# taz.de -- Überlastete Kinderkliniken: Weihnachten am Klinikbett | |
> Kurz vor den Feiertagen bleibt die Lage in den Kinderkrankenhäusern | |
> angespannt. Auch viele Mitarbeiter*innen sind krank. Drei | |
> Erfahrungsberichte. | |
Bild: Es fehlen Betten und es fehlt geschultes Personal: Die Situation in Kinde… | |
BERLIN taz | Die Situation in den Kinderkrankenhäusern ist weit davon | |
entfernt, sich zu entspannen. An den Weihnachtsfeiertagen, wenn die | |
Kinderarztpraxen geschlossen sein werden, wird es womöglich noch voller. | |
Mit drei Ärzt*innen hat die taz über ihre aktuelle Situation gesprochen. | |
Alle drei engagieren sich in der Initiative der Berliner Kinderkliniken für | |
eine bessere Versorgung. Aus Angst vor negativen Konsequenzen sollen ihre | |
echten Namen nicht in der Zeitung stehen. | |
## „Eigentlich müsste man schreiend aus jeder Notaufnahme rausrennen“ | |
Genau das sei eingetroffen, sagt Aysan Yilmaz*, „was wir befürchtet haben“. | |
Sie ist Kinderärztin in einer Ambulanz, regelmäßig springt sie aktuell auf | |
den überbelegten Kinderstationen und in der viel zu vollen Rettungsstelle | |
ein. „Letztes Jahr waren es Einzelfälle, bei denen es hätte besser laufen | |
können. Inzwischen gilt das für den Großteil der Kinder“, sagt Yilmaz. | |
Eigentlich gibt es klare Vorgaben, wann vor allem kleine Kinder mit | |
Atemwegsinfekten und schlechter Sauerstoffsättigung aufzunehmen sind. Und | |
trotzdem schicken sie Eltern nach Hause, sagt Yilmaz. Weil absolut kein | |
Bett frei ist für ihre Kinder und weil Eltern einer Verlegung in ein | |
Stunden entferntes Krankenhaus nicht zustimmen. | |
Immerhin, so die Kinderärztin, sei [1][ihre Not jetzt sichtbarer], und in | |
dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, hat sich seit Mitte Dezember etwas | |
getan. Medizinstudent:innen sollen jetzt einspringen für | |
administrative Arbeiten und so die entlasten, die mit den Kindern arbeiten. | |
Doch selbst wenn es für die Kinderkrankenhäuser ab Januar mehr Geld gibt, | |
sagt Yilmaz, und selbst wenn es zumindest in Berlin genügend | |
Bewerber:innen gibt, um zusätzliche Stellen zu besetzen, in der | |
Kinderkrankenpflege gibt es kein Personal. „Die wenigen, die sich noch | |
dafür interessieren, werden schon in der Ausbildung eher abgeschreckt“, | |
klagt Yilmaz. | |
„Der Job lebt davon, dass es Spaß macht, sich jedem Kind individuell widmen | |
zu können“, sagt die Kinderärztin. Viel übrig ist davon aktuell nicht. | |
„Eigentlich müsste man schreiend aus jeder Notaufnahme rausrennen.“ Gerade | |
dort würden häufig die unerfahrensten Kolleg:innen eingesetzt. „Ich | |
sorge mich um die, die wenig Erfahrung haben, aber an vorderster Front | |
kämpfen müssen und ungeschützt mit dieser Masse und Krankheitsschwere | |
konfrontiert sind.“ | |
## „Ich habe Angst, falsche Entscheidungen zu treffen“ | |
Eigentlich soll Nora Rudoff* mit einer erfahrenen Kolleg:in im | |
Nachtdienst arbeiten. Sie ist Assistenzärztin im zweiten Ausbildungsjahr | |
und erst seit rund 15 Monaten Ärztin. Aber es sind nicht nur die [2][Kinder | |
krank], sondern auch das Personal. Deshalb ist Rudoff immer wieder allein | |
im Dienst und dann verantwortlich für die 40 Kinder der Normalstation und | |
die vielen Kinder in der Rettungsstelle. | |
Rudoff erzählt von einer Nachtschicht: „Ich habe schon ein Neugeborenes | |
