | |
man das an einem anderen Ort macht. Wir haben hier in Neukölln eine enorme | |
Unterversorgung an Grünflächen.“ | |
Laut den Berliner Forsten gebe es gerade einmal 2 Hektar Wald in Neukölln – | |
das entspricht weniger als zwei Prozent der Fläche des Bezirks. Mit der | |
Klassifizierung des Emmaus-Kirchhofs als Wald hat sich die Waldfläche | |
Neuköllns also verdreifacht. | |
Bodelschwing vermutet daher, dass am Ende die Senatsverwaltung einfach nur | |
Geld an die Berliner Forste zahlt, das am Ende nicht sinnvoll genutzt | |
werden kann. „Da wird einfach Geld von A nach B geschafft und dann gesagt: | |
Wald ist ausgeglichen“. | |
## Stadtklima in Gefahr | |
Das Landeswaldgesetz ist in diesem Falle kein besonders scharfes Schwert. | |
Eine Genehmigung durch die Berliner Forsten ist nicht erforderlich, wenn | |
für die betreffende Fläche ein rechtsverbindlicher Bebauungsplan besteht. | |
Eine Rodung des Waldes wäre nicht nur die Anwohner:innen, die den | |
eigentlich abgesperrten ehemaligen Friedhof als Naherholgungsfläche nutzen, | |
ein Verlust. Ein Ökosystem, das sich über Jahrzehnte herausgebildet hat, | |
lässt sich nicht einfach ausgleichen. „Das Biotop ist wichtig für | |
Regenwasserspeicherung, Luftaustausch und bietet Lebensraum für viele | |
Arten“, erklärt Janna Einöder vom Nabu Berlin, „Erhalt muss immer vor | |
Ersatz stehen“. | |
Auch die Berliner Forsten warnen vor einer Rodung. „Der Verlust der | |
Waldfläche würde sich besonders negativ auf das Stadtklima auswirken“, | |
heißt es in der Stellungnahme. | |
„Der Senat will auf Biegen und Brechen Wohnungen bauen“, kritisiert Britta | |
Krehl vom Berliner Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung. Krehl steht | |
auch vor dem Abgeordnetenhaus, um die Emmauswaldinitiative zu unterstützen. | |
Zu oft würde durch Nachverdichtungen ökologisch wertvolle grüne | |
Infrastruktur zerstört. „Dabei gibt es in den meisten Fällen nachhaltige | |
Alternativen.“ Umweltverbände wie der Nabu fordern schon seit langem, bei | |
Nachverdichtungen [3][zuerst versiegelte Flächen zu prüfen], wie die | |
Überbauung von Supermärkten oder andere Aufstockungen. | |
## Wohnungen in der Umgebung stehen leer | |
Ob die hochpreisigen Eigentumswohnungen, die auf dem Gelände des | |
Emmauswaldes entstehen sollen, die Wohnungsnot lindern werden, ist ohnehin | |
zweifelhaft. In den Neubaugebieten in der Umgebung stehen Wohnungen seit | |
Monaten leer. So berichtete die Berliner Morgenpost zuerst über ein | |
Hochhaus im Wohnpark „St. Marien“, dessen Eigentümerin keine | |
Mieter:innen findet, die die Preise von bis zu 28 Euro pro Quadratmeter | |
stemmen können. | |
Derzeit prüft das Bezirksamt, ob es sich bei dem Fall um spekulativen | |
Leerstand handelt. „Dem Bezirksamt sind die Hinweise bekannt. Es handelt | |
sich dabei um ein laufendes Verfahren, weshalb ich zum aktuellen Zeitpunkt | |
keine Details benennen kann“, teilt ein Sprecher des Bezirksamts der taz | |
mit. | |
8 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Bebauung-von-Friedhoefen/!5923054 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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