mit Fieber in der Rettungsstelle und ein Kind, das gerade seinen ersten | |
epileptischen Anfall hatte. Beide gehören ins Krankenhaus. Das nächste | |
freie Bett ist in Frankfurt (Oder). Es ist 4.30 Uhr, [3][einen | |
Krankentransport] gibt es um diese Zeit nicht. Dutzende Kinder warten in | |
der Rettungsstelle. Und dann kommt noch ein Notfall, der eigentlich auch | |
intensivpflichtig ist. Ich bin die einzige Ärztin und muss alles allein | |
entscheiden. Ich habe immer wieder Angst, dass ich mit meiner relativ | |
geringen Erfahrung falsche Entscheidungen treffe.“ | |
Manchmal ruft Rudoff von zu Hause bei den Kolleg:innen an, um sich zu | |
vergewissern, dass das Kind, für das sie kein Intensivbett hatte, noch | |
stabil ist. Bis in die Träume folge ihr der Dienst. Dazu kommt die wenige | |
Freizeit und die soziale Isolation durch den Schichtdienst. | |
Als wir sprechen, hat es Rudoff gerade selbst erwischt. [4][RS-Virus und | |
Influenza] gleichzeitig. | |
## „Was noch funktioniert, ist der Zusammenhalt“ | |
Weihnachten hat Maya Karimi* frei. Noch. Jeden Tag werden Kolleg:innen | |
gesucht, die einspringen. Bei den Ärzt:innen und bei den Pflegekräften. | |
Für die, die dann bis zu 12 Stunden am Stück arbeiten müssen, kann | |
[5][jeder Tag zum Kampf werden]. „Ich sehe die Assistenzärzt:innen im | |
ersten Jahr und in ihren Augen die pure Verzweiflung“, sagt Karimi. | |
Sie selbst ist nun im dritten Jahr. Als sie neulich zum Spätdienst in die | |
Kinderrettungsstelle kam, hätte es ausgesehen „wie im Krisengebiet“, sagt | |
sie. Viel zu viele Kinder, alle nah beieinander. Dazwischen welche mit | |
hochansteckenden Infektionskrankheiten. Ein gerade zwei Monate altes Kind | |
untersucht die Assistenzärztin auf dem Flur, weil alle Untersuchungsräume | |
schon belegt sind. Das Baby hat RSV, das kann lebensgefährlich werden. | |
Aber beim letzten verfügbaren Sauerstoffmonitor ist der Akku leer. | |
Sowohl für die Überwachung als auch für die Atemunterstützung seien die | |
Geräte zu knapp. Auf den Intensivstationen, erzählt Karimi, werde immer | |
wieder die Therapie reduziert, um Betten für noch krankere Kinder frei zu | |
machen. Anstehende [6][Herzoperationen würden verschoben], weil kein | |
Intensivbett frei ist. | |
Alle Stationen seien überbelegt, Personalschlüssel würden längst nicht mehr | |
eingehalten. Wenn es noch ein belegbares Bett für ein Kind gibt, dann oft | |
nicht für die Eltern, die auf Stühlen neben den Kindern schlafen. Wenn es | |
auch für die Kinder kein Bett mehr gibt, werde bis nach Hannover verlegt. | |
Auf den Kinderintensivstationen werde zum Teil inzwischen auch | |
Erwachsenenpersonal eingesetzt. So wie es [7][Bundesgesundheitsminister | |
Karl Lauterbach] (SPD) den Kliniken empfohlen hatte. Manche von ihnen, | |
erzählt Karimi, klappten einfach zusammen. Die emotionale Belastung, die | |
die Arbeit mit schwerkranken Kindern mit sich bringt, seien sie nicht | |
gewohnt. | |
Die Assistenzärztin bleibt Weihnachten in der Stadt. Wenn Kolleg:innen | |
ausfallen und sonst niemand mehr einspringen kann, dann will sie da sein. | |
„Was wirklich noch funktioniert, ist der Zusammenhalt.“ | |
*Alle Namen geändert | |
22 Dec 2022 | |
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[6] /Krankenhaeuser-in-Norddeutschland/!5887196 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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